Und nicht nur Verbraucher. Falsche, negative Kommentare treffen auch Einzelhändler empfindlich: In einer Studie des Händlerbundes, nach eigenen Angaben der größte Verband der Onlinehändler Europas, gaben 95 Prozent der befragten Händler an, schon einmal von "unfairen negativen Bewertungen" betroffen gewesen zu sein. Das sind negative Bewertungen, auf die der Händler keinen Einfluss hat, zum Beispiel Bedienfehler des Kunden, gestresste Paketboten oder Produkte, die der Händler gar nicht anbietet. "Es reicht oft schon ein negativer Kommentar, um Käufer abzuschrecken und Händlern massiv zu schaden", sagt Yvonne Bachmann, Anwältin des Händlerbundes.
Fast die Hälfte der Onlinehändler sagt, dass schlechte Bewertungen sich direkt in einem Umsatzverlust niederschlagen. Vor allem der Imageschaden sei enorm: Negative Bewertungen verschlechtern die Durchschnittsnote und somit das Ranking des Händlers, sagen 76 Prozent der Befragten. Ist die negative Bewertung einmal veröffentlicht, können Händler laut Bachmann kaum noch etwas unternehmen, um Schaden abzuwenden. Die Anwältin rät: "Betroffene Händler sollten den Kritiker mit einem Gegenkommentar sofort öffentlich zur Rede stellen." Allerdings reagieren darauf nur wenige Kommentatoren. Von 100 unfairen Kritikern, die der Händlerbund anschrieb, nahmen nur zwei ihre Bewertung aus dem Netz. Als letzten Ausweg könne man nur noch versuchen, die Plattformen selbst zu kontaktieren, sagt Bachmann.
Produktbewertungen im Internet sind eine wichtige Entscheidungshilfe beim Online-Einkauf. Wie erkennt man, ob man dem Urteil trauen kann?
Wer ist der Kritiker? Manche Kommentatoren bewerten an einem Tag drei unterschiedliche Toaster oder zehn Produkte, die nichts miteinander zu tun haben. Dass sie diese alle an einem Tag gekauft haben, ist unwahrscheinlich. Der Verdacht liegt nahe, dass ein Betrüger am Werk ist.
Welche Sprache wurde gewählt? Kommentare, die an Werbung erinnern, viele Superlative oder ausschließlich positive Adjektive enthalten, sind möglicherweise gefälscht.
Wie lang ist eine Rezension? Wenn sie sehr ausführlich sind, ist das verdächtig - zumindest dann, wenn bisher kaum Bewertungen abgegeben wurden oder das Produkt neu im Netz ist. Der Hersteller könnte nachgeholfen haben. Wenn das Produkt hingegen von vielen Nutzern bewertet wurde, sind lange Formulierungen häufig. Generell gilt: Je mehr Kommentare, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Masse richtig liegt.
Übertreibt die Bewertung? Kommentare, die Produkte der Konkurrenz aufdringlich anpreisen, sollten misstrauisch machen. Auch eine ausschließlich negative oder positive Bewertung deutet auf ein Fake hin.
Was sagt der Händler? Amazon bezeichnet manche Kritiker als "verifizierte Käufer". Zwar ist das keine Garantie, im Zweifel sind diese aber vertrauenswürdiger als andere.
Martin Lechtape
Bei Amazon kann unter jedem Kommentar ein "Missbrauch" gemeldet werden. Kritiker, die gegen Richtlinien verstoßen, werden nach Aussage von Amazon sofort vom Netz genommen. "Amazon reagiert in der Regel recht schnell auf solche Meldungen", bestätigt Bachmann vom Händlerbund. Facebook hingegen weigere sich in den meisten Fällen, Kommentare von der Seite zu nehmen.
Plattformen haben das Problem erkannt, Mitarbeiter prüfen die Kommentare
Viele Plattformbetreiber haben das Problem jedoch erkannt und betreiben einen großen Aufwand, um Manipulationen aufzudecken: Für Jameda, eine deutsche Bewertungsplattform für Ärzte, arbeiten 15 Mitarbeiter, die nur damit beschäftigt sind, Fake-Bewertungen aufzudecken. Hinweise bekommt das Team von einem Algorithmus, der, ähnlich wie Reviewmeta, die Kommentare auf Fälschungen untersucht. Vor der Veröffentlichung sind davon ungefähr zehn Prozent der eingehenden Bewertungen betroffen.
Auch Amazon und die Bewertungsplattform Yelp haben einen solchen Algorithmus. Yelp empfiehlt 71 Prozent aller Bewertungen auf der Plattform. Der Rest der Kommentare sei "nicht hilfreich", also von Kritikern verfasst, die nach Auffassung von Yelp nicht vertrauenswürdig sind. Amazon will, auch auf Nachfrage, keine Zahlen bekannt geben.
Gleichwohl erscheinen jeden Tag neue Fake-Bewertungen im Netz. Auch Lucas W. macht fleißig weiter. Erst vor zwei Wochen bewertete er ein Smartphone auf Amazon: "Sehr gutes Display, Top Verarbeitung, Apps laufen alle flüssig!" Es gab fünf Sterne.