Chemiekonzern:Beispielloses Misstrauensvotum für Bayer-Chef Baumann

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Werner Baumann, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG, auf der Hauptversammlung des Konzerns. (Foto: dpa)
  • Nur knapp 44,5 Prozent der Bayer-Aktionäre sprechen dem Vorstand um Werner Baumann die Entlastung für seine Arbeit im vergangenen Jahr aus. Alles unter 90 Prozent gilt als "Abstrafung durch die Aktionäre".
  • Es war die ersten Hauptversammlung, seitdem Bayer den US-Saatguthersteller Monsanto übernommen hat. Kaum eine Übernahme stand je so unter Kritik.
  • Der Aufsichtsrat dagegen spricht dem Bayer-Vorstand das Vertrauen aus.

Von Elisabeth Dostert und Benedikt Müller, Bonn

Am Ende steht ein beispielloses Misstrauensvotum. Nur knapp 44,5 Prozent der Bayer-Aktionäre sprechen dem Vorstand um Werner Baumann die Entlastung für seine Arbeit im vergangenen Jahr aus. Dieses Votum der Investoren hat zunächst zwar keine bindenden Auswirkungen für den Chef des Pharma- und Agrochemiekonzerns. Dennoch: "Alles unter 90 Prozent Zustimmung bei der Entlastung ist eine Abstrafung durch die Aktionäre", hatte Daniel Bauer, Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), bereits im Vorfeld der Hauptversammlung von Bayer gesagt. Nun ist es noch dicker gekommen für die Spitze der einst wertvollsten Aktiengesellschaft Deutschlands.

Diese hat am Freitag zur ersten Hauptversammlung geladen, seitdem Bayer die Übernahme von Monsanto im Juni 2018 vollzogen hat. Rund 63 Milliarden Dollar hat der Dax-Konzern für den US-Saatguthersteller gezahlt. Nie zuvor hat ein Unternehmen aus Deutschland eine so teure Übernahme gewagt. Doch kaum eine stand so in der Kritik. An der Börse hat Bayer seither fast 40 Prozent seines Wertes verloren. Viele Aktionäre beklagen in der Hauptversammlung diese "Wertvernichtung historischen Ausmaßes".

Baumann hat viele gegen sich aufgebracht

Der Frust mündet am Freitagabend in jenem Abstimmungsergebnis mit Seltenheitswert. Zum Vergleich: Im Mai 2015 wurden die damaligen Co-Chefs der Deutschen Bank Jürgen Fitschen und Anshu Jain von der Hauptversammlung mit nur 61 Prozent der Stimmen entlastet. Damals dauerte es nicht lange, bis Jain die Deutsche Bank verließ, Fitschen blieb noch bis zur Hauptversammlung 2016.

Bayer-Chef Baumann hat in den vergangenen Jahren viele gegen sich aufgebracht, das wird am Freitag deutlich. Nicht nur institutionelle Investoren und Aktionärsvereinigungen, auch Bauern, Imker, Ärzte kritisieren die Übernahme von Monsanto. Schon knapp eine Stunde vor dem Aktionärstreffen mischen ein paar Hundert Aktivisten der Klimabewegung Fridays for Future vor dem Konferenzzentrum in Bonn die Aktionäre auf, die auf Einlass warten. "Kapitalisten, macht euch vom Acker", steht auf den Transparenten der Jugendlichen.

Doch das alte Muster - Kapitalisten gegen Öko-Aktivisten - gilt nicht mehr. Gute Zahlen reichen vielen Investoren nicht mehr. Genauso wenig industrielle Logik allein, Bayer ist mit der Übernahme von Monsanto zum Weltmarktführer in der Agrochemie aufgestiegen. Vielen Investoren geht es mittlerweile um mehr als die wirtschaftliche Dimension einer solchen Transaktion, sondern um die Folgen für Mensch und Umwelt.

Welche Landwirtschaft wünschen sich die Menschen?

"Bayer hat nicht nur die Aktionäre verloren, sondern die gesellschaftliche Akzeptanz", sagt Ingo Speich von Deka, der Fondsgesellschaft der Sparkassen. "Kalt, kälter, Bayer", sagt Joachim Kregel, Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK): "Es fehlen die menschlichen Berührungspunkte." Es fehlten Freunde von Bayer, die Glyphosat verteidigen. "Die Freundschaft der Menschen gewinnt man nicht mit guten Argumenten, wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien", sagt Kregel, "die gewinnt man mit positiven Emotionen, mit Empathie."

Es gab schon vor dem Kauf von Monsanto durch Bayer Fusionen in der Agrochemie: Chemchina übernahm Syngenta, auch Dupont und Dow Chemical schlossen sich zusammen. Aber keine Transaktion zog so viel Kritik auf sich wie Bayer und Monsanto, weil der US-Konzern schon vorher einen schlechten Ruf hatte, wegen des Unkrautvernichters Glyphosat, der alle grünen Pflanzen vernichtet, es sei denn, sie sind genetisch so verändert, dass das Gift ihnen nichts anhaben kann. Auch solch gentechnisch verändertes Saatgut liefert Monsanto. Wie kein anderer hat der Fall Bayer und Monsanto eine gesellschaftliche und ökologische Dimension: Welche Landwirtschaft wünschen sich die Menschen? Welche Lebensmittel wollen sie? Wie muss eine Landwirtschaft aussehen, die eine wachsende Weltbevölkerung ernährt?

64 Wortmeldungen gibt es bis zum späten Nachmittag. Die Redezeit wird begrenzt

"Wir wollen nicht abhängig sein von Saatgutkonzernen wie Bayer und Monsanto", sagt Georg Janßen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Wenn Saatgut in den Händen von immer weniger Weltkonzernen sei, hätten Landwirte immer weniger Auswahl an Pflanzensorten, die Preise könnten steigen. Die Übernahme von Monsanto sei ein Ausdruck von Größenwahn, kritisiert Janßen. "Uns als Deutsche hat es noch nie gutgetan, in Größenwahn zu verfallen."

Konzernchef Baumann verweist in Sachen Glyphosat auf die Fakten. Maßgeblich für die Bewertung und Zulassung von Produkten müssten weiter die unabhängigen Behörden sein, sagt er: "Sie entscheiden auf der Basis von wissenschaftlichen Analysen - und nicht auf der Basis von Emotionen." Es ist das erste Mal, dass der Vorstandschef am Freitag Beifall bekommt. Dabei ist er fast schon an Ende seiner Rede. Mehr als 60 Wortmeldungen folgen. Aufsichtsratschef Werner Wenning begrenzt die Redezeit, erst auf zehn, später auf sieben Minuten pro Redner, dann auf fünf, schließlich auf drei. Es gibt sehr viel Kritik und wenig Lob.

Nach gut zwölf Stunden dann der sprichwörtliche Paukenschlag der Aktionäre. "Wir bedauern dies außerordentlich", sagt Aufsichtsratschef Wenning. "Der Aufsichtsrat nimmt dieses Votum sehr ernst." Gleich nach Ende der Hauptversammlung zieht sich das Gremium, das selbst nur mit 66,4 Prozent der Aktionärsstimmen entlastet wurde, zu eingehenden Beratungen zurück.

Nach Mitternacht schließlich teilt Bayer mit, dass der Aufsichtsrat auch nach der Hauptversammlung "geschlossen hinter dem Vorstand" stehe. Man werde sich freilich in den kommenden Wochen "intensiv" mit den Ergebnissen und Diskussionen der Hauptversammlung beschäftigen.

Bis Mitte April wurden in den USA 13 400 Klagen wegen Glyphosat eingereicht, außerhalb der USA sei es eine einstellige Zahl. Viele der Kläger machen Glyphosat für ihre Krebserkrankung verantwortlich. In den beiden bisherigen Verfahren gewannen die Kläger. Baumann hält die erstinstanzlichen Urteile für falsch. "Wir werden uns ganz entschieden verteidigen", sagt Baumann. Doch könne es Jahre dauern, bis "wir zu einem Ergebnis für den Gesamtkomplex kommen".

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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