EZB-Bankenaufsicht und Dividenden:Falsch und riskant

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Skyline in Frankfurt - mit den Türmen der EZB und der Banken. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Eine schlechte Entscheidung der EZB: Europas Banken dürfen wieder Dividenden ausschütten - obwohl sie in der Corona-Krise stark von staatlichen Hilfen profitieren.

Kommentar von Markus Zydra, Frankfurt

Über den schlechten Zustand des europäischen Bankensektors gibt es keine zwei Meinungen. Schon lange warnt die zuständige Aufsichtsbehörde bei der Europäischen Zentralbank, der Markt sei überfüllt mit zu vielen Instituten, denen oft ein belastbares Geschäftsmodell fehle. Dieses dunkle Grundrauschen ist durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie deutlich lauter geworden. EZB-Bankenaufsichtschef Andrea Enria gab zu, die Kontrolleure befänden sich aktuell im "Blindflug", denn niemand wisse, wie viele Pleiten es im nächsten Jahr geben werde. Ein Firmenbankrott bedeutet, dass Kredite ausfallen. Daher müssen die Banken genügend Reserven haben, um diese Verluste auszugleichen. Enria rechnet im schlimmsten Fall mit faulen Krediten für Europas Bankensektor in Höhe von 1,4 Billionen Euro, gut drei Mal so viel wie derzeit und deutlich mehr als zum Höhepunkt der globalen Finanzkrise 2008/2009.

Angesichts dieser gewonnenen Erkenntnis muss man sich sehr wundern, dass die EZB den Banken unter bestimmten Bedingungen wieder erlaubt, Dividenden auszuzahlen: Aktionäre können also wieder kassieren, die Lobbyisten der Finanzindustrie haben es geschafft.

Die Entscheidung der EZB ist falsch, denn Europas Banken profitieren massiv von gesetzlichen Erleichterungen und Hilfen der Allgemeinheit. So müssen Kreditinstitute ihre Darlehen von der EZB-Notenbank unter Abzug des Negativzinses in Höhe von 0,5 Prozent nicht einmal voll zurückbezahlen. Dazu kommt: Die Rettungspakete der Euro-Staaten mit Kurzarbeitergeld sowie die Direkthilfen für Firmen stellen sicher, dass private Hausbesitzer und Unternehmen ihre Kredite bei den Banken noch bedienen können - was den Instituten erst erlaubt, in diesen Zeiten überhaupt noch Gewinne einzufahren. Dazu gewähren die Staaten umfangreiche Kreditgarantien, und die EU-Kommission hat gleich zu Beginn der Corona-Krise die Regeln so geändert, dass der Steuerzahler im Ernstfall wieder für eine Bankenpleite geradestehen sollte. Jeden Euro, den eine Bank künftig an den Aktionär gibt, müssten die Bürger im schlimmsten Fall also ausgleichen. Das kann niemand wollen.

Die große wirtschaftliche Unsicherheit ist ein weiterer Faktor, den man berücksichtigen sollte. Finanzinstitute können nur dann Dividenden auszahlen, wenn die Bank einen Profit macht. Doch was sind ausgewiesene Bilanzgewinne in diesen Zeiten wert, wenn keine Bank weiß, welche Kunden demnächst ihre Kredite nicht mehr bezahlen können? Viele Experten warnen, dass die Bilanzzahlen für 2020 den Zustand der Finanzbranche nicht vollständig darstellten. In Deutschland ist beispielsweise die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Das schafft Entlastung für Firmen und Schuldner, doch dadurch werden unvermeidbare Pleiten in die Zukunft verschoben. Man kann nur ahnen, bei welchen Banken die entstehenden Verluste einschlagen werden. Aber sie werden kommen.

Eigentlich gäbe es eine gute Lösung, aber die erfordert außergewöhnlich viel Fantasie

Trotz dieser Unwägbarkeiten bei den künftigen Erträgen erlaubt die EZB den europäischen Banken auch, an ihre Topmanager Boni zu bezahlen. Diese Erfolgsprämien sind zwar an Bedingungen geknüpft, aber dennoch: Warum gestattet die Bankenaufsicht all das in Zeiten, in denen sie selbst sagt, ihr fehle bei den potenziellen Bankenrisiken der Durchblick - während gleichzeitig große Teile der Gesellschaft schmerzhafte Opfer bringen?

Eine mögliche Erklärung: Es könnte rechtliche Probleme geben, verbindliche Verbote bei den Banken durchzusetzen. Aber juristisch ausgereizt hat die EZB dieses Problem noch überhaupt nicht. Mutige Aufseher könnten es drauf ankommen lassen. Sollen die Banken doch gegen ein Dividenden- und Boni-Verbot klagen. Das würde der ohnehin schlechten Reputation der Branche nur noch mehr schaden.

Eine gute Lösung liegt auf der Hand, und doch klingt der folgende Vorschlag wie der eines Besinnungslosen: Die europäische Kreditwirtschaft könnte per Verbandsbeschluss freiwillig auf Dividendenauszahlung an die Aktionäre und vor allem auch auf die Boni für Manager verzichten, weil das Geld besser aufgehoben ist, wenn man es zurücklegt als Puffer für Verluste. Das wäre ein Coup. Banker reihen sich ein in den Rest der Gesellschaft, die in dieser Krise große Opfer bringt. Eine Branche, der viele Menschen oft berechtigt Gier und Rücksichtslosigkeit attestieren, würde einen Hauch von Verantwortung zeigen.

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