Bahn:Tunnelblick statt Weitsicht

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

Die Bahn steckt viele Milliarden Euro und viel Zeit in ein Bahnhofsprojekt in Frankfurt. Was gut gedacht ist, kommt jedoch viel zu spät - und wird am Ende vielleicht keinem wirklich nützen.

Von Christina Kunkel

Schon bevor die Sorge vor der Ansteckung mit dem Coronavirus viele Menschen raus aus den Zügen und rein ins Auto oder aufs Fahrrad trieb, war die Bahn nicht gerade der größte Sympathieträger. Zu unpünktlich, zu unkomfortabel und dann auch oft noch richtig teuer, wenn man nicht gerade den Super-Sparpreis fünf Monate im Voraus gebucht hatte. Allerdings: Wenn man es wirklich ernst meint mit klimafreundlichem Transport, kommt man nicht drumherum, mehr Menschen zum Zugfahren zu bewegen.

Damit das nicht nur Wunschdenken bleibt, will die Bahn jetzt noch einmal richtig klotzen. Diesmal soll in Frankfurt gegraben und für neue Bahngleise getunnelt werden. Tatsächlich kann das Milliarden-Vorhaben im besten Fall einige Verkehrsprobleme lösen. Doch auch dieses Projekt zeigt wieder, dass den Verantwortlichen in Deutschland bei der Mobilitätswende der Weitblick fehlt.

Echt jetzt: 3,6 Milliarden Euro Baukosten für acht Minuten Zeitersparnis?

Noch so ein Verkehrsgroßprojekt also, das am Ende wahrscheinlich viel mehr kosten wird als die jetzt genannten 3,6 Milliarden Euro. Und die Bauzeit? So richtig festlegen will sich die Bahn besser gleich gar nicht. Irgendwann Ende des nächsten Jahrzehnts, also vielleicht erst 2040. Hat man nicht eindrucksvoll an der Dauer-Zoff-Baustelle Stuttgart 21 oder dem Berliner Pannen-Flughafen gesehen, wie große Bauvorhaben anstatt zu besserer Mobilität nur zu mehr Verdruss und Kosten führen? Nein, es ist tatsächlich keine Freude, durch den immer noch notdürftig in Betrieb gehaltenen alten Stuttgarter Bahnhof zu hetzen in dem Wissen, dass dieses ganze Elend wohl noch mindestens drei Jahre weitergehen wird. Wer sowas über Jahre mitmacht, dem vergeht die Lust aufs Zugfahren endgültig.

Und natürlich kann ein ähnliches Desaster auch wieder in Frankfurt passieren. Für die Menschen in der Stadt und die vielen Pendler wird das Großprojekt viele Jahre lang Baustellen-Improvisation bedeuten. Ob der Zug ausfällt oder zu spät kommt, weil er wegen Bauarbeiten umgeleitet werden muss oder wie jetzt so oft aufgrund des Nadelöhrs bei der Einfahrt in den Hauptbahnhof warten muss - am Ende spielt das keine Rolle.

Dennoch kann man den Verantwortlichen bei der Bahn zumindest zugute halten, dass sie in Frankfurt an einem wichtigen Knotenpunkt ansetzen. Wenn es dort klemmt (und das tut es schon seit Jahren viel zu oft), hat das Auswirkungen auf viele andere große Bahnhöfe. Und mit der Untertunnelung sollen, heißt es, mehr Züge durch Frankfurt geschleust werden können. Auch die Idee, die Kapazitäten mit einem Tunnel zu erweitern, anstatt gleich den alten Bahnhof abzureißen, kann dazu beitragen, dass die Proteste und auch die Einschränkungen in der Bauphase nicht ganz so heftig werden wie etwa in Stuttgart.

Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie elendig lange es dauert, bis seit Jahrzehnten bestehende Mobilitätsprobleme angegangen werden. Wenn alles gut läuft, ist der neue Frankfurter Tunnel Ende des nächsten Jahrzehnts fertig. Vergegenwärtigt man sich aber die Dringlichkeit, mit der man viel mehr Menschen vom Nutzen klimafreundlicherer Verkehrsmittel überzeugen müsste, dann darf man durchaus die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller wäre, die vielen Milliarden lieber in Maßnahmen zu investieren, die einen schnelleren Effekt hätten. Seien es Züge, bei denen simple Dinge wie Wlan, Klimaanlage oder Reservierungsanzeigen zuverlässig funktionieren. Oder die Wiederbelebung von stillgelegten Bahnstrecken, um auch auf dem Land mehr Menschen vom Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu überzeugen.

Und nicht zuletzt fehlt bei solch langfristigen Großprojekten wie jetzt in Frankfurt auch der Weitblick, wie denn der mobile Alltag der Menschen in 15 oder 20 Jahren aussehen könnte. Dazu muss man nur den technologischen Fortschritt in den vergangenen beiden Jahrzehnten betrachten und all das, was bereits abseits vom Bahnfahren, wie man es heute kennt, entwickelt und getestet wird. Fahrerlose Elektroshuttles, Hyperloops oder Flugtaxis: Vielleicht ist es 2040 ja gar nicht mehr so wichtig, ob ein ICE ein bisschen schneller oder mit weniger Verspätung den Frankfurter Bahnhof passiert. Übrigens: Die Bahn selbst verspricht einen Zeitvorteil von gerade einmal acht Minuten.

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