Bahn-Chef Mehdorn:Streckenweise dreist

Lesezeit: 3 min

Datenskandal bei der Deutschen Bahn: Wie viel wusste Konzernchef Hartmut Mehdorn davon, dass sein Unternehmen die Mails von Mitarbeitern ausspähen ließ?

Michael Bauchmüller und Klaus Ott

Der Aufsichtsrat der Bahn hatte gerade sein heikelstes Thema aufgerufen, da fuhr die Limousine von Peer Steinbrück (SPD) vor. In diesem Moment war auch dem letzten in der Konzernzentrale der Deutschen Bahn (DB) klar, dass die Lage ernst ist. Der Finanzminister findet sich nicht oft im Bahntower am Potsdamer Platz in Berlin ein; wohl aber hat er einiges zu sagen: Dem Bund gehört die Bahn, Steinbrück vertritt gewissermaßen den Eigentümer. Die letzte Stunde von Bahnchef Hartmut Mehdorn schien gekommen zu sein.

Kämpfernatur Mehdorn: Er selbst lehnt einen Rückzug vom Bahn-Chefposten ab, doch sein Rückhalt wird immer geringer. (Foto: Foto: Reuters)

Oben, im 21. Stock des Gebäudes, hörten sich die Aufsichtsräte gerade die neuesten Enthüllungen aus der Datenwelt des Staatskonzerns an. Nicht nur nach korrupten Mitarbeitern hatte das Unternehmen gesucht, sondern auch nach angeblichen Verrätern in den eigenen Reihen. Die Bahn hatte den E-Mail-Verkehr von Mitarbeitern jahrelang nach Kontakten zu Journalisten durchforstet, noch bis vor einem halben Jahr. Bis zu 150000 E-Mails am Tag ließ sie auf bestimmte Schlagwörter und Adressen hin überprüfen. Der Datenskandal der Bahn hatte eine andere, eine neue Dimension erreicht.

Turbulente Sitzung

Steinbrück, so stellte sich später heraus, wollte aber gar nicht zu den Oberkontrolleuren, er wollte ins Dachrestaurant des Bahntowers: zum Mittagessen mit seinem schwedischen Kollegen. Und während die beiden über den Dächern Berlins nett tafelten, geriet ein paar Stockwerke weiter unten das Reich des Hartmut Mehdorn aus den Fugen. Nach einer hitzigen Sitzung, nach endlosen Besprechungen, kehrten die Arbeitnehmervertreter Mehdorn den Rücken, endgültig. "Herr Mehdorn muss den Hut nehmen", sagte Klaus-Dieter Hommel, Chef der Gewerkschaft GDBA.

"Geschockt" zeigte sich Transnet-Chef Alexander Kirchner. "Jetzt ist Schluss", sagte Claus Weselsky, Kopf der Lokführer-Gewerkschaft GDL. "Mehdorn muss gehen." Selbst wenn Steinbrück in den Aufsichtsrat gekommen wäre, so viel Wucht hätte er kaum erzeugen können. Die Uhr tickt jetzt gegen den Bahnchef - denn Arbeitnehmervertreter haben jede zweite Stimme im Aufsichtsrat. Sogar bei einigen dieser Aufsichtsräte soll die Bahn den E-Mail-Verkehr ausgeforscht haben. Außerdem sollen E-Mails der GDL von der Aktion erfasst worden seien. Gegen den Willen der Gewerkschaftsvertreter und der SPD-Politiker im Aufsichtsrat kann der Bahnchef kaum im Amt bleiben.

Seit Wochen ist Mehdorn in Bedrängnis: Weil er lange abgewiegelt hat, nichts von einer Affäre wissen wollte und weil die Spähaktionen erst nach und nach bekannt wurden. Und immer wieder hat sich der Bahnchef hingestellt und gesagt, davon nichts gewusst zu haben. Das war schon so, als sich im Januar und Februar herausgestellt hatte, dass die Privatadressen, Telefonnummern und Bankverbindungen nahezu der gesamten Belegschaft wiederholt mit den Daten von 80000 Firmen abgeglichen worden waren. Die Bahn hatte möglichen Scheinfirmen auf die Spur kommen wollen, über die sich DB-Mitarbeiter womöglich selbst Aufträge zuschanzten, um so den eigenen Arbeitgeber auszunehmen. Doch auch Lokführer, Schaffner und andere Angestellte, die mit der Auftragsvergabe der Bahn nichts zu tun haben, waren erfasst worden. Mehdorn entschuldigte sich nach langem Zögern und schob die Schuld auf die Konzernrevision. Am Freitag teilte der Bahnvorstand dem Aufsichtsrat mit, von der Durchforstung der E-Mails erst am Donnerstag erfahren zu haben.

Entsetzte Gewerkschafter

Die Gewerkschaften registrieren das ungläubig. Weiß der Konzernchef wirklich nicht, was in seinem Betrieb geschieht? Oder will er es nicht wissen? Auskunft geben könnte Josef Bähr, der Leiter der Konzernrevision, der Mehdorn direkt zugeordnet ist. Doch einen Tag, ehe Bähr im Verkehrsausschuss des Bundestags über die Datenaffäre Auskunft geben sollte, ließ er sich von Mehdorn beurlauben und sagte dem Parlament ab. Alle Versuche der Abgeordneten, ihn doch noch vorzuladen, scheiterten. Die vom Aufsichtsrat der Bahn eingesetzten Sonderermittler, die den Skandal aufklären sollen, haben inzwischen ein erstes Mal mit Bähr reden können. Sonderlich ergiebig soll das aber nicht gewesen sein.

Wird Mehdorn gedeckt? Und was wird Alexander Hedderich aussagen, der Manager, der den Börsengang der Bahn vorbereiten sollte? Nach Erkenntnissen der Sonderermittler soll Hedderich die Ausspähung des E-Mail-Verkehrs angeordnet haben. Hedderich dementierte sofort. Das sei "Quatsch". Er bestritt, von solchen Aktionen gewusst zu haben, und schon gar nicht habe er dafür Verantwortung getragen. Hedderich ist Strategiechef des Konzerns, er gilt als rechte Hand Mehdorns, sollte dessen Lieblingsprojekt vorantreiben: den Börsengang, die Privatisierung des letzten großen Staatskonzerns Deutschlands. Eigentlich sollte dies die Karriere des Bahnchefs krönen. Doch die Finanzkrise vereitelte das Projekt. Stattdessen droht dem gebürtigen Berliner, der nach etlichen Stationen in der Industrie in seine Heimatstadt Berlin zurückgekommen war, nun ein unrühmlicher Abgang.

Mehdorn, die Kämpfernatur

Aber natürlich, so ist Mehdorns Natur, wird er kämpfen bis zum Schluss. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihn bislang gestützt, aber das dürfte ihr nun schwer fallen. Die Bahn hat ihre Mitarbeiter sogar nach Kontakten in den Bundestag ausgeforscht, nach E-Mails an einen Mitarbeiter des FDP-Abgeordneten Horst Friedrich, der Mehdorn besonders gern und heftig attackiert.

Am Freitag meldete sich in Berlin niemand mehr zu Wort, um Mehdorn zu verteidigen. Auch nicht der frühere Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, der den Aufsichtsrat der Bahn leitet. Nach der Sitzung bebte Müller schier vor Erregung über das, was er gerade an neuen Erkenntnissen gehört hatte.

Dann flüchtete er wortlos in seinen Dienstwagen.

© SZ vom 28./29.03.2009/mel/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: