Ausverkauf bei Quelle:Aasgeier vom Dienst

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Einst war es eine Goldgrube, jetzt kämpfen Kunden im Nürnberger Quelle-Kaufhaus um die letzten Schnäppchen. Ein Streifzug mit peinlichen und traurigen Szenen.

Roman Deininger

Manche scheinen gar nicht zu begreifen, was hier passiert, was dieser Tumult zwischen Wühltischen und Paletten eigentlich bedeutet. Oder schlimmer, es interessiert sie einfach nicht. Die Frau im grünen Anorak zum Beispiel. Ob da "mal endlich jemand" rüber komme zu den Bademöbeln, fragt sie einen jungen Verkäufer, der mit zwei anderen Kunden im Schlepptau vorbeihetzt. Er kümmere sich gleich, ruft er höflich.

Flagship Store einer Handelslegende: Im Nürnberger Quelle-Kaufhaus ist jetzt Schnäppchenjagd angesagt. Ende November sollen hier die Lichter ausgehen. (Foto: Foto: ddp)

"Aber da muss doch jemand sein", protestiert die Frau, und jetzt bleibt der arme Kerl stehen. "Da muss keiner mehr sein", sagt er, es klingt nicht ruppig, nur ehrlich und ein bisschen traurig. Zwei Minuten später kommt er zurück und hilft der Kundin beim Abtransport des letzten verbliebenen Hängeschranks, "pflegeleichter Kunststoff, weiß".

So also sieht das Ende aus. Quelle wird abgewickelt, und wer ein einziges Bild sucht, das den Sturz dieses Traditionsunternehmens ins Nichts wirklich erfasst, die ganze Trostlosigkeit, der findet es hier, im Quelle-Kaufhaus in der Fürther Straße zu Nürnberg. Das Haus war einst eine Goldgrube, und bis heute ist es ein Erinnerungsort für die Menschen der Region, die in dem riesigen Klinkerbau ihre erste Waschmaschine gekauft haben oder alle zehn Jahre einen neuen Fernseher, Marke Universum.

Eine alte Dame erzählt, dass sie früher oft einen Umweg nach Hause geradelt ist, "nur um zu schauen, wie bei der Quelle die Schaufenster geschmückt sind". In der Welt, in der kein Platz mehr ist für die Quelle, würde man vielleicht sagen: Es war der Flagship Store einer Handelslegende.

Wettlauf um die Schnäppchen

Auf fünf Etagen wurden hier früher Waren präsentiert, heute sind die obersten beiden längst geschlossen. Weite Ecken sind mit rot-weißem Signalband abgesperrt, dahinter stapeln sich Dutzende Jeans und Lederjacken, zerrissene Werbeplakate und nackte Schaufensterpuppen. Auf der anderen Seite des Signalbands regiert das Chaos.

Als das Aus für Quelle am späten Montagabend feststand, brach für Tausende, Zehntausende Menschen in Nürnberg und Fürth eine Welt zusammen. Für andere begann der Wettlauf um die größten Schnäppchen. Hunderte drängen sich am Donnerstagvormittag zwischen halbleeren Regalen, reißen Shampoo-Flaschen direkt aus den Lagerkartons und feilschen bei Fünf-Euro-Plastikuhren um zusätzlichen Rabatt.

Umständlich steigen sie über Langlaufski hinweg, die irgendwer im Gang hat liegen lassen. Eine Frau fährt einen Flachbildfernseher im Kinderwagen durch die Gegend. Über den Köpfen baumeln so viele rote "Reduziert"-Schilder, dass man auf den ersten Blick nicht sagen kann, welche Farbe die Decke hat.

Lager räumen durch "ordentliche" Preisnachlässe, hat der Insolvenzverwalter angeordnet, "und jetzt kommen eben die Aasgeier", sagt eine Verkäuferin, die ihren Namen wie fast alle hier lieber nicht in der Zeitung lesen will. Ende November soll das Kaufhaus schließen, vielleicht früher. Man wolle "die Sache mit Würde zu Ende bringen", sagt ein Abteilungsleiter, fast 30 Jahre ist er im Betrieb. "Bitter" würden diese Wochen noch, aber den Kunden wolle er keinen Vorwurf machen: "Ich verstehe, dass die Leute sparen wollen".

Das mit der Würde, sagt seine Kollegin, sei allerdings nicht ganz so einfach, "wenn man von den Leuten laufend angeschnauzt wird". Und, "ach ja", dass es der Würde durchaus förderlich wäre, wenn es auf der Personaltoilette noch Klopapier gäbe. Ein paar Meter weiter werfen sich zwei Kinder einen Plüscheisbären zu.

Wehmütige Momente

Noch viel greifbarer wird die Enttäuschung und Wut der Quelle-Mitarbeiter in einem Diskussionsforum für die Belegschaft im Internet. Dem Betreiber eines kleinen Quelle-Shops geht es wie den Kollegen im großen Kaufhaus: "Leichenfledderer unterwegs", hat er seine Zeilen betitelt. Ein anderer berichtet, dass er einen allzu dreisten Kunden einfach aus dem Laden geschmissen habe. Ein Dritter schreibt: "Abverkauf, grrrrrrr. Ich könnte in die Luft gehen!!!"

Vorwürfe richten die meisten auch an die Insolvenzverwalter und Manager: "Alle Großköpfe haben sich bei uns eine goldene Nase verdient." Und dann schwebt natürlich über jedem einzelnen Beitrag die Frage, wie es weitergeht.

Es gibt aber, inmitten des Ärgers und der Angst, auch wehmütige, vielleicht sogar schöne Momente. Viele Stammkunden hätten sie trösten wollen, sagt die wütende Verkäuferin im Quelle-Kaufhaus. Meistens habe sie dann am Ende die Stammkunden getröstet, "die wollen nicht woanders einkaufen müssen". Im zweiten Stock, Abteilung Damenoberbekleidung, erzählt eine Rentnerin, dass sie bei Quelle immer an Weihnachten denke, ans Geschenkekaufen und vor allem an die festliche Beleuchtung. Ein wenig sei sie nun auch zum Abschiednehmen hier.

An Weihnachten 2009 wird im Quelle-Kaufhaus kein Licht mehr brennen.

© SZ vom 23.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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