Mitbestimmung:Der Einfluss der Arbeitnehmer in Dax-Konzernen schwindet

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Beim Online-Modehändler Zalando, möglicherweise von Herbst an im Dax, sind von neun Aufsichtsräten nur drei von der Arbeitnehmerseite. (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

In immer weniger Aufsichtsräten sitzen Vertreter der Belegschaft. Das hat Folgen.

Von Caspar Busse

Sie wurde vor 70 Jahren erstmals eingeführt: Auf die Mitbestimmung sind viele in der deutschen Wirtschaft besonders stolz. So waren und sind bis heute die Aufsichtsräte großer Traditionsunternehmen in der Regel paritätisch besetzt, das heißt: Vertreter der Anteilseigner und der Mitarbeiter entsenden jeweils die gleiche Anzahl von Mitgliedern, bei einem Patt im Aufsichtsrat entscheidet die Stimme des oder der Vorsitzenden des Gremiums. Damit sitzen die Beschäftigten mit am Tisch und sind in die großen unternehmenspolitischen Entscheidungen eingebunden - was oft gut ist für den viel zitierten "Betriebsfrieden" und die Akzeptanz auch für harte unternehmenspolitische Entscheidungen erhöht.

Doch dieses Modell der Mitbestimmung ist auf dem Rückzug. Der Einfluss der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Dax-Unternehmen nimmt kontinuierlich ab. Von September 2021 an könnte ein Viertel der Dax-Aufsichtsräte ohne Arbeitnehmervertreter sein, stellt Russell Reynolds, eine der weltweit führenden Personalberatungen, jetzt in einer Untersuchung fest. Waren im Jahr 2015 noch alle 30 Aufsichtsräte der Dax-Unternehmen mitbestimmt, so sind es zurzeit nur noch 26. Im September wird der Dax voraussichtlich auf 40 Mitglieder aufgestockt werden. Sollten die aktuell gehandelten Kandidaten für den neuen Dax-40 auch in den Index aufgenommen werden, würden in zehn Aufsichtsräten, also einem Viertel der Dax-Unternehmen, keine Arbeitnehmervertreter mehr sitzen, so die Analyse von Russell Reynolds.

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Es gibt mehrere Gründe, warum Aufsichtsräte nicht paritätisch besetzt sind. So unterliegen Unternehmen, die ihren Sitz im Ausland haben, nicht der deutschen Mitbestimmung, das ist derzeit im Dax Linde, bei den Dax-40-Kandidaten sind das Airbus und Qiagen. Unternehmen, die als europäische Aktiengesellschaft SE firmieren und bei ihrer Gründung nicht mitbestimmungspflichtig waren, können das bei späteren Veränderungen, etwa der Unternehmensgröße, fortschreiben. Das trifft derzeit auf Vonovia und Deutsche Wohnen zu, bei den Dax-40-Aspiranten auf Brenntag und Hellofresh. Zwei Dax-Unternehmen gelten als Teilkonzerne mitbestimmter Konzernmütter und unterliegen deshalb nicht der paritätischen Mitbestimmung, das sind derzeit Fresenius Medical Care und Siemens Healthineers. Auch für Finanzholdings wie die Porsche SE gibt es laut Studie Ausnahmen von der paritätischen Mitbestimmung. Die beiden Aufstiegskandidaten Zalando und Hannover Re seien nur zur Drittelmitbestimmung verpflichtet, bei dem Onlinehändler etwa sind von neun Aufsichtsräten lediglich drei von der Arbeitnehmerseite.

Im M-Dax sei die Entwicklung für die Arbeitnehmervertreter noch dramatischer. Gab es der Analyse zufolge 2016 von den damals 50 M-Dax-Unternehmen zwölf ohne Arbeitnehmervertreter, so ist diese Zahl im M-Dax von 2021 (mit jetzt 60 Mitgliedern) auf 26 gestiegen, das sind mehr als 40 Prozent. "Es muss hinterfragt werden, ob damit das durchaus erfolgreiche deutsche Modell der Mitbestimmung schleichend ausgehebelt wird", sagt Russell-Reynolds-Vertreter Thomas Tomkos, der die Analyse betreut hat. Dies gelte umso mehr, als der Gesetzgeber vielfach Regelungen ausschließlich für paritätisch mitbestimmte Unternehmen schaffe. Das Gesetz zur Einführung einer Frauenquote in Vorständen etwa gelte nur für börsennotierte und gleichzeitig paritätisch mitbestimmte Unternehmen.

Der Frauenanteil auf Aktionärsvertreterseite hat sich laut Studie auch 2021 weiter erhöht und liegt derzeit bei einem Drittel. Für den gesamten Aufsichtsrat inklusive Arbeitnehmervertreter bleibe der durchschnittliche Frauenanteil unverändert bei 36 Prozent. Mit einer Ausnahme (Linde) würden jetzt alle Dax-Unternehmen über der geforderten Marke von 30 Prozent Frauenanteil im Aufsichtsrat liegen. Zwei Dax-Unternehmen, nämlich Covestro und Infineon, hätten mit 50 Prozent Parität erreicht. Beim Anteil der Frauen als Vorsitzende des Aufsichtsrats oder von Ausschüssen gebe es allerdings erneut keinen Fortschritt.

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