Energiewirtschaft:Atomkraft bleibt Staatsräson

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Das AKW Fessenheim wird vom Netz gehen. (Foto: Christophe Karaba/dpa)

Frankreichs Staatspräsident Macron will das Kernkraftwerk Fessenheim stilllegen. Doch das ist keine energiepolitische Wende.

Von Leo Klimm

Emmanuel Macron hält Wort: Das Atomkraftwerk Fessenheim wird im Sommer 2020 stillgelegt. So, wie es der französische Präsident angekündigt hatte. Das mag für Erleichterung sorgen - weniger im atomgläubigen Frankreich als im atomskeptischen Deutschland, wo das Aus für die zwei pannengeplagten Reaktoren seit Jahren herbeigesehnt wurde. Frankreichs älteste noch betriebene Meiler stehen schließlich nicht nur direkt an der Grenze, sondern auch noch im erdbebengefährdeten Gebiet.

Macron hat ein längst fälliges französisches Versprechen eingelöst. Mehr nicht. Einen Schluss lässt die Stilllegung Fessenheims - Macrons Beteuerungen zum "ökologischen Übergang" zum Trotz - gerade nicht zu: dass dieser Präsident generell die Verringerung der krassen französischen Atomabhängigkeit und eine Wende hin zu erneuerbaren Energien vorantreiben würde. In Frankreich findet keine Wende statt, schon gar nicht in den Köpfen der Führungselite. Atomkraft bleibt Staatsräson. Macron und seine Regierung haben keinen Willen, keinen Plan und kein Geld, um die riskante und zunehmend teure Atomtechnologie des Landes herunterzufahren.

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Obwohl Frankreich mehr Fläche, mehr Sonne und mehr Küste hat als Deutschland, bezieht es aus Solar-und Windenergie deutlich weniger Strom. Der Ausbau dieser Energieträger kommt auch nur schleppend voran. Dieses vermeintliche Paradox hat einen Grund: Die Macht in der Energiepolitik des Landes liegt in den Händen der staatlichen Atomindustrie, die fast drei Viertel des Stroms liefert. Sie ist, wie Macrons Wirtschaftsminister jüngst freimütig formuliert hat, "ein Staat im Staat". Angesichts dieser Abhängigkeiten sind die Ankündigungen, die Macron und zuvor schon sein Amtsvorgänger François Hollande zum Abbau der Atomkraft gemacht haben, nichts als ausgesprochen unverbindliche Absichtserklärungen. Das in Frankreich geltende "Gesetz zum energetischen Übergang" ist so ausgelegt, dass es nicht einmal die Abschaltung eines einzigen Meilers erzwingt.

Gerade Macron ist ein Freund der Atomkraft. Nachdem unter Hollande kein Reaktor abgeschaltet wurde, schob er die Frist zur Verringerung des Atomkraftanteils am Strom um zehn Jahre auf: statt 2025 soll die Kernspaltung nun erst im Jahr 2035 nur noch 50 Prozent der Stromproduktion ausmachen. Wie Macron sein Ziel erreichen will, bis zu diesem Datum 14 der insgesamt 58 Reaktoren des Landes stillzulegen, bleibt vollkommen unklar. Der Widerstand des staatlichen Stromkonzerns EDF gegen die Schließung der amortisierten und damit hoch rentablen AKWs wird heftig sein und jahrelange Verhandlungen mit sich bringen - so, wie es auch bei Fessenheim war. Fast schon absurd: Mit Verweis auf die Versorgungssicherheit macht die Regierung in Paris das Aus für Reaktoren auch vom Ausbau erneuerbarer Energieträger außerhalb Frankreichs abhängig. Und Macron hält sich sogar die Möglichkeit offen, neue Atommeiler zu errichten. Dass der Bau eines neuen Druckwasserreaktors in der Normandie gerade völlig aus dem Ruder läuft, schreckt ihn nicht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Stromgewinnung aus Kernspaltung forciert worden, um das Land autark zu machen und mit billiger Energie zu versorgen. Was einst eine Stärke der französischen Wirtschaft war, verkehrt sich immer mehr zur Last: Die alternden Atomkraftwerke sind pannenanfällig und teuer. Regelmäßig muss EDF technische Mängel an den Meilern eingestehen. In den vergangenen Jahren kam es vor, dass mehr als ein Drittel der Kraftwerke stillstand. Dann war die Autarkie dahin, und es musste deutscher Ökostrom importiert werden. Misswirtschaft in staatlichen Atomfirmen kostete die Steuerzahler Milliarden; und weil die Risiken von EDFs Kraftwerken immer schwerer an den Märkten zu finanzieren sind, könnten auch sie bald vollständig an den Staat überführt werden. Trotz alledem ist die Laufzeitverlängerung für Reaktoren, die ursprünglich nur für einen Betrieb von 40 Jahren ausgelegt waren, eine wahrscheinliche Option. Es ist, verglichen mit dem entschlossenen Ausbau erneuerbarer Energien, die billigere Lösung.

Frankreich ist ein Gefangener der Atomkraft. Doch es stört sich nicht daran. Im Gegenteil: In der aktuellen Klimadebatte zeigen französische Politiker gern auf Deutschland und seinen schmutzigen Kohlestrom. Zurecht. Frankreich - und an seiner Spitze Macron - aber hält sich dank CO2-armen Atomstroms für einen großen Klimaschützer. Ein Vorwand mehr, nicht an der Staatsräson zu rütteln.

© SZ vom 01.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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