Arcandor:900 Millionen Euro - dringend benötigt

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Arcandor erklärt seine Luxustempel zu unerwünschten Segmenten, setzt dafür auf Touristik und Sport - und braucht in den nächsten Jahren 900 Millionen Euro.

Der angeschlagene Handels- und Touristikkonzern Arcandor will mit einer weiteren Verschlankung und einem neuen Großkredit die Weichen für eine Rückkehr in die schwarzen Zahlen stellen. Ein von Vorstandschef Karl-Gerhard Eick vorgestelltes Sanierungsprogramm sieht vor, Teile des defizitären Warenhaus- und Versandgeschäfts zur Disposition zu stellen und über die nächsten fünf Jahre bis zu 900 Millionen Euro an neuen Krediten aufzunehmen. Die profitable Tourismus-Tochter Tochter Thomas Cook, dritte Säule des Konzerns, bleibt unangetastet.

Arcandor verordnet sich eine Radikalkur - und erklärt die Luxus-Warenhäuser zum unerwünschten Konzernsegment. (Foto: Foto: AP)

Unerwünschte Luxushäuser

Im Detail gehören künftig neun weniger profitable Warenhaus-Filialen sowie auch die drei Nobel-Filialen KaDeWe in Berlin, das Alsterhaus in Hamburg und der Oberpollinger in München nicht länger zum Kerngeschäft. In der Versandsparte werden 1500 Quelle-Geschäfte und 115 Quelle Technikcenter in eine Entwicklungsgesellschaft ausgegliedert, über die vorrangig neue Käufer oder Partner für diese Konzernteile gefunden werden sollen. Die Nobel-Warenhäuser sollen den Angaben zufolge als hochwertige Warenhäuser weiterentwickelt werden.

Insgesamt gehören damit 12 500 der rund 53 000 in Deutschland beschäftigten Arcandor-Mitarbeiter zu den aus dem Kerngeschäft ausgegliederten Unternehmensteilen - knapp jeder vierte. Zu möglichen Entlassungen machte Eick keine Angaben. Schließungen der ausgegliederten Konzernteile werde es nur geben, "wenn alle anderen Wege nicht gehen", sagte er dazu. Die aufgelegte Entwicklungsgesellschaft sei "keine Abwicklungsgesellschaft" fügte Warenhaus-Chef Stefan Herzberg hinzu.

Zu dem profitablen Kerngeschäft von Karstadt gehören damit nun 81 Karstadt-Filialen sowie 27 Karstadt Sports-Filialen. Bei den Kunden soll künftig die laut Eick "profilierte Mitte" der 35- bis über 65-Jährigen im Mittelpunkt stehen. Bei dem unter dem Namen Primondo laufenden Versandgeschäft setzt Arcandor auf das Internet- und Kataloggeschäft von Quelle. Die Hälfte aller Neukunden seien schon heute reine Internet-Kunden. Im Geschäftsjahr 2010/2011 wolle Quelle im Internet genauso viel Umsatz machen wie mit dem Katalog.

Der Staat soll helfen

Weiter den Rotstift ansetzen will Arcandor auch: So soll durch die Zusammenlegung der bislang getrennten Beschaffung von Warenhäusern und Versand bis zu fünf Prozent des Einkaufsvolumens eingespart werden. Bereits auf der Hauptversammlung vor einem Monat hatte Eick "harte Kärnerarbeit" bei der Sanierung des tief in den roten Zahlen steckenden Konzerns angekündigt. Im Geschäftsjahr 2007/2008 hatte Arcandor einen Verlust von 746 Millionen Euro angehäuft bei einem Umsatz von 19,9 Milliarden Euro und einem Schuldenstand von über einer Milliarde Euro.

Für den neuen Kredit schließt Eick auch staatliche Hilfen nicht aus. "Alleine über die Banken wird es nicht gehen", merkte er dazu an. Er gehe aber davon aus, dass Arcandor die 900 Millionen Euro bekommen werde. Für das Sanierungsprogramm hat der Vorstand eine Laufzeit von rund drei Jahren angesetzt.

Die Bundesregierung hat Arcandor unterdessen Unterstützung signalisiert. "Natürlich stünde der Wirtschaftsfonds auch Arcandor offen, sofern sich das Unternehmen entscheidet, die Möglichkeiten zu nutzen", sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Der mit dem zweiten Konjunkturpaket der Regierung eingerichtete Fonds biete verschiedene Möglichkeiten wie Bürgschaften und Kredite, um Firmen in schwieriger Lage zu helfen. Die Bundesregierung führe Gespräche mit Unternehmen aller Branchen, die von der konjunkturellen Lage betroffen seien.

Auf der nächsten Seite: Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Neustrukturierung von Arcandor.

Der Touristik- und Handelskonzern Arcandor kämpft ums Überleben. Ein drastisches Sparprogramm soll nun die beiden bekanntesten Tochterunternehmen Karstadt und Quelle wieder in die Gewinnzone zurückbringen. Doch was bedeutet das für Kunden und Mitarbeiter. Fragen und Antworten:

Was bedeutet das Sanierungsprogramm für die Karstadt-Kunden?

Es dürfte wohl schon bald weniger Karstadt-Filialen in Deutschland geben. Acht Karstadt-Geschäfte (Kiel Alter Markt, Hanau, Kaiserslautern, Hamburg Billstedt, Bottrop, Leipzig, Ludwigsburg, München am Dom) und die Karstadt Sports-Filiale in Recklinghausen stehen zur Disposition. Bei vier der Filialen wird bereits konkret über eine Umwandlung in Einkaufscenter verhandelt. In den verbleibenden Filialen will Karstadt künftig mehr Mode- und Sportartikel anbieten. Das Angebot an Multimedia- und Freizeitartikeln soll dagegen eingeschränkt werden.

Was wird aus den Karstadt Luxus-Warenhäusern?

Auch die lukrativen Karstadt Premiumhäuser - das KaDeWe in Berlin, das Oberpollinger in München und das Alsterhaus in Hamburg - haben auf die Dauer wohl keine Zukunft im Konzern. Die Luxusfilialen passen laut Konzernchef Karl-Gerhard Eick nicht mehr in das zunehmend auf "Normalbürger" orientierte Konzept. Doch ist hier von einer Schließung nicht die Rede. Die lukrativen Einkaufstempel könnten in den nächsten Jahren verkauft oder in eine strategische Partnerschaft eingebracht werden.

Was bedeutet das Sanierungsprogramm für Quelle-Kunden?

Das traditionsreiche Versandhaus will sich künftig verstärkt auf sein Internetgeschäft konzentrieren. Bereits in zwei Jahren will der Konzern im Internet genauso viel Umsatz machen wie mit dem Katalog. Für die rund 1500 Quelle-Shops und die 115 Technikcenter ist deshalb wohl in Zukunft kein Platz mehr im Konzern. Auch Foto-Quelle steht zur Disposition.

Was bedeutet das Sanierungsprogramm für Kunden der Arcandor-Reisetochter Thomas Cook?

Nichts. Das florierende Unternehmen ist vom Sparprogramm nicht betroffen.

Was bedeutet das Sanierungsprogramm für die Mitarbeiter von Arcandor?

Von den Umstrukturierungsmaßnahmen sind laut Vorstandschef Karl-Gerhard Eick rund 12.500 der 86.000 Konzernmitarbeiter betroffen. Doch heißt das nicht, dass alle diese Arbeitsplätze wegfallen. Bei einem Verkauf der Premium-Warenhäuser etwa dürften die Mitarbeiter übernommen werden. Auch die Umwandlung von Warenhäusern in Einkaufszentren muss nicht zwangsläufig zu weniger Arbeitsplätzen führen.

Müssen die Mitarbeiter mit weiteren Lohnkürzungen rechnen?

Nein. Die Mitarbeiter hatten sich bereits im Oktober vergangenen Jahres zu einem Lohnverzicht in Höhe von insgesamt 115 Millionen Euro jährlich bereiterklärt. Es wäre deshalb "unverantwortlich noch über weitere Gehaltskürzungen nachzudenken, sagte Arcandor-Chef Eick.

Was soll mit den Unternehmensteilen geschehen, die keine Zukunft im Konzern mehr haben?

Für die Sorgenkinder des Konzerns, aber auch für die lukrativen Premiumhäusern sollen von einem eigens dafür eingesetzten neuen Arcandor-Vorstandsmitglied innerhalb von drei Jahren Lösungen gefunden werden. Dabei würden alle Optionen geprüft, heißt es. Dazu zählen unter anderem der Verkauf, strategische Partnerschaften, Management Buy-outs, aber auch Sanierung oder Schließung.

© sueddeutsche.de/AP/Reuters/ddp-bay/tob/hgn/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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