Arbeitsagentur: Daten-Debatte:Sensibler Griff zur Arbeitslosen-Post

Lesezeit: 4 min

Die Bundesagentur für Arbeit will von Papierkundenakten auf die elektronische Variante umsteigen. Die Post soll die Briefe an die Arbeitsagenturen einscannen. Droht ein Datenskandal?

Lars Langenau

"Droht ein neuer Datenschutz-Skandal mit Arbeitslosen-Akten?". Bild macht sich Sorgen.

Unmstrittener Praxistest: Die Deutsche Post scannt Briefe für die Bundesagentur für Arbeit. Das Projekt "Elektronische Akte" (eAkte) soll von Oktober an zunächst in Sachsen-Anhalt und Thüringen erprobt werden (Foto: dpa)

Das Boulevardblatt berichtet mit einem Ausrufezeichen hinter dem Alarmwort "DATENSKANDAL" über ein neuartiges Verfahren der Bundesanstalt für Arbeit (BA) und der Familienkasse. Das soll helfen, die täglichen Aufgaben zu bewältigen.

Ein Skandal ist noch nicht in Sicht - wohl aber gibt es Merkwürdigkeiten.

Es geht um ein weitreichendes Projekt, um eine Neuerung, die es in sich hat. Die Post soll künftig Briefe von Arbeitslosen an die Bundesagentur für Arbeit öffnen, elektronisch erfassen und per Datenleitung an die Behörde weiterschicken.

Digital und legal? Von der Digitalisierung erhofft sich der Nürnberger Arbeitsagentur-Riese eine schnellere Bearbeitung der Vorgänge, erläutert BA-Vorstandsmitglied Raimund Becker. Das Projekt "Elektronische Akte" (eAkte) solle vom 1. Oktober an zunächst für sechs Monate in einem Pilotprojekt in Sachsen-Anhalt und Thüringen erprobt werden.

Becker sagt weiter, das Pilotprojekt sehe vor, dass sich eigens dafür abgestellte Mitarbeiter der Post in Briefzentren in Halle und Berlin mit der Korrespondenz der Arbeitslosen beschäftigen.

Alle Post-Mitarbeiter seien zur Geheimhaltung verpflichtet und müssten dies zuvor schriftlich erklären. Das Projekt sei unter dem Aspekt des Datenschutzes eingehend überprüft und vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert worden. Vorstand Becker: "Der Datenschutz ist gewährleistet."

Täglich 400.000 neue Dokumente

Auch BA-Sprecherin Adriana Galunic beruhigt: "Die Kundendaten befinden sich zu jeden Zeitpunkt in einem datengeschützten Kreislauf. Von der verplombten und gesicherten Transportbox bis zum Einscannen und der digitalisierten Versendung zu dem zuständigen Bearbeiter bei der Bundesagentur", sagt sie auf Anfrage von sueddeutsche.de.

Rein technisch funktioniert das laut Galunic wie folgt: Die eingescannten Dokumente werden mit einer elektronischen Signatur versehen, damit sei kein Zugriff mehr möglich. Das Dokumentenpaket werde dann verschlüsselt und über eine doppelt gesicherte Leitung nach Nürnberg übermittelt. Dabei handelt es sich den Angaben zufolge um eine "1:1-Leitung". Das heißt, das verschickte Paket kann nur in einem gesicherten Bereich bei der Bundesagentur landen. Hier wird das Paket geöffnet, auf Vollständigkeit überprüft und in ein BA-Dokumentenmangementsystem übermittelt. Von Nürnberg aus werde es dann über das hochgesicherte BA-Intranet an die zuständigen Mitarbeiter im gesamten Land übermittelt.

Das neue digitalisierte Verfahren werde eingeführt, um Vorgänge schneller, effizienter und wirtschaftlicher bearbeiten zu können, fügt Galunic hinzu. So gebe es 22,2 Millionen Kundenakten allein rund um Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld 1 oder ALG 1). Täglich kämen bundesweit rund 260.000 neue Briefe an die BA hinzu. Mit der Familienkasse ("Kindergeld") seien es sogar mehr als 35 Millionen Akten - und täglich 400.000 neue Dokumente.

"Es gab eine Ausschreibung, die Deutsche Post AG hat den Zuschlag bekommen und die Datenschutzrichtlinien werden eingehalten", versichert Sprecherin Galunic. "Niemand braucht sich also Sorgen zu machen."

Wenn der Pilotversuch erfolgreich ist, sollen künftig bundesweit die Millionen Arbeitslosen-Akten sowie die 13 Millionen Kindergeldakten elektronisch erfasst und bearbeitet werden. Auch erklärt die BA-Sprecherin, dass der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, dieses Verfahren abgesegnet habe.

Am Nachmittag teilte Schaar dann mit, dass er über dieses geplante Vorhaben (zumindest) informiert gewesen sei. Er habe die BA bei einzelnen Fragen beraten und insbesondere auf die strengen gesetzlichen Vorgaben, die grundsätzlich mit der Beauftragung eines privaten Dienstleisters durch Sozialbehörden verbunden seien, hingewiesen. Die Umstellung beziehe sich nach Informationen der BA ausschließlich auf den Agenturbereich, so dass die Akten und die Post der Arbeitslosengeld II-Empfänger ("Hartz IV") hiervon zunächst ausgenommen seien.

Die BA habe heute den zwischen ihr und dem Auftraggeber Deutsche Post AG geschlossenen Vertrag übersandt. Eine erste Durchsicht des Vertrages habe keine gravierenden Mängel ergeben, teilte Schaar weiter mit. Allerdings seien gegebenenfalls noch Konkretisierungen der technischen und organisatorischen Schutzvorkehrungen erforderlich. So sollten etwa die Daten ausschließlich verschlüsselt gespeichert und übertragen werden. Auch hinsichtlich der Entsorgung der eingehenden Briefe bedürfe es noch konkreterer Vorgaben. Der Bundesdatenschutzbeauftragte gehe aber davon aus, dass die BA diesen Forderungen Rechnung tragen wird - und kündigte zudem an, dass er das Verfahren weiterhin kritisch begleiten und nach Inbetriebnahme einer Überprüfung unterziehen werde.

Die BA hat zugesagt, die Betroffenen vor Beginn des Pilotversuchs über das Verfahren zu unterrichten. Personen, die nicht an diesem Verfahren teilnehmen wollen, steht es frei, die Briefe weiterhin an die BA-Hausanschrift und nicht an die spezielle Großempfängerpostleitzahl zu adressieren. Die Öffnung, Sichtung und Steuerung des Schriftgutes solle in diesen Fällen weiterhin durch die BA erfolgen.

Auch im Bundesverbraucherschutzministerium von Ilse Aigner (CSU) wird geprüft. Ihrem Ministerium, dem CDU-geführten Innenministerium und dem FDP-geführten Justizministerium liegen Anfragen von sueddeutsche.de vor. Doch Antworten wird es aus diesen Ministerium kaum geben: Alle fühlen sich nicht zuständigt und sehen ihr Ministerium wenn überhaupt nur tangiert. Federführend und verantwortlich sei das Bundesministerium für Arbeit von Ursula von der Leyen (CDU).

Und dort schlug der Bild-Bericht so hohe Wellen, dass ein Sprecher ihres Ministeriums in der Bundespressekonferenz dazu Stellung nahm - und die Bedenken zurückweist. Das Projekt sei eben mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten "und allen anderen relevanten Stellen" abgestimmt und die Datensicherheit "absolut gewährleistet". Der Sprecher des Arbeitsministeriums nennt die Bild-Meldung "etwas alarmistisch". Es gehe "um eine sichere Vereinfachung und Modernisierung der Verwaltungsabläufe". Bei der Masse an Dokumenten "muss man sich als industrialisiertes Land schon fragen: Will man das auf alle ewigen Zeiten in der Papierform machen, oder gibt es vielleicht modernere Wege?"

"Es gibt keinen Datenschutzskandal"

Ein Sturm im Wasserglas? "Es gibt keinen Datenschutzskandal", sagt Post-Sprecher Uwe Bensien mit Nachdruck zu sueddeutsche.de. "Es gibt ein Geschäft, das wir seit Jahren millionenfach vollkommen fehlerfrei erbringen. Auch für Banken, Versicherungen und für Behörden."

So habe die Post beispielsweise alle Anträge zur Abwrackprämie digitalisiert und elektronisch dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) zur Verfügung gestellt. "Wenn ein Unternehmen das kann, dann die Deutsche Post mit ihrer Bindung an das grundgesetzlich verankerte Briefgeheimnis." Selbstverständlich seien alle Mitarbeiter auf das Brief- und Postgeheimnis verpflichtet und "zusätzlich sicherheitsüberprüft." In allen Scan-Zentren würden "allerhöchste Sicherheitsstandards" gelten, die Verfahren seien mit den Datenschutzbeauftragten abgestimmt.

Trotzdem ist die Aufregung groß: Aus Sicht des Erwerbslosen Forums Deutschland droht der "gläserne Arbeitslose", wie der Arbeitslosenverband in Bonn kritisierte. Der Schutz vor Missbrauch sei bei diesem Verfahren nicht gewährleistet, betonte Verbandssprecher Martin Behrsing. "Es ist nicht auszuschließen, dass mit den Daten Schindluder getrieben wird." Er forderte daher einen sofortigen Stopp des Projekts. Auch schloss er rechtliche Schritte dagegen nicht aus.

Das System der Post mag sicher sein, doch immer gibt es den Faktor Mensch. Und was wird, wenn künftig auch Steuererklärungen zentral von der Post oder einem konkurrierenden Unternehmen elektronisch verarbeitet werden und die mal in falsche Hände geraten sollten?

Dann könnte es tatsächlich einen Datenskandal geben. Und die Bild-Zeitung hatte recht. Prophetisch quasi.

© sueddeutsche.de mit dpa und dapd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: