Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank:Doppelzüngig aus Prinzip

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Den Finanzmärkten verspricht die EZB: Wir kaufen beliebig viele Staatsanleihen. Vor dem Verfassungsgericht lautet die Botschaft dagegen, es gebe eine Grenze. Ein Versehen? Nein, die Widersprüche sind volle Absicht.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es war Sonntag, der 5. Oktober 2008, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) vor die Kameras traten. Sie waren beunruhigt, denn es drohte ein Bankenansturm. Deutsche Sparer wollten ihre Konten räumen. Es war Zeit für eine politische Garantieerklärung der Bundesregierung: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind."

Mario Draghi hat etwas ganz Ähnliches gemacht zum Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) versprach am 26. Juli 2012, die Notenbank werde "alles tun, um den Euro zu retten". Konkret bedeutete das: Die EZB kauft im Notfall Staatsanleihen maroder Euro-Staaten auf, und zwar "ohne ex-ante Limit", wie Draghi sagte. Es war die Geburtsstunde des Rettungsprogramms OMT ( Outright Monetary Transactions), über das diese Woche beim Bundesverfassungsgericht verhandelt wurde.

Doch nun hat die EZB dieses absolute Versprechen vor dem Bundesverfassungsgericht relativiert, schließlich prüfen die Richter, ob die EZB durch den Anleihekauf illegal die Haushalte klammer Euro-Staaten finanziert. "Es ist durch die Ausgestaltung des OMT offensichtlich, dass das Programm faktisch beschränkt ist", sagte EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen am Dienstag dem Gericht.

Die Finanzmärkte verstehen Draghi gut

Doch wo verlaufen diese Schranken? Gibt es einen klar bemessenen Höchstbetrag, bis zu dem die Frankfurter Währungshüter eingreifen? Oder werden sie - entgegen der Aussage von Asmussen - notfalls doch ohne jedes Limit kaufen?

Die Finanzmärkte haben Draghi im vorigen Jahr gut verstanden. Es ist seither Ruhe eingekehrt an den Börsen, die Zinsen für italienische und spanische Staatskredite sind deutlich gesunken. Die Spekulationen auf den Kollaps der Euro-Zone sind vorbei, denn mit der EZB möchte sich niemand anlegen. Die Zentralbank verfügt durch die Notenpresse über unbegrenzte Mittel. Die Spekulanten wissen: Das Versprechen der EZB, "ohne Limit" Staatsanleihen zu kaufen, ist glaubwürdig.

Die EZB hat ihr Aufkaufprogramm in ein kompliziertes Geflecht eingebaut. So müssen Euro-Staaten zunächst einen offiziellen Hilfsantrag beim von den Euro-Staaten geschaffenen Rettungsfonds ESM in Luxemburg stellen, bevor die Notenbank darüber nachdenkt, Anleihen dieser Länder zu kaufen. Ein ESM-Hilfsprogramm sieht vor, dass Staaten Geld aus dem ESM-Topf erhalten, wenn sie politische Reformauflagen umsetzen. Die EZB kommt erst ins Spiel, wenn die Finanzmärkte auch weiterhin gegen das Land spekulieren und die Zinsen für Staatskredite über Gebühr ansteigen. Erst dann, so Draghi, werde man eingreifen.

Die Notenbanker wollen allerdings, wie Asmussen nun vor dem Bundesverfassungsgericht erklärte, vor allem Staatsanleihen mit ein- bis dreijähriger Laufzeit kaufen. In ihrem Rechtsgutachten für das Verfassungsgericht nennt die EZB dazu konkrete Zahlen. So seien, bezogen auf Spanien, Italien, Irland und Portugal, Anleihen im Wert von 524 Milliarden Euro geeignet. Asmussen bezog sich in seiner Aussage auf "diesen beschränkten Pool von Anleihen, die überhaupt erworben werden könnten".

Asmussen sollte die Verfassungsrichter besänftigen

Andererseits räumte Asmussen in Karlsruhe ein, dass klamme Euro-Staaten im Ernstfall ihr Verhalten auch ändern könnten und statt lang laufender Anleihen nur noch Papiere mit einer Laufzeit von ein bis drei Jahren ausgeben. Die 524 Milliarden Euro können also keine verlässliche Höchstsumme sein. Außerdem hat Draghi nie ausgeschlossen, auch länger laufende Anleihen zu kaufen. "Es gibt eine duale Rhetorik der EZB. Die Notenbanker sagen jedem, was er hören will", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank. "Draghi war sehr deutlich, dass das OMT unlimitiert ist. Doch Asmussen spielte vor Gericht eine etwas andere Rolle", sagt der Ökonom. Die Verfassungsrichter sollten besänftigt werden. "Die Märkte glauben nicht, was Asmussen sagt, sie wissen, dass die EZB im Ernstfall unbegrenzt kauft", meint Bielmeier.

Die EZB muss eine knifflige Aufgabe bewältigen. Einerseits will sie an den globalen Finanzmärkten der Eindruck erwecken, sie greife im Notfall auf grenzenlose Ressourcen zurück. Andererseits sollen die Verfassungsrichter davon überzeugt werden, dass man auch im Ernstfall sehr restriktiv mit den Käufen umgehen werde. Schließlich würde die EZB vor allem deutsche Steuergelder riskieren, die Karlsruher Richter prüfen nun, ob der Anleihekauf vom Grundgesetz gedeckt ist.

"Ich halte es für vernünftig, dass die EZB eine Grenze einzieht, sie signalisiert damit den Regierungen, dass sie nicht alle Staaten retten wird und die Staaten ihre Reformen weiter umsetzen müssen", meint Hans-Peter Rathjens, Senior Strategist bei Allianz Global Investors. Draghi habe zwar gesagt, dass die EZB ohne Limit kaufen werde, "doch ich denke, da gab es Lernfortschritte, zumal die EZB vor dem Bundesverfassungsgericht bestimmt herausarbeiten wollte, dass sie nicht völlig ohne Schranken die Notenpresse anwirft".

Notenbanken beziehen einen Großteil ihrer Macht gerade aus ihrer diffusen Kommunikation. "Die EZB muss vage sein, denn wenn sie konkrete Obergrenzen nennt für das OMT, dann ruft das Spekulanten auf den Plan, diese Grenzen zu testen", sagt Alfred Roelli, Finanzanalyst der Schweizer Bank Pictet. "Das wäre hochgradig gefährlich. "

© SZ vom 13.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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