Der Angeklagte Stephan Schäfer lutscht ein Bonbon, während er seinem eigenen Geständnis lauscht. Sein Strafverteidiger Ulrich Endres, ein Mann in ausgelatschten Cowboystiefeln, sagte der Wirtschaftsstrafkammer des Frankfurter Landgerichts, sein Mandant sei zu nervös, um die sieben DIN-A 4-Seiten selbst vorzutragen. Deshalb "leihe ich ihm meine Stimme".
Es vergingen mehr als 100 Verhandlungstage, bis sich vier der ursprünglich sechs Hauptangeklagten im S&K-Prozess zu einem Teilgeständnis aufrafften. Die Staatsanwaltschaft, die Verteidiger und das Gericht hatten in den vergangenen Wochen eine entsprechende Verständigung ausgehandelt, die der Vorsitzende Richter Alexander El Duwaik am Dienstag erläuterte: Wenn die Angeklagten in einem "glaubhaften Geständnis" Untreue einräumten, würden die Gefängnisstrafen - je nach Schwere der Tat - zwischen viereinhalb und neuneinhalb Jahren liegen. Im S&K-Prozess geht es um einen Schaden von 240 Millionen Euro. Betroffen sind etwa 11 000 Menschen, die bei der Frankfurter Investmentfirma Geld angelegt und davon vieles verloren hatten. Denn die Angeklagten hatten Teile der Anlegergelder selbst eingesackt.
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Stephan Schäfer, einer der beiden S&K-Firmengründer, ließ also verlesen, dass er bei seinen Geschäften vor allem auf "persönliche Bereicherung" aus war. Er sei "zu gierig" gewesen und bedauere "jeden Anleger, der sein Geld verloren hat". Auch sein damaliger S&K-Kompagnon Jonas Köller gestand am Dienstag vor dem Landgericht seine Schuld, auch bei ihm ging es um den Vorwurf der schweren Untreue. Köller, ein wortgewandter Typ, verlas die Erklärung selbst. Er sei "dumm und gierig" gewesen, "berauscht von vermeintlicher Genialität" und habe "rücksichtslos" gehandelt. "Ich schäme mich."
Die beiden Männer müssen nun mit einer Haftstrafe von achteinhalb bis neuneinhalb Jahren rechnen. Sie sitzen seit etwa vier Jahren in Untersuchungshaft. Schäfer unternahm kurz nach der Festnahme einen Fluchtversuch. Dabei sprang er aus dem Fenster des Gerichtsgebäudes, das in sechs Metern Höhe lag, und verletzte sich schwer an der Wirbelsäule.
Die Öffentlichkeit hatte ihr Urteil über Schäfer und Köller schon bald nach deren Verhaftung im Februar 2013 gefällt. Damals tauchte ein Video auf, in dem sich die beiden Angeklagten mit dicken Bündeln aus 500-Euro-Scheinen in der Hand filmten und die Scheine übermütig in die Luft warfen. "Ich verstehe, dass Anleger, die diese Bilder gesehen haben, geschockt sind", heißt es in Schäfers Erklärung. Ob dieses Eingeständnis den Betroffenen hilft? Das Geld ist weg. Zivilklagen auf Schadenersatz sind möglich, aber kompliziert. Gleichzeitig sehen sich viele S&K-Investoren Forderungen des Insolvenzverwalters ausgesetzt, der Ausschüttungen wieder zurückverlangt, die S&K anfangs geleistet hat.
Einer der größten Wirtschaftsstrafprozesse, die in Deutschland je geführt wurden, könnte damit in einigen Wochen beendet werden. Die Anklageschrift war mehr als 3000 Seiten lang. Davon mussten in 26 Verhandlungstagen 1780 Seiten verlesen werden. Das war rekordverdächtig, so ausführlich wird eine Anklageschrift selten referiert. Die Erschöpfung der Prozessteilnehmern war an Verhandlungstagen besonders groß, wenn die Nummern von Grundschuldbriefen, Grundbuchblättern und Urkundenrollen verlesen wurden.
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Die Verteidigung tat auch viel, um den Prozessverlauf zu entschleunigen. Sie stellte Anträge über Anträge. Darunter war auch ein Befangenheitsantrag gegen die Berufsrichter und die Rüge, die gesamte Kammer sei für den Prozess gar nicht zuständig. Einer der verlesenen Anträge hatte einen Umfang von 137 Seiten.
Die Staatsanwaltschaft und die Strafverteidiger gingen ungewöhnlich hart miteinander um, und zwar sofort mit Prozessbeginn im Herbst 2015. Der besonnene Vorsitzende Richter El Duwaik musste mehrfach an die Parteien appellieren, "bei allen Vorbehalten angemessen miteinander umzugehen". Erst nachdem Ende 2016 zwei der ermittelnden Staatsanwälte abgezogen worden waren, entstand eine konstruktivere Verhandlungsbasis, an deren Ende nun die getroffene Verständigung steht.
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In den kommenden Tagen sollen zwei weitere Angeklagte ihr Geständnis ablegen. Ihnen drohen Haftstrafen von viereinhalb bis sieben Jahren. Ein Angeklagter wollte sich an dem Deal mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nicht beteiligen. Ein anderer ist bereits zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Dieses Verfahren war wegen Krankheit des Angeklagten abgetrennt worden.
Die Firma S&K hat von 2008 Immobilien - vor allem aus Zwangsversteigerungen - gekauft und teurer verkauft. Damals begann die globale Finanzkrise, Aktienkurse fielen, und Teile der Welt stürzten in eine Rezession. Immobilien, versprach die Anlagefirma, seien "rentabel und sicher". In Selbstporträts bezeichnete sich S&K als Marktführer in der Immobilienbranche und versprach bei einem "konservativen" Geschäftsmodell Renditen von "20 Prozent und über 100 Prozent trotz überschaubar geringem Risiko". Viele Anleger fielen darauf rein, denn tatsächlich zogen die Angeklagten für private Zwecke Geld aus ihren Firmen ab und täuschten Geschäftspartner mit Immobiliengutachten, die viel zu hohe Werte auswiesen. Schäfer und Köller hatten ein Firmengeflecht konstruiert, das kaum zu durchschauen war.
Die Prozessbeteiligten wirken erleichtert, dass jetzt ein Urteilsspruch absehbar ist. Wie lange die Angeklagten nach der Urteilsverkündung noch ins Gefängnis müssten, hängt davon ab, welche Regelung zur Anwendung kommt. Gerichte können, sobald ein Verurteilter die Hälfte oder zwei Drittel seiner Strafe verbüßt hat, den Rest zur Bewährung aussetzen. Die Jahre in Untersuchungshaft werden also angerechnet. Bei der Prüfung einer solchen Strafaussetzung berücksichtigen Richter auch die Persönlichkeit des Verurteilten.