Andechser Molkerei: Barbara Scheitz:"In Krisen brauchen die Leute einfach Nervennahrung"

Lesezeit: 12 min

Barbara Scheitz, Chefin der größten Bio-Molkerei Europas, über Rahmjoghurt als Konjunkturindikator und die Macht der Hersteller von Dünger und Saatgut.

Elisabeth Dostert

Barbara Scheitz, 45, ist Chefin der Andechser Molkerei GmbH - mit 100 Millionen Euro Umsatz die größte Bio-Molkerei Europas. Ihr Vater Georg hat sie vor 30 Jahren gegründet. Den Vergleich mit der Konkurrenz scheut die Tochter nicht.

Barbara Scheitz ist Molkereifachfrau und Betriebswirtin, sie führt die Andechser Molkerei. Die Firma verarbeitet jährlich 80 Millionen Kilogramm Kuhmilch und sieben Millionen Kilogramm Ziegenmilch. (Foto: Bernhard Mayer GmbH Dekan Wenz)

SZ: Frau Scheitz, wollen wir eine kleine Blindverkostung machen? Ich habe zwei Joghurts mitgebracht. Sagen Sie mir, ob die Bio sind oder nicht, bitte?

Scheitz: Das hier ist eines von uns.

SZ: Stimmt. Vanille Rahmjoghurt.

Scheitz: Das hier ist kein Bio-Joghurt. Es schmeckt nach künstlichen Aromen.

SZ: Falsch.

Scheitz: Darf ich es wegstellen? Mir ist es lieber, dass bei dem Gespräch nur unsere Produkte auf dem Tisch stehen.

SZ: Bitte. Frau Scheitz, wenn Sie den Unterschied schon nicht erkennen, wie soll das dann erst der normale Verbraucher schaffen?

Scheitz: Generell kann man den Unterschied schon schmecken, weil in den konventionellen Joghurts in der Regel künstliche Aromastoffe stecken.

SZ: Was der Verbraucher ganz klar erkennt, ist der Preisunterschied. Ein Bio-Joghurt kostet zwei bis drei Mal so viel wie ein konventionelles Produkt. Was rechtfertigt den Unterschied?

Scheitz: Mit dem Kauf fördert der Konsument eine völlig andere Struktur, nicht nur beim Produkt. Das fängt auf den Bauernhöfen an, geht weiter über die Milcherfassung bis hin zur Verarbeitung in der Molkerei. Wir verarbeiten beispielsweise nur Milch aus Betrieben, die einem der ökologischen Anbauverbände Bioland, Demeter, Naturland oder dem Bio-Kreis angehören. Und wir vertreiben unsere Produkte in erster Linie über den Naturkosthandel und Einzelhändler.

SZ: Glauben Sie, dass der Verbraucher beim Kauf eines Bio-Joghurts wirklich den ökologischen Landbau fördern will?

Scheitz: Nein. Die Mehrzahl der Konsumenten kauft einen Bio-Joghurt nicht aus Liebe zum Öko-Landbau oder weil sie ethisch handeln wollen. Den Konsumenten geht es vorrangig um das Produkt: das soll schmecken und sich von konventioneller Ware abheben.

SZ: Das Kaufargument ist also purer Egoismus.

Scheitz: Ja, warum auch nicht? Es geht um Qualität, Geschmack, Genuss und Freude an gesunden Lebensmitteln. Das ist es ja auch, was wir erreichen wollen. Der Verbraucher soll den Wert des Lebensmittels schätzen.

SZ: Die Vielzahl der Bio-Labels verwirrt die meisten Verbraucher. Können Sie die Unterschiede kurz erklären?

Scheitz: Kurz? Dann beschränke ich auf die Unterschiede zwischen Demeter und Bioland.

SZ: Zwei Sätze! Scheitz: Bioland-Bauern betreiben eine extensive Landwirtschaft, die Hofgröße passt zum Tierbestand, sie verzichten auf synthetisch-chemische Futtermittel und Kunstdünger. Für die Demeter-Bauern gilt all das auch, zudem berücksichtigen sie noch kosmische Einflüsse. So erfolgt beispielsweise die Aussaat bei Vollmond, weil das Saatgut dann besonders gut gedeiht.

SZ: Ein Hartz-IV-Empfänger hat im Monat nicht einmal 400 Euro zum Leben. Sind Bio-Lebensmittel nur etwas für Besserverdiener?

Scheitz: Wir haben Hartz-IV-Empfänger als Kunden.

SZ: Woher wissen Sie das?

Scheitz: Aus Umfragen. Wir unterstützen mit Produkten Kochkurse für Hartz-IV-Empfänger. Es kommt immer darauf an, wie viel Wert man dem Lebensmittel beimisst.

SZ: Der Anteil von Bio-Lebensmittel liegt einschließlich solcher, die "nur" die EU-Öko-Verordnung erfüllen, deutlich unter fünf Prozent. Bleibt Bio auf Dauer eine Nische?

Scheitz: Der Bio-Anteil wird wachsen und innerhalb der nächsten zehn Jahre zweistellig werden. Die Vision habe ich schon, weil die Wertschätzung der Ernährung in Deutschland eine immer größere Rolle spielt: Wir leben bewusster. Theoretisch könnte sich die ganze Welt von Bio-Produkten ernähren. Der ökologische Landbau bietet viele Antworten auf Fragen der Welternährung.

SZ: Wie meinen Sie das?

Scheitz: Wenn Erdöl und andere Rohstoffe immer teurer werden, wird auch Kunstdünger immer teurer. Wenn sich ein Landwirt diesen Dünger nicht mehr leisten kann oder will, ist Bio die natürliche Antwort darauf. Weil der Ölpreis und die Ausgaben für Kunstdünger stark gestiegen sind, ist in den vergangenen drei Jahren die Zahl konventionell wirtschaftender Bauern, die auf ökologischen Landbau umgestellt haben, auch angestiegen.

SZ: Glauben Sie ernsthaft, dass bevölkerungsreiche, wachstumsstarke Länder wie China oder Indien ihren gesamten Lebensmittelbedarf ökologisch decken können?

Scheitz: Natürlich. Wir könnten die Weltbevölkerung auf natürliche Weise ernähren, wenn wir auf kleine Betriebe bauen und nicht auf Agrar-Konzerne. Aber wir werden es nicht tun, weil die großen Konzerne uns sehr gut steuern.

SZ: Wen meinen Sie?

Scheitz: Düngemittelproduzenten oder die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln oder Saatgut, Firmen wie Monsanto.

SZ: Was ist mit den Händlern? Fördert der Preiskampf im Handel die industrielle Produktion von Lebensmitteln?

Scheitz: Nein, die Großkonzerne im Lebensmittelhandel gucken auf den Verbraucher und versuchen, die billigsten Rohstoffe zu bekommen. Die nehmen dann eben statt Marmelade aus Bio-Kirschen eingedickt mit Agavensaft konventionelles Obst mit Süßstoff, Glukosesirup und Geschmacksverstärker.

SZ: Sie verkaufen Ihre Produkte sowohl in Bio-Märkten als auch im konventionellen Lebensmittelhandel. Wo ist der Preisdruck größer?

Scheitz: Da gibt es keinen Unterschied. Der Preisdruck ist enorm. Wir haben einen harten Verdrängungswettbewerb. Eine so große Rolle wie in Deutschland spielt der Preis in keinem anderen Land in Europa.

SZ: Sind denn wenigstens die Bio-Anbieter netter zu einander?

Scheitz: Kann ich nicht feststellen.

SZ: Wieso spielt der Preis in Deutschland so eine große Rolle?

Scheitz: Die deutschen Verbraucher sind sehr preissensibel erzogen.

SZ: Von wem?

Scheitz: Die Politik hat über viele Jahre für die Annahme gesorgt, dass es wichtig ist, die Bevölkerung möglichst preiswert zu ernähren.

SZ: Schuld sind also nicht die Discounter, wie viele behaupten?

Scheitz: Die haben sich über den Preis profiliert, aber die niedrigen Preise sind politisch gewollt - immer noch.

SZ: Ein Beispiel?

Scheitz: Der Markt für Kuhmilch. Die deutschen Politiker setzen sich nicht stärker für höhere Milchpreise ein, weil die Milchquote 2015 fällt und wir uns auf den freien Markt mit seinen niedrigeren Preisen einstellen sollen.

SZ: Fürchten Sie den freien Markt?

Scheitz: Nein. Es werden sich Lösungen finden. Bei Ziegenmilch haben wir seit zehn Jahren freie Liefermengen und das funktioniert gut. Lieferanten und Molkereien handeln die Preise aus und daran halten sich dann alle.

SZ: Aber der Markt für Kuhmilch ist sehr viel größer als der für Ziegenmilch und dieser war nie politisch verzerrt. Rechnen Sie nicht mit einem ungeheuren Preisdruck, wenn die Kontingente fallen?

Scheitz: Den Druck haben wir heute schon. Die Preise für Fett und Magermilchpulver liegen heute schon auf Weltmarktniveau. Wir bewegen uns schon lange nicht mehr in einem geschützten Raum.

SZ: Sie liefern Ihre Joghurts bis Ham burg. Es ist zwar dann immer noch ein ökologisch erzeugtes Produkt. Aber ist das nachhaltig, ein Joghurt über Hunderte von Kilometern zu transportieren?

Scheitz: Ja. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Menschen nur Produkte aus der Region kaufen sollen. Das wäre sicher die nachhaltigste Lösung. Aber meine Aufgabe als Unternehmerin ist es auch, unser Sortiment dort zu vertreiben, wo es die Verbraucher verlangen. Es ist doch allemal besser, wenn der Kunde in Berlin oder Hamburg einen guten Bio-Joghurt isst als einen konventionellen.

SZ: Müssten die Verbraucher aber nicht, auch in Norddeutschland gibt es Bio-Molkereien. Scheitz: Aber man darf den Verbraucher doch nicht bevormunden. Und die freie Entscheidung findet auch vor dem Kühlregal statt.

SZ: Die Pecanüsse in Ihrem Joghurt haben einen noch längeren Transportweg hinter sich. Täten es nicht auch Haselnüsse aus der Region?

Scheitz: Die täten es auch. Weil es sich aber um nach griechischer Art hergestellten Joghurt handelt, sind auch Pecanüsse aus Griechenland drin. Da können Sie auch fragen, warum wir ein indisches Lassis herstellen.

SZ: Und?

Scheitz: Weil da indische Joghurt-Kulturen drin sind, mit denen die heimische Milch angesetzt wird. Die Mangos kommen aus Indien.

SZ: Die sind auch schön weit geflogen. Zahlen Sie einen Ausgleich für die CO2-Emissionen des Transports?

Scheitz: Nein.

SZ: Kann man sich ab einer gewissen Unternehmensgröße solchen Modetrends nicht mehr entziehen? Müssen Sie ein indisches Lassi haben, um im konventionellen Handel gelistet zu werden?

Scheitz: Die Produkte müssen wir haben, damit wir attraktiv für den Konsumenten sind. Lassis schmecken nun mal viel milder als andere Trinkjoghurts. Die Produktideen entstehen hier im Haus, nicht im Handel. Häufig bekommen wir auch Anregungen von Verbrauchern, zum Beispiel den Joghurt mit Rosenblüten.

SZ: Wahrscheinlich haben die Rosenblüten keine so weite Anreise wie die Mangos?

Scheitz: Die Rosen kommen aus dem Tauber-Tal.

SZ: Aber wieso stecken Ihre Trinkjoghurts in einer Kunststoffflasche?

Scheitz: Wir haben 2004 in eine Pet-Abfüllanlage investiert, weil wir ein Frühstücksjoghurt für unterwegs liefern sollten. Damals lief die Wirtschaft schlecht. Die Konjunktur hat großen Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten.

SZ: Wie das?

Scheitz: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten nehmen sich die Menschen weniger Zeit fürs Frühstück. Die brauchen dann ein Produkt, das sie unterwegs verzehren können: so wie das Trinkjoghurt. Eine Glasflasche ist da eher eine Erschwernis.

SZ: Gibt es noch andere Konjunkturindikatoren in Ihrem Sortiment?

Scheitz: Ja, Rahmjoghurt. Der Absatz ist deutlich gestiegen. In Krisen brauchen die Leute einfach Nervennahrung. Deshalb haben wir dafür das griechische Joghurt mit Pecannüssen und zehn Prozent Fett auf den Markt gebracht. In guten Zeiten fragen die Verbraucher fettarme Joghurts einfach mehr nach: da will man schlank sein!

SZ: Wieso bieten Sie überhaupt ein Joghurt mit 0,1 Prozent Fett an. Wie passt das zu Ihrem Leitspruch: Natürliches natürlich belassen?

Scheitz: Weil dies unsere Verbraucher nachdrücklich verlangten - und die Grundsubstanz 'Bio' bleibt 'Bio'!

SZ: Auch viele der klassischen Lebensmittelkonzerne bieten heute Bio-Produkte: Oetker bietet Bio-Pudding, Nestle ein Bio-Magermilchpuler. Ist es heute für Unternehmen wie das Ihre schwerer geworden, sich im Handel durchzusetzen?

Scheitz: Ja, es ist anstrengender geworden. Die Konzerne bieten eben ein oder mehrere Bio-Produkte zusätzlich zum konventionellen Sortiment. Bei uns ist Bio nicht nur eine Frage des Produktes, sondern unseres Unternehmens. Damit aber der Verbraucher die Unterschiede begreift, pflegen wir zu ihm hohe Transparenz. Sie können heute, beispielsweise über das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Produktes und das Internet zu jedem Bio-Bauern, der uns beliefert, Kontakt aufnehmen.

SZ: Plagt Sie nicht manchmal ein schlechtes Gewissen, dass Ihre Produkte in Geschäften stehen, die alles andere als nachhaltig arbeiten, und neben Produkten wie denen von Müller-Milch, die alles andere als ökologisch sind?

Scheitz: Wir müssen die Produkte zum Verbraucher bringen. Wir können nicht warten, bis er in die Bio-Märkte kommt.

SZ: Der Logik folgend müssten Sie dann auch Discounter beliefern, da sind ganz viele Konsumenten?

Scheitz: Wir sind zwar ein großer Bio-Anbieter, aber ein kleines Lebensmittel-Label. Wir sind froh, wenn wir eine gute Basis im Naturkostfachhandel haben und wir es in das Sortiment im Lebensmitteleinzelhandel schaffen.

SZ: Gab es mal Anfragen von Discountern?

Scheitz: Ja, wir haben auch Gespräche geführt. Aber wir würden unserer Marke damit keinen Gefallen tun.

SZ: Ihr Vater Georg hat die Molkerei vor 30 Jahren gegründet. Sie und Ihre beiden Geschwister waren damals Teenager. Hat er damals Druck von Ihnen bekommen?

Scheitz: Nein. Den brauchte er gar nicht. Mein Vater hat sich 1980 aus dem Nichts selbständig gemacht und mit der Verarbeitung von Bio-Milch begonnen, weil er die Marktlücke gesehen hat. Mit 14 Jahren habe ich nachts in der Molkerei mit ihm Butter eingepackt und war darauf mächtig stolz. Mein Vater hatte einen ausgeprägten Pioniergeist und den haben wir uns erhalten.

SZ: Wur den Sie damals im Dorf belächelt?

Scheitz: Nicht nur im Dorf. Alle haben uns belächelt. Aber das macht nichts. Wenn man so was anfängt, muss man davon überzeugt sein, dass es einen anderen, besseren Weg gibt als den bekannten und darf sich nicht davon abbringen lassen.

SZ: Gab es in den ersten Jahren Zweifel, ob es der richtige Weg ist?

Scheitz: Nie! Vielleicht gab es mal Zweifel, ob uns der Verbraucher richtig wahrnimmt, ob wir genug Kunden finden, ob wir mit unseren Produkten richtig liegen. Aber an dem Bio-Weg haben wir nie gezweifelt, weil dieses Thema so viel Sinn bietet.

SZ: Haben Sie immer Gewinn gemacht?

Scheitz: Nein, wir haben viele Jahre Verlust gemacht. Das Geld war häufig knapp. Ich weiß, wie man mit knappen Mitteln umgeht. Die ganze Familie musste sich einschränken, aber wir hatten ein schönes gemeinsames Ziel und haben uns über die Produkte gefreut.

SZ: Wie ist Ihr Vater denn auf das Bio-Thema gekommen?

Scheitz: Da haben ihn zwei Menschen maßgeblich beeinflusst. Einmal der Bio-Bauer Martin Albrecht, der hat seinen Hof gleich neben der Molkerei, und Thomas Greim, Gründer von Denree und immer noch unser wichtigster Vertriebspartner. Damals hat mein Vater gedacht: das passt! Er musste nur noch die Lücke zwischen Erzeuger und Handel schließen.

SZ: Stand immer fest, dass Sie als älteste Tochter die Nachfolge übernehmen?

Scheitz: Wenn Sie durch eine Molkerei gehen, wissen Sie ganz schnell, ob Sie diesen Geruch mögen oder nicht. Ich liebe den Geruch von Milch.

SZ: Ihre Schwester und Ihr Bruder nicht?

Scheitz: Doch. Aber mein Bruder ist ein begeisterter Bio-Bauer. Der hält 150 Ziegen und 150 Schweine. Meine Schwester betreibt einen kleinen Handel, die 'Käs-Alm'.

SZ: Haben die Geschwister untereinander ausbaldowert, wer was macht?

Scheitz: Nein, das hat vor sehr vielen Jahren der Familienrat entschieden.

SZ: Haben die Geschwister untereinander ausbaldowert, wer was macht?

Scheitz: Nein, das hat vor sehr vielen Jahren der Familienrat entschieden.

SZ: Ein demokratisches Ereignis?

Scheitz: Wir haben lebhaft diskutiert und uns immer wieder die Frage gestellt, was macht jeder Einzelne wirklich gerne. Das fing schon an, als wir noch zur Schule gingen, wenn wir mit dem Vater in der Molkerei gearbeitet haben. Da offenbaren sich die Talente und Neigungen recht schnell. So kam das 'Thema Milch' zu mir.

SZ: Könnten Sie ein Joghurt herstellen?

Scheitz: Ja. Vor meinem BWL-Studium habe ich Molkereifachfrau gelernt.

SZ: Wirtschaften denn Frauen anders als Männer?

Scheitz: Frauen vertrauen eher ihrem 'Bauchgefühl', Männer meinen immer, sie müssten ihre Entscheidungen rationell begründen.

SZ: Nennen Sie doch mal eine Ihrer Bauchentscheidungen, die ein richtiger Knüller wurde, und eine, die völlig floppte?

Scheitz: Ein Knüller war die Pet-Anlage.

SZ: Und der Flop?

Scheitz: Darf ich mal eine Minute nachdenken? - Wir waren 2005 die erste Molkerei, die gentechnikfreie Milch bei konventionellen Bauern durchgesetzt hat. Aber am Markt kam die Milch nicht an. Die Zeit war nicht reif. Kein Mensch hat sich damals für das Thema Gentechnikfreiheit interessiert. Wir haben später die Zusammenarbeit mit gentechnikfrei konventionell wirtschaftenden Bauern eingestellt.

SZ: Wieso hat es eigentlich bis 2008 gedauert, bis Sie ganz auf die Verarbeitung von konventioneller Milch verzichtet haben?

Scheitz: Weil wir sehr stark in der Region verwurzelt sind und eine gesellschaftliche Verantwortung für die Bauern in unserer Region haben.

SZ: Wie viel konventionelle Bauern hatten Sie am Ende noch unter Vertrag?

Scheitz: 150 Bauern mit einem Milchaufkommen von 20 000 Kilogramm.

SZ: Wie hoch war der Umsatzanteil?

Scheitz: 12 bis 15 Millionen Euro, rund 20 Prozent vom Gesamtumsatz.

SZ: Ökologische Produkte sind das eine, zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise gehört aber auch soziale Verantwortung. Sind Sie netter zu Ihren Lieferanten als konventionelle Molkereien?

Scheitz: Das kann ich nicht beurteilen. Wir pflegen mit unseren Partnern eine klare, offene Umgangsform.

SZ: Wie äußert sich denn diese Offenheit?

Scheitz: Zum Beispiel in der Milchpreisfindung. Die Bauern sind alle acht Wochen hier im Haus und dann reden wir über Preise. Wir legen denen unsere Geschäftszahlen offen, diskutieren über die Strategie und die Marktentwicklung.

SZ: Mit allen Bauern?

Scheitz: Nein, mit den von unseren 570 Bauern gewählten zwölf Vertretern.

SZ: Wie viel zahlen Sie Ihren Milchbauern?

Scheitz: Seit April 40 Cent, netto. Konventionelle Milch am Markt liegt derzeit bei 33 Cents. Vor zwei Jahren lag der Unterschied noch bei 14 Cents. Der Aufpreis hat sich halbiert, weil konventionelle Milch jetzt besser bezahlt wird.

SZ: Wenn die Bauern in Ihre Bücher gucken dürfen, wie oft bekommen Sie da zu hören, bei diesem Gewinn sollte doch ein höherer Preis drin sein?

Scheitz: Das Unternehmen muss sich wirtschaftlich entwickeln können. Wir müssen investieren. Und unsere Investitionen sichern den Milchpreis in der Zukunft. Das kann man mit den Bauern diskutieren.

SZ: Gibt es für ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen eine Größengrenze?

Scheitz: Ja. Wir haben hier eine Verarbeitungskapazität für die Milch von 700 bis 750 Bauern.

SZ: Aber Sie könnten einfach in eine größere Molkerei fahren und nicht mehr nur bis Ingolstadt, um die Milch einzusammeln, sondern bis Nürnberg oder Hannover?

Scheitz: Wir verfolgen eher die gegenläufige Strategie. Wir verdichten. Wir haben uns einen Radius von 50 Kilometern um die Molkerei gesetzt, da ist Milcherfassung sinnvoll. Unser Gebiet reicht an die Alpenkette. Da stimmen die bäuerlichen Strukturen, die Fütterung, der Omega-3-Gehalt in der Milch. Im Durchschnitt halten unsere Milch-Bauern 40 bis 45 Kühe und ein 220.000 Kilogramm Kontingent.

SZ: Gibt es eine Umsatzgrenze?

Scheitz: Innerhalb der bestehenden Kapazitäten liegt sie bei rund 140 Millionen Euro.

SZ: Wann wollen Sie die erreichen?

Scheitz: So weit reichen unsere Zeithorizonte nicht.

SZ: Welche Renditeziele haben Sie?

Scheitz: Die veröffentlichen wir nicht. Molkereien sind sehr kapitalintensiv.

SZ: Zu den Bauern sind Sie nett. Unter Ihren Nachbarn im Dorf machen Sie sich gerade keine Freunde, weil Sie ein zwölf Meter hohes Hügelhaus mit Hundertwasser-Turm als neuen Verwaltungssitz mit Schaukäserei planen!

Scheitz: Das Hügelhaus bietet den Nachbarn Schutz vor Lärm und anderen Immissionen. Das Dach wird begrünt. Wir ersparen uns einen banalen Industriebau, investieren dagegen mehrere Millionen Euro.

SZ: Aber im Ort kommt Ihr Vorhaben nicht gut an. Der Prior von Kloster Andechs und der Dorfpfarrer liefen Sturm, weil der Hundertwasser-Turm ihren Kirchtürmen Konkurrenz machte. Wie passt das zu gesellschaftlicher Verantwortung, sich die Kirche auf den Hals zu hetzen?

Scheitz: Darüber habe ich nicht nachgedacht. Es geht um ein Gebäude, das ist kein Akt gegen die Kirche. Wir haben in den vergangenen Monaten viel mit unseren Nachbarn geredet. Jeder ist angehört worden. Ich hatte den Eindruck, dass sich die Gemüter etwas beruhigt haben, weil der Gemeinderat nun einen Turm von 20 Meter genehmigt hat, acht Meter niedriger als geplant.

SZ: Wi e finanzieren Sie den Neubau?

Scheitz: Wir wollen das auf ganz innovative Beine stellen.

SZ: Das heißt, Sie holen sich wieder Geld bei den Bauern wie damals für die Pet-Anlage?

Scheitz: Kann sein. Die Mezzanine-Beteiligung mit unseren Milchbauern hat sich bewährt.

SZ: Wie funktioniert das genau?

Scheitz: Von den 570 Bauern haben uns 200 ein Darlehen gewährt zwischen 1000 und 10.000 Euro. Die Höhe orientierte sich an der gelieferten Milchmenge, maximal elf Cent pro Kilogramm. Das Darlehen wird mit fünf Prozent jährlich verzinst. Wir haben das Programm 2004 aufgelegt. Der Ausstieg war frühestens nach drei Jahren möglich, doch bislang haben nur zwei Bauern ihren Vertrag gelöst.

SZ: Können Sie sich auch einen Börsengang vorstellen?

Scheitz: Dazu sind wir zu familiär. Zur Familie gehören nicht nur die Scheitz', sondern auch die Bauern und künftig vielleicht auch noch die Verbraucher.

SZ: Sie leihen sich Geld bei den Verbrauchern?

Scheitz: Könnte sein. Aber wir wollen erst einmal mit dem Bau beginnen und in zwei Jahren wollen wir dann einziehen: Das ist ein strammer Zeitplan.

© SZ vom 11.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: