Allianz stützt Pierer:Erstaunlicher Entlastungszeuge

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Allianz-Chef Diekmann nimmt Ex-Siemens-Chef Heinrich Pierer gegen die Forderungen seines früheren Arbeitgebers in Schutz. Das erscheint zunächst erstaunlich.

Klaus Ott

Noch ist keine Klage eingereicht, noch wird der Streitfall Siemens gegen Pierer nicht bei Gericht verhandelt. Doch was der Industriekonzern und sein langjähriger Vorstandschef Heinrich von Pierer sich gegenseitig vorwerfen werden, falls es tatsächlich zu einem der spektakulärsten Prozesse in der deutschen Wirtschaft kommt, das steht längst fest.

Die Siemens AG wird vortragen, der frühere Chef sei für den Schmiergeldskandal im Unternehmen mitverantwortlich und müsse mit seinem gesamten Privatvermögen für die Schäden in Milliardenhöhe haften, die durch die kriminellen Delikte entstanden seien. Allein die Strafen betrugen 1,2 Milliarden Euro.

Pierer und die anderen Ex-Vorstände, von denen Siemens Millionenbeträge fordert, werden das wohl zurückweisen. Und sie werden womöglich einen prominenten Zeugen benennen, um zu belegen, dass eigentlich gar kein Schaden entstanden sei: Es könnte Michael Diekmann sein, der Vorstandsvorsitzende des Versicherungskonzerns Allianz.

Ultimatium bis Mitte November

Pikant, denn Diekmann gehört auch dem Aufsichtsrat von Siemens an. Jenem Aufsichtsrat also, der die Forderungen gegen Pierer, der sechs Millionen Euro zahlen soll, und weitere Ex-Vorstände beschlossen hat. Und der ein Ultimatum bis Mitte November gestellt hat. Wer bis dahin nicht einlenkt, der wird verklagt.

Diekmann als oberster Repräsentant der Allianz als Entlastungszeuge für Pierer & Co., das klingt zunächst verwunderlich. Siemens hat vor Jahren für die Vorstände eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Ein Assekuranz-Konsortium unter Führung der Allianz soll danach für Schäden bis zu einer Höhe von 250 Millionen Euro aufkommen.

Die Allianz und deren Partner zahlen nach langem Feilschen jetzt aber nur 100 Millionen Euro. Mit welchen Argumenten sie ihre Versicherungsleistung so deutlich heruntergehandelt haben, wird von Pierer & Co. und deren Anwälten aufmerksam registriert. Fast könnten die ehemaligen Siemens-Vorstände die Anwaltspapiere der Allianz abschreiben und bei Gericht einreichen.

Eingeschränkter Erfolg

Die Allianz argumentiert Siemens habe einen "erstattungsfähigen Schadenersatzanspruch gegen die früheren Vorstandsmitglieder bislang weder dargelegt noch nachgewiesen".

So steht es in einem umfangreichen Schriftsatz des vom Versicherungs-Konsortium beauftragten Anwaltsbüros Bach, Langheid & Dallmayr aus Köln. Das Papier ging an Michael Hoffmann-Becking aus der Düsseldorfer Anwaltssozietät Hengeler Müller, der im Auftrag von Siemens Geld von den früheren Vorständen eintreiben soll und der auch die Allianz wegen der Versicherungspolice zur Zahlung aufgefordert hatte - mit allerdings eingeschränktem Erfolg.

Die für die Allianz tätige Kölner Kanzlei rechnete vor, dass die Korruption Siemens unter Umständen mehr gebracht als gekostet hat. Die Kanzlei bestritt, dass dem Industriekonzern "keine wirtschaftlichen Vorteile aus den Bestechungsvorgängen verblieben sind".

Was die Allianz damit sagen wollte: Die Profite beim Bau von Kraftwerken und bei anderen Projekten, die der Industriekonzern mit Hilfe von Schmiergeld weltweit akquiriert hat, könnten höher ausgefallen sein als die späteren Strafen und sonstigen Folgekosten der Affäre. Und es sei nicht einzusehen, dass sich Siemens die durch die vermeintlichen Fehler der damaligen Konzernspitze "bewirkten Vorteile nicht anrechnen lassen müsse", notierten die Allianz-Anwälte.

Allianz: "Mitarbeiter vor Ort" verantwortlich

Siemens wirft Pierer & Co. vor, sie hätten nicht genau genug hingeschaut, was im Unternehmern vorgegangen sei, und durch diese Verletzung ihrer Amtspflichten die Korruption ermöglicht. Dieses Kapitel wollte die Allianz "nicht weiter vertiefen", aber zahlen wollte sie auch nicht.

Und das nicht nur, weil sich die Bestechung am Ende noch gelohnt haben könnte und der Bundesgerichtshof schon vor Jahren festgelegt habe, der "Genuss" solcher Vorteile müsse berücksichtigt werden. Das Versicherungs-Konsortium trug auch vor, der "komplexe Großschaden" sei nicht unmittelbar von den früheren Führungsorgane von Siemens herbeigeführt worden, sondern "von den Mitarbeitern vor Ort".

Den Hinweis, dann sollten doch die einfachen Angestellten zahlen, die im Auftrag ihres Arbeitgebers kräftig schmierten, verkniff sich die Allianz allerdings.

Dafür rügte das Versicherungs-Konsortium, dass Siemens für die interne Aufklärung der Affäre 857 Millionen Euro Honorar an Anwaltskanzleien aus den USA und Wirtschaftsprüfgesellschaften gezahlt habe. Ein "derart enormer Aufwand war gewiss nicht notwendig", schrieben die Allianz-Anwälte.

Dieser Betrag sei "unverhältnismäßig hoch und deshalb nicht erstattungsfähig". Und schließlich warnten sie Versicherer vor einer "ausufernden Haftung" von Vorständen. Wie weit die Verantwortung hoch dotierter Top-Manager reicht, das wäre eine spannende Grundsatzfrage bei Gericht, sollte der Fall Siemens gegen Pierer aufgerufen werden.

© SZ vom 06.10.2009/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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