Flugzeugbranche:Ein neuer Chef für die wichtigste Sparte von Airbus

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Produktion des A320 in Finkenwerder bei Hamburg. (Foto: Christian Charisius/REUTERS)

Christian Scherer, bisher oberster Verkäufer des Konzerns, ist nun für Zivilflugzeugsparte verantwortlich. Was der Wechsel strategisch für den europäischen Flugzeughersteller bedeutet.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Der 28. Oktober 1972 hat in Christian Scherers Leben eine besondere Bedeutung. Der damals Zehnjährige stand an diesem Tag auf der Dachterrasse des alten Flughafenterminals von Toulouse und wartete darauf, dass der Prototyp des Airbus A300 zu seinem ersten Flug abhob. Viel wichtiger allerdings war ihm und seiner Mutter, die neben ihm stand, dass das Flugzeug nach den ersten Tests auch wieder sicher landen würde. An Bord war Vater Günter als Flugingenieur.

Der 26. September 2023 war ein weiterer besonderer Tag für Scherer, dessen Leben nicht nur beruflich so eng mit Airbus verbunden ist wie das kaum eines anderen Mitarbeiters. Gut 50 Jahre nach dem Erstflug hat der Airbus-Verwaltungsrat den 61-Jährigen als Chef der Airbus-Zivilflugzeugsparte nominiert, der mit Abstand wichtigsten Einheit im Konzern. Scherer folgt dabei auf seinen Chef Guillaume Faury, der den Posten bislang in Personalunion als Chef der Airbus Group ausgeübt hat. Airbus begründete den Schritt damit, dass Faury sich künftig mehr auf seine strategischen Aufgaben konzentrieren und mehr Zeit auch für die anderen Geschäftsbereiche wie Verteidigung, Raumfahrt und Helikopter aufbringen solle.

Christian Scherer, neuer Chef der zivilen Flugzeugsparte bei Airbus, hat eine schwierige Aufgabe vor sich. (Foto: BRIAN SNYDER/REUTERS)

Airbus steht, wie die gesamte Luftfahrtbranche, vor einer großen Transformation, die sie nachhaltiger machen soll. Bis 2050 will die Industrie klimaneutral sein, doch der Umstieg auf alternative Antriebe ist technologisch viel schwieriger als etwa bei Autos. Airbus hat sich festgelegt, 2035 ein kleines Wasserstoff-Flugzeug auf den Markt zu bringen. Doch angesichts der rund 40 000 Jets, die bis dahin weltweit fliegen werden, wird Wasserstoff noch auf Jahrzehnte hinaus kaum einen Unterschied machen. Gleichzeitig setzt Airbus auf synthetischen Treibstoff, den die aktuell gebauten Flugzeuge nutzen können, der aber nicht annähernd in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. Faury hatte zuletzt ebenfalls angekündigt, dass Airbus für die zweite Hälfte der 2030er-Jahre Nachfolger der Kurz- und Mittelstreckenjets der A320neo-Reihe plane.

Der Verkaufsbereich, den Scherer bislang verantwortete, war schon länger Airbus' geringstes Problem. Der Auftragsbestand liegt bei mittlerweile 7500 Flugzeugen. Damit ist der Hersteller bis Ende des Jahrzehntes selbst dann ausverkauft, wenn die ambitionierten Pläne, die Produktion auszuweiten, tatsächlich funktionieren. Ansonsten müssen die Kunden eben noch länger auf die Jets warten. Am Tag vor der Ankündigung durfte Scherer dann noch einmal in alter Funktion glänzen: Air France-KLM gab bekannt, 50 Langstreckenjets des Typs A350 kaufen zu wollen, mit Optionen für weitere 40 Maschinen. Für den Konzern ein ziemlich wichtiger Erfolg, denn anders als bei der A320neo-Baureihe liegt bei den Großraumjets derzeit Boeing in Sachen Aufträge vorne.

Scherer muss die Produktion massiv erhöhen und gleichzeitig modernisieren

Der neue Job wird eine Mammutaufgabe. Airbus muss den Spagat hinbekommen, die Produktion massiv zu erhöhen und gleichzeitig zu modernisieren. Darin stecken große Risiken, wenn neue Prozesse schieflaufen. Weiterhin bereiten auch die Lieferanten erhebliche Probleme, zuletzt wieder einmal der Motorenbauer Pratt & Whitney, der wegen eines in der Produktion zunächst unbemerkten Materialfehlers in den kommenden Jahren 3000 Triebwerke der A320neo-Reihe kontrollieren und reparieren muss. Im ersten Halbjahr 2024 wird deswegen voraussichtlich etwa die Hälfte aller prattbetriebenen A320neo am Boden stehen, das sind etwa 600 Flugzeuge. Und schon vor dem neuesten Fiasko konnten Pratt und Partner (unter anderem MTU Aero Engines) bei Weitem nicht so viele Motoren liefern, wie die Kunden benötigt hätten.

Scherer wird also weiterhin seine guten Beziehungen zu den Kunden ausspielen müssen, um eine komplizierte Lage zu meistern. Erfahrung genug hat er darin. Schon 2003 wurde er Stellvertreter des langjährigen Verkaufschefs John Leahy, der als einer der Väter des Airbus-Erfolges gilt. Später wechselte Scherer kurz in die Verteidigungssparte, bevor er dann Strategiechef des Konzerns wurde und kurz des Regionalflugzeug-Joint-Venture ATR leitete. Als Leahy 2017 nach Jahrzehnten in den Ruhestand ging, galt Scherer als sein sicherer Nachfolger. Doch ihm wurde der ehemalige Rolls-Royce-Manager Eric Schulz vorgezogen, der allerdings nach nur einem Jahr wieder gehen musste. Scherer rückte nach.

Seinen neuen Posten soll er nun zum 1. Januar antreten. Damit verbunden sind aufwendige Vorarbeiten. Geklärt werden muss, welche Einheiten innerhalb von Airbus hinüberwechseln in die neue Einheit und welche als übergeordnete Konzernfunktion erhalten bleiben sollen. Scherer soll sich auch ein neues Team zusammenstellen, das Airbus Commercial Aircraft als Bereichsvorstand leitet.

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