Verfahren vor Arbeitsgerichten erinnern bisweilen an Scheidungsprozesse. Je zerrütteter das Verhältnis beider Seiten ist, desto verbissener ist auch der Kleinkrieg. Und der kann dann schon mal vom Wesentlichen ablenken.
Im Fall mit dem Aktenzeichen 43 CS 11682/19 vor dem Münchner Arbeitsgericht geht es um einen eher seltenen Fall: Ein ADAC-Mitarbeiter soll irregulär an einer Betriebsratssitzung teilgenommen haben, um so Kündigungsschutz zu erschleichen. Der Mann war kein ordentliches Mitglied, sondern einer der Ersatzleute auf einer Angestelltenliste. Da die Teilnahme an der Sitzung aus Sicht des Automobilklubs nicht ordnungsgemäß war, hat er dem Mann fristlos gekündigt.
Der Betroffene jedoch erzählt eine andere Geschichte: Als Revisor habe er Gesetzesverstöße beim ADAC aufgedeckt - und sei deshalb abserviert worden.
Es geht um Vorgänge bei der ADAC SE, jenem Milliardenkonzern, in den Europas größter Automobilklub seine profitgetriebenen Geschäfte ausgelagert hat. Besagter Revisor, ein promovierter Versicherungswissenschaftler mit einem Dutzend Dienstjahren beim ADAC, prüfte 2016 rückwirkend das Geschäftsjahr 2014 der ADAC-Versicherung-AG, einer Tochterfirma der SE. Dabei monierte er allerhand aus seiner Sicht bestehende Verstöße gegen Gesetze und Vorgaben, die er detailliert dokumentierte. Es ging um variable Vergütungen für leitende Mitarbeiter, Aufsichtsräte und Vorstände der Firma. Zu letzteren gehört auch Marion Ebentheuer, in Personalunion Vorstandsmitglied der Muttergesellschaft ADAC SE. Auch bei der betrieblichen Altersvorsorge, bei Personalprozessen, Kapitalanlagen und dem Management von Notrufstationen im Ausland monierte der Revisor die Praxis beim ADAC und forderte Korrekturen.
Der ADAC sagt, die Kündigung des Mannes habe mit seinen Prüfungen nichts zu tun
Darüber, ob daraus Konsequenzen gezogen wurden, gehen die Darstellungen weit auseinander. Alle "von der Revision vorgeschlagenen Maßnahmen zur Optimierung der Prozesse und internen Regularien wurden umgesetzt", sagt ein ADAC-Sprecher auf Anfrage. Eine spätere Compliance-Untersuchung, sowie das Gutachten einer externen Anwaltskanzlei kämen zu dem Ergebnis, dass darüber hinaus kein Handlungsbedarf bestanden habe.
Aus der Sicht des später geschassten Revisors, dessen Anwältin Katrin Hegewald auf Anfrage "zu Details keine Angaben machen" wollte, "weil dies vertrauliche Interna beinhalten würde", stellt sich die Lage komplett anders dar. Mehrmals soll er Insidern zufolge moniert haben, dass auf seine Feststellungen nicht ausreichend reagiert worden sei. Auch bei der Prüfung des Geschäftsjahres 2015 habe er angeblich ähnliche und teilweise dieselben Verstöße erneut festgestellt. "Ich habe pflichtgemäß dokumentiert, dass die ADAC SE Recht und Gesetz nicht einhält", sagte der Mittvierziger bei einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht. Seine Kündigung sei der Versuch, "mich zum Sündenbock zu stempeln". Seine Anwältin sagte, ihr Mandant habe "ordentliche und gründliche Arbeit geleistet". Zu gründliche vielleicht?
Der ADAC weist den Vorwurf als "haltlos" zurück, die Kündigung des Revisors habe mit dessen Prüfungen nichts zu tun. Allerdings eskalierte die Situation innerhalb der ADAC SE. Der Revisor fühlt sich ausgebremst. Dem Vernehmen nach habe er die - aus seiner Sicht - Untätigkeit der Verantwortlichen immer hartnäckiger und schärfer kritisiert. Umgekehrt hätten Vorgesetzte sich an seinem angeblich unangemessenen Ton und Vorgehen gestört. Als der Revisor im Zuge seiner Arbeit ein Gespräch mit einer Kollegin aufzeichnet, wirft ihm der ADAC "illegale Verhörmethoden" vor. Eine externe Anwaltskanzlei prüft den Vorgang - und findet nichts zu beanstanden.
Ihr Mandant sei durch seine akribische Arbeit wohl zu unbequem für die ADAC-Leitungsebene geworden, vermutet Anwältin Hegewald und verweist unter anderem auf mehrere "fragwürdige Abmahnungen". Monatelange Gespräche über einen Wechsel des Revisors von der ADAC SE in den ADAC e.V. oder eine friedliche Trennung scheiterten. Am Ende stand der Rauswurf.
Ein ADAC-Sprecher begründet die Kündigung mit einem "massiven Pflichtverstoß und Vertrauensbruch" sowie einem angeblich "versuchten Betrug zulasten des ADAC". Es geht dabei um jene Betriebsratssitzung im Juli 2019. Der Revisor, Ersatzmitglied im Betriebsrat, soll vor der Sitzung alle auf der Ersatzleuteliste vor ihm platzierten Kollegen aufgefordert haben, auf ihre Teilnahme zu verzichten, damit er an diesem Tag nachrücken konnte. Dadurch hat der Mann einen, wenn auch zeitlich begrenzten, Sonderkündigungsstatus erhalten. Dieser Vorwurf sei an den Haaren herbeigezogen, sagte der Revisor vor Gericht.
Seine Anwältin macht geltend, dass es in besagter Betriebsratssitzung um ein Spezialthema gegangen sei, das ihr Mandant dort "absprachegemäß vorgestellt" habe. Der ADAC entgegnet, seine Version der Dinge würden von anderen Betriebsräten bestätigt; nicht umsonst habe auch die Arbeitnehmervertretung der Kündigung des Revisors zwischenzeitlich zugestimmt. Auch eine unabhängige Compliance-Untersuchung stütze die Sicht des Arbeitgebers.
Ob diese sich auch bei Gericht durchsetzen wird, entscheidet sich im Juli, wenn der nächste Verhandlungstermin ansteht. Denn Fälle vor dem Arbeitsgericht können sich wie Ehescheidungen lange hinziehen.