ACTA-Proteste und das Urheberrecht:"Der kleine Urheber hat doch nichts von einer Verschärfung"

Lesezeit: 4 Min.

Der Musiker Bruno Kramm hat ein ACTA-Protest-Video synchronisiert, das im Netz mehr als eine halbe Million Aufrufe hat. Ein Gespräch darüber, warum er gegen ein schärferes Urheberrecht ist, illegale Downloads kein Problem sind, Kim Schmitz aber dennoch ein Ganove ist.

Mirjam Hauck

Bruno Kramm ist Musiker ("Das Ich"), Labelinhaber ("Danse Macabre") und Anti-ACTA-Aktivist. (Foto: Bruno Kramm)

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement ( ACTA) ist ein völkerrechtliches Abkommen, das von den USA und Japan initiiert wurde. Den Vertrag, der internationale Standards zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen und Produktpiraterie setzen soll, haben inzwischen die meisten der 27 EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet. ACTA baut auf dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen) auf, das vor allem durch die Patentierung von Saatgut und Medikamenten in die Kritik geriet. Gegen ACTA regt sich nun auch in Deutschland Widerstand. So rufen beispielswiese Anonymous, die Grünen sowie die Piratenpartei im Februar zu Aktionen und Demonstrationen auf. Aktiv daran beteiligt sich auch Bruno Kramm, Mitbegründer der Elektro-Wave-Band "Das Ich" und Inhaber des Indie-Labels "Danse Macabre".

Süddeutsche.de: Sie haben das Anonymous-Video zum ACTA-Protest synchronisiert. Wie kamen Sie auf die Idee?

Bruno Kramm: Ich habe mich gefragt, warum in Deutschland auch in den Medien wenig über ACTA informiert und diskutiert wird, warum so wenige Menschen über das Anti-Piraterie-Abkommen Bescheid wissen, das im Gegensatz zu den US-amerikanischen Varianten SOPA und PIPA (Stop Online Piracy Act und Protect IP Act; Anm. d. Red.) weltweit in Kraft treten soll. Da habe ich mir das Anonymous-Video genommen, es synchronisiert und es wieder bei Youtube hochgeladen. Mittlerweile hat es über 500.000 Aufrufe. Der Informationsbedarf war also da, wie die enorme Resonanz zeigt. Ich bekomme viel Zuspruch dafür, aber natürlich auch Kritik.

Süddeutsche.de: Mit ACTA sollen Produktpiraterie und Urheberechtsverletzungen effektiv bekämpft werden können. Was ist daran verkehrt?

Kramm: Da gibt es viele Kritikpunkte. Zum einen wurden bei den Verhandlungen zu ACTA die Öffentlichkeit und die Parlamente der Länder ausgeschlossen, da saßen nur große Industrielobbys am Tisch. Demokratisch gewählte Institutionen sollen das Gesetz quasi nur noch abnicken. Zudem betoniert ACTA ein ohnehin schon restriktives Urheberrecht, wenn es eine Strafbarkeit einführt. Und es widerspricht der Meinungsfreiheit und der Freiheit im Internet, wenn die Zugangsprovider die Datenströme überwachen sollen. Es darf nicht sein, dass jedes Datenpaket auf Vorrat geprüft wird. Unser Privatraum muss geschützt bleiben und heute gehört dazu nun auch einmal der E-Mail- und Datenverkehr.

Süddeutsche.de: Sie sind selbst Musiker und haben ein kleines Plattenlabel. Genau so jemand wie Sie soll doch von einem verschärften Urheberrecht profitieren.

Kramm: Gerade eben nicht. Die Musiker, die das behaupten, haben sich von der Musikindustrie instrumentalisieren lassen. Für junge Künstler war es zu jeder Zeit schwer, Fuß zu fassen und Geld zu verdienen, wie bei mir in den achtziger Jahren und da gab es noch nicht das "böse" Internet. Dafür gab es das Industriemonopol der Vertriebswege. Und der kleine Urheber profitiert doch auch heute nur eingeschränkt von den Urheberrechtsverwertungsgesellschaften wie der Gema. So haben wir von Das Ich für eine Tournee im Jahr 2000 ganze 97 Mark von der Gema bekommen. Große Rechteinhaber wie Dieter Bohlen oder Ralph Siegel profitieren vom Verteilungsschlüssel der Gema, weil der davon ausgeht, dass kleine Bands und Hobbymusiker vor allem Coversongs spielen und deshalb die großen Inhaber von Standardwerken höhere Zulagen erhalten. Eine kleine Band spielt heute aber größtenteils eigenes Repertoire. Die Gelder hierfür landen aber nicht bei ihnen.

Süddeutsche.de: Illegale Downloads sind kein Problem für Sie?

Kramm: Nein, für mich als Musiker überhaupt nicht. Problematisch finde ich nur, wenn Ganoven wie Kim Schmitz sich daran bereichern. Das Internet hat einfach vieles verändert. Musik ist inzwischen ein inflationär vorhandenes Gut und damit verliert ein einzelner Song auch an Wert. Es ist doch gar nicht erwiesen, das jeder der illegal Songs erwirbt, diese normalerweise gekauft hätte. Und von geistigem Diebstahl zu sprechen, verkennt die Tatsache, das niemandem etwas entwendet wird. Dem gegenüber steht das demokratische und unermessliche Promotioninstrument Internet.

Süddeutsche.de: Der Verband der Deutschen Musikindustrie sagt, dass durch den illegalen Download-Markt die Musikindustrie allein im Jahr 2007 etwa 250 Millionen Euro verloren hat und Zehntausende Arbeitsplätze vernichtet wurden.

Kramm: Es ist doch einfach so, dass heutzutage ein Künstler diese ganze Verwertermaschinerie der Musikindustrie nicht mehr braucht. Er kann sein eigener Produzent und sein eigener Vermarkter sein. Zugespitzt kann man sagen, das Musikstudio ist der PC und mit guten viralen Ideen kann man sehr wohl selbst Erfolg haben. So hat ein Video einer der Bands meines Labels bei Youtube inzwischen vier Millionen Aufrufe.

Süddeutsche.de: Aber damit hat die Band noch keinen Cent verdient.

Kramm: Nein, aber sie hat an Popularität gewonnen und es kommen dann deutlich mehr Menschen zu den Konzerten. Und dort werden nach wie vor viele CDs und anderer Merchandise verkauft. Der Mensch ist einfach ein Jäger und Sammler, der die Musik eines Künstlers auch physisch besitzen will. Wenn er mit der Band in eine Beziehung getreten ist, und das tut er auf Konzerten, will er auch Memorabilia.

Und natürlich gibt es viele Jobs in der Musikindustrie nicht mehr. Aber es ist auch gut so, dass diese ganze teure und teilweise auch überflüssige Verwertungskette inzwischen nicht mehr benötigt wird. Es braucht keinen A&R-Manager (Artists and Repertoire; Anm. d. Red.), der dem Konsumenten vorschreibt, was er hören soll. Geschmack und Kunst muss frei sein und braucht keine Vorauswahl, die dann ja in erster Linie nach betriebswirtschaftlichen Überlegungen des Massenerfolges getroffen wird.

Heute gibt es eine viel größere Stilvielfalt und musikalische Nischen. Gefragt sind Menschen, die jungen Bands eben die Mechanismen der Selbstvermarktung beibringen.

Süddeutsche.de: Braucht es also vor allem Marketingseminare für Künstler?

Kramm: Ja, genauso wie die IHK ihren Mitgliedern mit Seminaren unter die Arme greifen, um mit den neuesten Unwägbarkeiten des Informationszeitalters zurechtzukommen, sollte hier eine staatliche Förderung für Künstler stattfinden. Denn frei ist nur, wer seine Freiheit auch nutzen kann. Und das in einem freien und unzensierten Internet.

ACTA-Protestaktionen

[] Online-Petition von Avaaz http://www.avaaz.org

[] Anonymous ruft zum " Paperstorm" auf: "Kreative Köpfe" sollen Flyer designen - und verteilen.

[] Am 11. Februar sollen bundesweite Demonstrationen stattfinden, unterstützt von der Piratenpartei und den Grünen.

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