Absturz des Dax:Sensibelchen an der Börse

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"Flashcrash" nennt sich das, wenn der Dax abstürzt. Warum passierte das? Weil die Anleger nervös waren. Vor allem aber, weil die Computerprogramme an der Börse immer sensibler werden.

Von Markus Zydra, Frankfurt

In diesem Moment dachten viele Händler an die schlimmsten Börsentage im Herbst 2008, dem Höhepunkt der Finanzkrise. Es war kurz vor 10 Uhr am Mittwoch, als der Aktienindex Dax binnen weniger Minuten 180 Punkte verlor. Auf der allseits bekannten Dax-Tafel im Handelsraum der Frankfurter Börse war ein nahezu senkrechter Strich abgebildet, der diesen plötzlichen Mini-Crash visualisierte.

Von knapp 7700 Punkten runter auf 7514 Zähler, den niedrigsten Stand seit mehr als vier Monaten. Das entsprach zwar "nur" einem Minus von 2,2 Prozent - doch in diesen Augenblicken fürchteten einige, der Absturz könne weitergehen.

Was war passiert? Die einfache Antwort lautet: Die Anleger waren nervös. Wer es genauer erfahren möchte, der muss sich mit der fortschreitenden Technologisierung des Börsengeschäfts auseinandersetzen. Die meisten Aktien werden heutzutage von Computerprogrammen gehandelt. Völlig automatisiert. Eine Software entscheidet darüber, ob Daimler-Aktien gekauft werden oder doch lieber BASF-Papiere. Man spricht vom Algo-Trading.

Diese auf Algorithmen, also Rechenregeln, basierenden Handelssysteme werden fortlaufend angepasst an die aktuelle Marktlage - und die hat sich verdüstert. Am Freitag fiel der Gold- und Silberpreis so stark wie Jahrzehnte nicht mehr. Das war ein Schock. "Da wurden viele Vermögensverwalter und Fondsmanager kalt erwischt, deshalb haben sie ihre Computerprogramme am Wochenende verfeinert", sagt Robert Halver, Chefhändler der Baader Bank. "Nach den Verlusten mit Gold wollten die Investoren sichergehen, dass so etwas mit Aktien nicht passiert."

Das bedeutet: Die Handelssysteme agierten fortan sensibler. Aus den USA kamen am Mittwochmorgen schlechte Prognosen für den Aktienmarkt, was den Dax leicht in die Verlustzone schob, dazu hätten Wachstumssorgen in der Eurozone zusammen mit verstärkter Unsicherheit wegen eines Raketenbeschusses der südisraelischen Stadt Eilat die Stimmung getrübt.

Normalerweise lösen solche Nachrichten keine Katastrophe aus. "Letzte Woche wäre da nichts im Dax passiert", meint Halver. Aber am Mittwoch reichte dieses Mix, um eine Kettenreaktion auszulösen. Immer mehr Algo-Trader verkauften Aktien, was die Kurse weiter nach unten trieb und dadurch weitere automatisierte Verkäufe auslöste - ein sich selbst verstärkender Kollaps binnen weniger Minuten. Hintergrund: Viele Investoren setzen so genannte Stopp-Loss-Marken - sie stellen ihr System so ein, dass Aktien sofort veräußert werden, wenn der Dax beispielsweise unter die Marke von 7600 Punkte fällt.

"Hier war aber kein irrlichterndes Computerprogramm am Werk und auch kein Fat Finger", sagt Halver. In den vergangenen Jahren gab es vor allem in den USA immer wieder Flashcrashs - die Aktienkurse fielen, weil fehlgesteuerte Handelssysteme völlig unsinnige Verkaufsgeschäfte in Milliardenhöhe ausführten und damit einen Preiskollaps auslösten. Mitunter waren es auch Mitarbeiter, die einen falschen Knopf gedrückt hatten - man spricht hier im Börsenjargon vom "Fetten Finger".

Der bekannteste Flashcrash ereignete sich am 6. Mai 2010. Damals stiegen am US-Aktienmarkt die Umsätze rasant an und die Kurse purzelten, weil ein Investmentfonds den Markt mit Verkaufsorders überschwemmt hatte. Manche Aktie verlor binnen weniger Minuten 99 Prozent ihres Werts, um sich dann wieder zu erholen.

Die Deutsche Börse nahm den Kurssturz des Dax gelassen. "Von der Handelsüberwachung haben wir nichts gehört, dass es irgendwelche Unregelmäßigkeiten gegeben hätte", sagte ein Sprecher des Börsenbetreibers. So hat der Dax seinen Absturz auch bald beendet und sich im Laufe des Mittwoch leicht erholt.

Marktbeobachter gehen aber davon aus, dass die Nervosität an der Börse, auch aufgrund der Goldpreisentwicklung, bestehen bleibt. Mitte März hatte der deutsche Leitindex noch die viel beachtete Marke von 8000 Punkten erreicht. Das Allzeithoch von 2008 liegt bei 8100 Zählern.

An den Rahmenbedingungen für die von vielen Experten erwartete Hausse hat sich wenig geändert. Die Konjunkturaussichten sind zwar immer noch wenig berauschend, dennoch gelten die Aktien im Dax als günstig - auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Hier wird der Preis der Aktie ins Verhältnis zum erwarteten Konzerngewinn je Aktie gesetzt.

Im Dax lag das KGV im langjährigen Durchschnitt bei rund 15. Im Jahr 2000, zum Höhepunkt der Internetblase, lag dieser Wert bei über 30, doch zur Zeit notiert das KGV im Dax unter zwölf. Börsen-Hausse trotz europäischer Rezession? Ja, auch das ist möglich.

© SZ vom 18.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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