Finanzmärkte:Brutalst mögliche Abschreibung

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Volkswagen-Zentrale in Wolfsburg: Komplizierte Strukturen wie bei wohl keinem anderen Konzern in Deutschland. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Seit Juli ist John Cryan Vorstandschef der Deutschen Bank, und schon jetzt lässt sich sagen: Der Brite geht soschonungslos vor wie kaum ein anderer Manager. Das beschert dem Konzern den größten Verlust seiner Geschichte

Von Thomas Fromm und Klaus Ott, München

Das Großreinemachen ihres neuen Vorstandschefs John Cryan beschert der Deutschen Bank den größten Verlust in ihrer Unternehmensgeschichte. Wie das Institut am späten Mittwochabend und damit gut eine Woche vor der Bilanzpressekonferenz mitteilte, steht für 2015 ein Fehlbetrag vor Steuern von 6,1 Milliarden Euro zu Buche. Analysten hatten lediglich mit einem Minus von 3,6 Milliarden Euro kalkuliert. Nach Steuern beläuft sich der Verlust sogar auf 6,7 Milliarden Euro. Selbst 2008, im Jahr der Lehman-Pleite, war der Verlust mit seinerzeit 3,9 Milliarden Euro kleiner ausgefallen.

Als Grund führte die Deutsche Bank die vielen noch ungelösten Rechtsstreitigkeiten an. Zudem baut Cryan die Bank um und streicht allein in Deutschland rund 4000 Jobs, zumeist im Privatkundengeschäft; dafür musste sie im vierten Quartal rund eine Milliarde Euro zurückstellen. 2014 hatte die Deutsche Bank noch rund 1,7 Milliarden Euro Gewinn ausgewiesen - mehr als doppelt so viel wie ein Jahr zuvor.

Der Brite führt die Bank seit Juli 2015 und hat von seinem Vorgänger Anshu Jain ein schweres Erbe übernommen. Der frühere Vorstandschef hat seinem Nachfolger, der seit 2013 bereits im Aufsichtsrat saß, vor allem einen Berg ungelöster Rechtsstreitigkeiten hinterlassen, die insbesondere aus Jains Zeit als Investmentbankchef des Konzerns stammen. Bislang haben diese Auseinandersetzungen die Bank 12 Milliarden Euro gekostet - Geld, das an anderer Stelle fehlt, um das Unternehmen wieder auf Augenhöhe zu bringen, vor allem mit den US-Konkurrenten.

Länger als alle anderen Wettbewerber hatte die Deutsche Bank unter Jain insbesondere auf das ebenso riskante wie schwankungsanfällige Kapitalmarktgeschäft gesetzt. Das aber wirft unter der verschärften Regulierung der Aufsichtsbehörden immer weniger Rendite ab. So weist die Deutsche Bank in ihrer Mitteilung darauf hin, dass im vierten Quartal 2015 "herausfordernde Marktbedingungen" den Ertrag im Investmentbanking geschmälert und der Sparte einen Verlust beschert hätten. Hinzu kommt die wachsende Dominanz der Rivalen von der Wall Street, die dem deutschen Marktführer enteilt sind.

In seiner Eigenschaft als Aufsichtsrat hatte Cryan die noch von Jain präsentierte neue Strategie abgesegnet. Sie sieht etwa vor, dass die Tochter Postbank in die Eigenständigkeit entlassen und das Kapitalmarktgeschäft gestutzt wird. Seit er selbst die Bank als Vorstandschef führt, geht Cryan allerdings radikaler vor als Jain. Ganze Geschäftseinheiten werden zusammengestrichen, mehr als 9000 Stellen fallen weltweit weg, 200 von rund 700 Filialen sollen geschlossen werden; auch die Beteiligung an der chinesischen Huaxia Bank haben die Frankfurter inzwischen veräußert. Für 2015 und 2016 will die Deutsche Bank ihren Aktionären keine Dividende zahlen, zudem sollen die Boni drastisch sinken.

Wie viele neue Vorstandschefs nutzt Cryan den Neustart und hat so gut wie alles an Belastungen in die Bilanz des vergangenen Jahres eingearbeitet. Allein im dritten Quartal schrieb er 5,8 Milliarden Euro auf Firmenwerte in der Bilanz ab. Er korrigierte nicht nur den Wert der schrittweise ab 2008 übernommenen Postbank, sondern sogar den Wert des im Jahr 1999 zugekauften US-Instituts Bankers Trust.

Frühestens 2018 werde der Konzern wieder eine normale Bank" sein, hatte Cryan Ende Oktober gesagt, als er sich erstmals der Öffentlichkeit vorstellte. Die Investoren allerdings misstrauen seinem Radikalkurs: Seit Cryans Amtsantritt hat die Aktie der Deutschen Bank mehr als 20 Prozent verloren; derzeit notiert sie auf dem niedrigsten Stand seit der Finanzkrise. Der Konzern ist inzwischen nicht einmal mehr die Hälfte des Eigenkapitals wert. Wie bereits mehrfach seit seinem Amtsantritt richtete sich Cryan, der bislang äußerst medienscheu auftritt, auch jetzt wieder über die Firmenwebsite an die eigenen, derzeit noch rund 100 000 Mitarbeiter. Dass die Bank den ersten Jahresverlust seit 2008 ausweise, sei ernüchternd, so Cryan.

Die kommenden zwei Jahre bestünden aus harter Arbeit, die überschattet sein werde von den Belastungen, die sich aus der Restrukturierung der Bank ergäben. Dadurch freilich werde sich die Deutsche Bank fit machen für die Zukunft, um wieder zu einer "starken, effizienten und ordentlich geführten Institution" zu werden. Nach der Hauptversammlung im Mai wird Cryan die Bank alleine führen, wenn sein Noch-Co-Chef Jürgen Fitschen in den Ruhestand geht. Schon jetzt ist nahezu das gesamte Vorstandsteam der Ära Fitschen und Jain, die 2012 ihren Dienst angetreten hatten, ausgetauscht. Fast handstreichartig hatte Cryan wenige Monate nach seinem Amtsantritt weite Teile des in die vielen Skandale des Konzerns verwickelten Managementteams ausgetauscht.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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