11. September 2001:Wie die Folgen des Anschlags die Luftfahrt verändert haben

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Chaos und Ratlosigkeit herrscht auf den US-Flughäfen nach dem Terror, wie hier am Raleigh-Durham International Airport in North Carolina. (Foto: Bob Jordan/AP)

Als Reaktion auf den 11. September 2001 durchlitt die Branche Pleiten und Fusionen. Wegen der Seuche stecken die Airlines nun wieder in der Krise. Doch die Regierungen verhalten sich ganz anders als 2001.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es ist einer dieser Tage, bei denen viele noch nach Jahrzehnten genau wissen, was sie an ihnen gerade gemacht haben. Wo sie waren, als sie davon erfahren haben. Und wie sie dann ungläubig live im Fernsehen erlebten, wie die Türme des New Yorker World Trade Center in sich zusammenstürzten, dann die rauchenden Trümmer des Pentagon sahen und am Ende einen Krater auf einem Feld in Pennsylvania.

20 Jahre sind die Terroranschläge des 11. September 2001 nun her. Politisch sind sie wieder ganz oben auf der Agenda, nicht wegen des Jahrestages, sondern wegen der Ereignisse in Afghanistan - schließlich waren sie damals der Grund für den amerikanischen Militäreinsatz im Land. In der Welt der Luftfahrt ist 9/11 schon seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wieder ein wichtiges Thema. Es ist stetiger Referenzpunkt: Einst haben die Anschläge die schlimmste wirtschaftliche Krise der amerikanischen Fluggesellschaften ausgelöst und mit ihr eine Transformation der Branche, die weltweit große Folgen hatte. Nun ist es mit dem Coronavirus noch viel schlimmer gekommen und die Regierungen, allen voran die amerikanische, verhalten sich komplett anders als im Jahr 2001.

2996 Menschen aus 92 Ländern waren ums Leben gekommen, als jeweils zwei Flugzeuge von United und American Airlines in den Nord- und den Südturm des World Trade Center, einen Teil des Pentagon und ein Feld stürzten. American-Flug 11 schlug um 8.46 Uhr in den Nordturm ein, United 175 um 9.03 Uhr in den Südturm. Beides waren Maschinen des Typs Boeing 767-200. American 77, eine Boeing 757, traf um 9.37 Uhr das Pentagon. United 93, auch eine Boeing 757, krachte um 10.03 Uhr nach Kämpfen zwischen Entführern, Besatzung und Passagieren auf einen Acker in Pennsylvania - mit vereinten Kräften hatten Crew und Fluggäste wenigstens verhindert, dass der Jet am Boden noch viel größeren Schaden anrichtet.

Die unmittelbaren operationellen Folgen für die Branche waren nach ein paar Tagen Geschichte. Nachdem zunächst der Luftraum der USA komplett gesperrt war, öffnete ihn die Regierung schnell wieder. Lufthansa taufte einige Zeit nach der Katastrophe zwei ihrer Flugzeuge auf die Namen Goose Bay und Gander, weil sie auf die beiden kanadischen Flughäfen ausgewichen waren und sich die Leute vor Ort so gut um sie gekümmert haben, während sie über Tage auf den Weiterflug warteten. Bis heute aber sind die Folgen in anderer Hinsicht zu spüren. Sie sind wirtschaftlich - und die Luftfahrt wird seither unter viel strengeren Sicherheitsauflagen betrieben.

Die US-Airlines waren 2001 schon vor den Anschlägen unter Druck. Die Kosten der großen Netz-Anbieter waren in den ersten sechs Monaten um vier Milliarden Dollar gestiegen, vor allem, weil sie kurz vor dem Platzen der Internetblase 1999/2000 teure neue Tarifverträge abgeschlossen hatten. Gleichzeitig sanken die Umsätze. Dann brach der Verkehr ein: Im dritten Quartal 2002, also knapp ein Jahr nach dem 11. September, machte die US-Branche nach Schätzungen 22 Milliarden Dollar weniger Umsatz, als sie erwartet hatte. Die amerikanische Regierung legte ein Hilfsprogramm mit einem Volumen von 15 Milliarden auf, das aber an strenge Auflagen geknüpft war und das die Airlines nur in Teilen abrufen konnten.

Viele Airlines hielten nicht durch

United Airlines hielt nicht lange durch und beantragte Ende 2002 ein Chapter-11-Verfahren nach dem amerikanischen Insolvenzrecht. Es dauerte mehr als dreieinhalb Jahre, bis 2006, und kostete bei United Zehntausende den Job. Wer trotz allem bleiben durfte, musste für deutlich weniger Geld arbeiten, und gegen Ende des Verfahrens strich das Unternehmen mit Zustimmung des Gerichts sogar noch den Pensionsplan, einen wesentlichen Teil der Altersversorgung der Mitarbeiter.

Delta Air Lines und Northwest beantragten beide am 13. September 2005, also fast genau vier Jahre nach den Anschlägen, Chapter 11. US Airways durchlief 2002 und 2004 sogar zweimal ein Insolvenzverfahren und fusionierte 2005 mit America West. Delta ging 2008 mit Northwest zusammen, United 2010 mit Continental.

American Airlines hatte 2000 noch die traditionsreiche TWA aus deren Insolvenz heraus übernommen und war damit beschäftigt, eine für die Nachfrage viel zu große Gruppe mit viel zu hohen Kosten zu betreiben. Dennoch vermied American bis 2011 ihr eigenes Restrukturierungsprogramm. 2013 dann fusionierte sie mit US Airways.

Southwest, die große Billigfluggesellschaft, vermied als einziger großer Anbieter Chapter 11, im Gegenteil, sie profitierte von der Krise ihrer Konkurrenten und konnte ihren Marktanteil deutlich ausbauen. Heute gehört Southwest selbst zum Establishment und muss sich neuer Rivalen erwehren, die ihrerseits deutlich geringere Kosten erreichen und nun die Schwäche der heutigen Airlines nutzen wollen, um stark zu expandieren.

Die Corona-Pandemie hat 9/11 als größte Luftfahrt-Krise abgelöst, und ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Die Regierungen verhalten sich anders. Alleine die USA haben bislang rund 80 Milliarden US-Dollar in die Branche gepumpt, um den Status quo zu erhalten. Weitere Insolvenzen gelten deswegen bis auf Weiteres als unwahrscheinlich. International haben Staaten ihre Airlines mit rund 300 Milliarden Dollar unterstützt, eine Summe, die sich weiter erhöhen könnte, wenn neue Virusvarianten die Erholung verzögern.

Gepanzerte Cockpit-Türen und bewaffnete Air Marshals

9/11 hat aber nicht nur die wirtschaftliche Basis der US-Luftfahrt erschüttert, sondern auch aufgezeigt, dass die Fliegerei nicht genug gegen Anschläge geschützt war. Dann machte die Federal Aviation Administration (FAA) gepanzerte Cockpit-Türen zur Pflicht, bewaffnete Air Marshals fliegen mit. 100 Prozent des Gepäcks werden durchleuchtet, im Jahr 2000 waren es nur fünf Prozent. Fliegen ist aus Sicht der Passagiere durch die neuen Auflagen mühsamer geworden. Kaum eine Behörde hat es seither gewagt, einmal eingeführte Bestimmungen abzuschaffen, auch wenn diese nicht mehr viel Sinn ergeben.

Auch in dieser Hinsicht bleibt die Frage, ob die Regierungen gelernt haben. In der Pandemie ist Fliegen noch viel mehr zu einer Aneinanderreihung von Unannehmlichkeiten geworden. Gerade wogte die Debatte, ob nur noch Geimpfte, Genesene oder Getestete (3 G) Inlandsflüge in Anspruch nehmen dürfen. Die Fluggesellschaften haben ein starkes Interesse daran, dass viele der Auflagen möglichst schnell wieder verschwinden. Denn je unbequemer Flugreisen sind, desto mehr Passagiere lassen sich davon abbringen. Die bisherigen Erfahrungen in der Pandemie und aus der Zeit nach den Anschlägen vom 11. September lassen aus ihrer Sicht aber nichts Gutes erahnen.

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