Hosenanzug für Frauen:Mächtig in Form

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Eleganz im Anzug (v.li): Edie Campbell und Olivia Palermo bei den Fashion Awards im Dezember 2018 in London. (Foto: Getty Images)

Wer als Frau auffallen will, trägt nicht mehr möglichst extravagante Kleider, sondern einen Hosenanzug. Das Trend-Kleidungsstück stellt seine Käuferinnen aber auch vor eine seltene Herausforderung.

Von Silke Wichert

Geht es symbolischer? Ausgerechnet in dem Jahr, in dem ihre Uniform endlich in die Mode zurückkehrt, kündigt Angela Merkel ihren geordneten Rückzug an. 2018 wird, neben einigen anderen Ereignissen, als "Jahr des Hosenanzugs" in die Suchmaschinen-Historie eingehen: Cara Delevingne sorgte bei Prinzessin Eugenies Hochzeit im Tuxedo für Aufsehen, Lady Gaga trat breitschultrig und breithosenbeinig als neugeborener Filmstar auf, Meghan Markle mischte sich im extra schmalen Anzug von Givenchy unters Volk.

Ein gutes Dutzend Hosenbeine zwischen den üblichen langen Kleidern

Das alles dürfte der Kanzlerin ebenso egal sein wie die Nörgelei an ihrem eigenen Auftreten die Jahre zuvor. Interessant ist die Koinzidenz aber doch. Hat Merkel nicht entscheidend den Weg dafür mitbereitet, dass Frauen, nun ja, in jeder Beziehung die Hosen anhaben können? Wenn sie das jetzt flächendeckend tun, wäre ja zumindest dieser Job erledigt. Andererseits hat der Anzug für Frauen zuletzt eben nicht die eher konservative Form angenommen, sondern wird sehr viel selbstverständlicher, meist femininer interpretiert. Dann wäre die Lesart eine andere: Der alte Stil ist endgültig überholt, Zeit für einen Wechsel.

So oder so wird uns der Anzug - wie die Bundeskanzlerin ja auch - noch eine Weile begleiten. Bei den Fashion Awards Mitte Dezember in London waren erstmals ein gutes Dutzend Hosenbeine zwischen den üblichen langen Kleidern zu sehen. Und kürzlich erschien Julia Roberts zu den Golden Globes in schmaler Hose mit Schleppe. So absurd das klingen mag: Wer wirklich auffallen will bei einer Veranstaltung, trägt inzwischen nicht mehr möglichst spärliche Kleider, sondern gar kein Kleid.

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Laut dem Suchmaschinendienst Tagwalk, einer Art Google für Laufsteglooks, gehört "Tailoring", also Schneiderkunst im weitesten Sinne, auch im nächsten Frühjahr zu den großen Trends. Das hat sicherlich mit der MeToo-Bewegung und einem Zeitgeist zu tun, der Geschlechterkonventionen auf beiden Seiten mehr und mehr in Frage stellt. Allerdings haben sich Frauen ja schon häufiger mal dieses männlich codierte Kleidungsstück großzügig ausgeliehen: Marlene Dietrich, Katharine Hepburn, Yves Saint Laurents "Le Smoking", die "Working Girls" im Fahrwasser von Melanie Griffith in den späten Achtzigern und Neunzigern. Die letzten Jahre arbeitete sich die Mode dann vor allem an betont sportlichen Sachen ab, eher schnittig als akkurat geschnitten, weshalb jetzt die Gegenreaktion folgt. Manchmal kommt eben eins zum anderen und am Ende ein ziemlich breiter Trend dabei heraus.

Die Krux ist: Frauen übernehmen hier nicht nur die Vorteile der Männergarderobe, eine immer noch mächtige, im besten Fall vorteilhafte Silhouette, sondern auch ihre Tücken. Bei Sweatshirts und Pythonprint-Blusen lässt sich nicht so wahnsinnig viel falsch machen, aber ein Anzug sollte gut geschnitten sein, damit er seinen Zweck erfüllt und nicht nach Verkleidung aussieht, sondern nach Grandezza. Für Männer gibt es einen zuletzt schrumpfenden, aber immer noch sehr großen Markt für "Tailoring". Man geht zu Tom Ford, Paul Smith, Zegna, Armani oder Boss. Frauen hingegen, die bislang höchstens im Besitz einiger Blazer waren und sich letztes Jahr zum ersten Mal in einen richtigen Anzug schmeißen wollten, standen plötzlich vor der seltenen Herausforderung: Wer kann so was eigentlich, an wen muss ich mich wenden?

Bei Pallas Paris findet man die Handwerkskunst, die Frauen Eleganz verleiht

Saint Laurent ist hier nach wie vor eine der besten Adressen. Ebenso wie Giorgio Armani, der Grace Jones schon Anfang der Achtzigerjahre in einen jener "Powersuits" mit dicken Schulterpolstern steckte, wie sie jetzt bei Balenciaga oder Marc Jacobs auf den Laufstegen zu sehen waren. Und ab sofort soll jetzt auch Céline dazugehören. Dort wurde gerade Hedi Slimane engagiert, ein Designer, der das ein oder andere von Anzügen versteht. Für seine streichholzschmalen Entwürfe für Dior Homme Anfang der Nullerjahre nahm Karl Lagerfeld bekanntlich mehr als 40 Kilo ab. Bei Céline in Paris wurde nun extra ein neues "Tailoring Atelier" eingerichtet. Der Luxuskonzern LVMH, zu dem die Marke gehört, will hier den ganz großen Schnitt machen, in jeder Hinsicht.

Weil gute Anzüge einigermaßen kostspielig sind, erlebten vor allem Luxus-Vintage-Läden in den letzten Monaten einen Ansturm auf Zweiteiler. "Frauen wollen ihre Weiblichkeit jetzt auf eine androgynere Weise betonen", sagt Sofia Bernardin von der französischen Online-Boutique Resee. Saint Laurent Rive Gauche sei bei ihnen besonders gefragt gewesen. Von aktuellen Designern empfiehlt Bernardin, wie so ziemlich jeder aus der Modebranche, Pallas Paris. Ein auf Anzüge und Smokings spezialisiertes Label, das es offiziell erst seit 2012 gibt, bei dem aber fast fünfzig Jahre Erfahrung ins Innenfutter fließen. Der Vater des Gründers Daniel Pallas fertigte in seinem kleinen Atelier Schnitte und Prototypen für verschiedene Couture-Häuser. Wenn die Queen ein Kostüm ihres Hofschneiders Hardy Amies trug, steckte meist die Handarbeit des Franzosen dahinter. Als der Sohn Anfang der Neunziger mit seiner Frau Véronique übernahm, fertigten sie weiterhin inkognito Schnittmuster für Häuser wie Balenciaga, Thierry Mugler oder Céline. Sie lieferten gewissermaßen das Rückgrat eines perfekt sitzenden Anzugs. Seit sie unter ihrem eigenen Namen entwerfen, haben sie eine illustre Fangemeinde unter Models und Stylistinnen angesammelt. Selbst Brigitte Macron trägt mittlerweile Pallas.

Liv Tyler und Georgia May Jagger haben deen Anzug ebenfalls für sich entdeckt. (Foto: Getty Images)

Auch andere Nischenlabel sind plötzlich wegen ihrer Anzüge gefragt. Gabriela Hearst etwa, in die der französische Luxuskonzern LVMH gerade investiert hat. Hearst stammt eigentlich aus Uruguay, lebt aber in New York und ist mit einem Spross der amerikanischen Mediendynastie verheiratet. Das hilft schon mal, um Aufmerksamkeit zu bekommen, durchgesetzt hat sich die Designerin jedoch vor allem mit überdurchschnittlicher Qualität und Verarbeitung, besonders bei ihren Hosenanzügen. Also wurde die jüngste amerikanische Kongressabgeordnete der Geschichte, die 29-jährige Alexandria Ocasio-Cortez, im amerikanischen Interview-Magazin in einem flaschengrünen Gabriela-Hearst- Anzug abgelichtet. Der Shitstorm folgte prompt: Eine bekennende Sozialistin trägt ein 3000 Dollar teures Ensemble, Hochverrat! Als moderne Polituniform - stark, weiblich, aber nicht zu mädchen- oder ladyhaft - passte der lässige Anzug allerdings perfekt.

Ach du Schreck: Kommt jetzt sogar der Milli-Vanilli-Look aus den Achtzigern zurück?

Dann wäre da noch Grace Wales Bonner, hochdekorierte Londoner Designerin, die ursprünglich nur Herrenmode entwarf. Weil ihre Anzüge ständig Frauen tragen wollten, hat sie mittlerweile erfolgreich eine Damenlinie lanciert. Neuester Zugang ist die Marke 16Arlington, ein italienisches Designerpaar, das in London arbeitet. Seit Edie Campbell deren irisierenden hellblauen Anzug, vorn mit Schlitzen in der Hose, im Dezember bei den Fashion Awards trug, sind sie als Adresse für "Party-Suits" gesetzt. Im Jahr des Anzugs machte die ewige Business-Garderobe sich erstaunlicherweise vor allem nach Feierabend breit. Etwa weil Frauen die künstlich aufgetragene Macht am Arbeitsplatz gar nicht mehr nötig haben?

Eine Sommervariante, zumindest für all die neu gekauften Anzugjacken, gibt es übrigens auch schon: Blazer zur Radlerhose ist einer der großen Trends für die kommende Saison. Doch, doch, der Milli Vanilli-Look aus den späten Achtzigern und frühen Neunzigern. Bei Roberto Cavalli, Thierry Mugler, sogar bei Chanel wurde das Tweedjackett mit Radlerhose kombiniert. Man will es bisher noch nicht wahrhaben, doch es wird wohl passieren. Oder wie Milli Vanilli es sagen würden: "Girl you know it's true."

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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