Trend:Du hast da einen Sonnenrand!

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Tanlines Ein Mann hat nach dem Tragen seiner Crocs Bräunungsstreifen bzw. -punkte auf seinen Füßen, sogenannte "Tanlines". (Foto: Privat)

Sogenannte Tanlines, Bräunungsstreifen, werden gerade in den Sozialen Medien zelebriert. Doch wie konnte die Nicht-Nahtlosbräune von einem Makel zu einem Souvenir werden?

Von Nora Reinhardt

Man könnte meinen, der griechische Dichter Homer hatte Besseres zu tun, als über Bräunungsstreifen nachzudenken. Da täuscht man sich. Das perfekte Hautbild beschrieb der erste Dichter des Abendlandes mit den Worten, die Haut solle "weißer als Elfenbein" sein. Noch bis ins 18. Jahrhundert cremte man sich für eine vornehme Blässe eine giftige Bleipaste ins Gesicht. Und auch wenn vor allem in den 1980er-Jahren die glänzende, dunkelbraune Haut zelebriert wurde, eines blieb: Einfarbig sollte der Körper sein, nahtlos gebräunt, mit einem bronzenen Schimmer auf der Haut.

Dieses Zeitalter geht mit diesem Sommer gerade zu Ende. Deutlich sichtbare "Tanlines", so der englische Begriff, sind da - in der Mode, in den sozialen Netzwerken, auf der Haut der Prominenten dieser Welt. Vom heißen Sommer 2018 werden wohl die seltsamsten Bräunungsstreifen bleiben, seit es die Sonne gibt (4,57 Milliarden Jahre) und der Mensch Kleidung trägt (170 000 Jahre). Die Tanlines haben sich in ein veritables Statussymbol verwandelt - wenn auch nur in ein flüchtiges.

Ursache für den Trend: die Mode

Klar, Bräunungsmissgeschicke mit helleren Flächen auf der Haut gab es schon immer. Aber heute gibt es eben "Destroyed Jeans", zerstörte Hosen, die an Knien und Oberschenkeln in Fetzen hängen. Und nicht nur das. Diesen Sommer sah man in den Modehäusern: Lochstickereien, Schnürungen, Leggins mit sonnendurchlässigem Stoff, Tops mit Aussparungen an den Oberarmen, Männerunterhemden, die unter dem Arm weit ausgeschnitten sind und einen Blick auf die Flanken freilegten. Weil man das schwer mit Sonnenschutz eincremen konnte, musste man Bräunungsstreifen oder leichte Verbrennungen in Kauf nehmen.

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(Foto: Sydney Ausie/Twitter)

Wo die löcher der "Destroyed Jeans" die Haut nicht bedeckt haben, und die Trägerin nicht an Sonnenschutzmittel gedacht hat, bleiben nach Schmerz aussehende Hautrötungen zurück.

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(Foto: Alamy/mauritius images)

Zwei weiße, spitz zulaufende Linien auf dem Vorderfuß erinnern Herabblickende an sommerliche Zehentrenner.

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(Foto: Sillidancerr/Instagram)

Auch mancher Bikini hinterlässt einen bleibenden Abdruck.

Anders formuliert: Die Mode zeigt gerade Mut zur Lücke. Und hat damit die Bräunungsstreifen des zu Ende gehenden Sommer salonfähig gemacht.

Allein auf Instagram gibt es knapp eine Million Fotos unter dem Hashtag Tanlines, noch etliche Tausende mehr unter den Schlagworten Weirdtanlines, Tanlinesfordays, Tanlinesandgoodtimes, Tanlinesaresexy. Soziale Medien gleichen gerade einem riesigen Fotoalbum, in das jeder die besten Fotos seiner unperfekten Sommerbräune klebt.

Ende August stieg die Zahl der geposteten Fotos noch einmal stark an. Auch Prominente übertünchen ihre hellen Stellen nun nicht mehr mit Selbstbräuner, sondern stehen dazu; wie etwa Kendall Jenner während der Filmfestspiele in Cannes, Rita Ora auf einer Yacht vor Italien und diverse Fußballprofis.

Vorbei sind die Zeiten, in denen man vornehm blass sein wollte. Vorbei aber auch die Zeiten, in denen man nahtlos braun sein wollte. Heute möchte man beides, eben: die Tanline. Nur, wieso?

Bräunungsstreifen passen zum Zeitgeist

Sie ist ein in die Haut gebranntes Sowohl-als-Auch. Der Bräunungsstreifen passt deshalb so gut zu dem Zeitgeist. Sie ähnelt in ihrem Wesen einer Tätowierung, die ja auch nichts anderes ist als eine Körperzeichnung, die mit Bedeutung aufgeladen wird. Die Tanline verblasst zwar wieder, erinnert einen aber genau so an bedeutungsvolle Erlebnisse.

Die britische Zeitung Guardian, die traditionell eine Leserschaft hat, die eher ungeübt im Umgang mit viel Sonneneinstrahlung ist - entdeckte sogar ihre poetische Ader anlässlich des Themas. Das Blatt erinnerten die roten Knie nach dem Tragen von Ripped Jeans an "die Wangen eines errötenden holländischen Mädchens", aber auch an "zwei Hummer", die "in einem Planschbecken voller Milch" schwimmen.

Verständlich, sind die Tanlines doch mehr als nachlässiger Sonnenschutz: Sie sind ein poetisches Überbleibsel und eine freundliche Erinnerung an einen ziemlich heißen Sommer.

Die Sandalenstreifen erinnern einen vielleicht an das Fußbad im römischen Brunnen (obwohl das streng verboten ist), der blasse Oberschenkel um die Adduktoren an die zwei, drei Stündchen, die man am Atlantik eingenickt ist. Langsam verblassende Tanlines sind wie ein leiser werdender, langsam verklingender Sommerhit. Sie verkörpern diese ganz besondere Mischung aus Euphorie, die langsam zu Melancholie wird.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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