Stilkritik:Was einst einfach ein Bart war, ist heute Verkleidung

Lesezeit: 1 min

Fürst Albert von Monaco trägt seinen Bart wie eine Requisite. Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Dekade der Borsten im Gesicht langsam zu Ende geht.

Von Hannes Vollmuth

Im Jahr 1974 hatte "Tagesschau"-Sprecher Karl-Heinz Köpcke seinen ersten öffentlichen Skandal. Er kam mit einem Schnurrbart zur Arbeit, der damit auch zwangsläufig ins Fernsehen fand. Die Reaktion der Zuschauer war deutlich, große Abneigung, Köpcke lenkte ein respektive rasierte sich. Die glatte Ordnung im deutschen Fernsehen war wieder hergestellt.

Im Jahr 2017 gibt es keine Anti-Bart-Stimmung mehr. Im Gegenteil. Der Bart ist allgegenwärtig. Selbst der normalerweise glatt rasierte Fürst Albert von Monaco war am Wochenende mit einem Schnurrbart aufgetreten. Nicht aus Liebe zum Oberlippenbewuchs. Nein.

Es war, wie er der Zeitung Monaco Matin verriet, als Hommage zum 200. Jubiläum der Carabiniers du Prince gedacht, der Leibgarde der Fürsten des Zwergstaats. Was der Fürst der Zeitung noch sagte: Der Bart sei nicht besonders beliebt in der Familie. "Ich werde diesen Weg deshalb nicht weitergehen." An diesem Dienstag komme der Bart wieder ab.

Was der vorläufige Höhepunkt der Bartkultur sein könnte, ist bei genauer Betrachtung ein Zeichen des Niedergangs. Der Bart ist herabgesunken zur Verkleidung, zur Requisite, zum Zitat. Man trägt ihn für die Pointe. Ein bärtiges Jahrzehnt geht damit zu Ende, es neigt sich dem Rasierer zu. Ein Jahrzehnt, in dem der Bart ein veritables Must-have war (vorausgesetzt, man verfügte über den entsprechenden Wuchs, was in dieser Zeit auch die eigentliche Demarkationslinie der Männlichkeit war).

Der Inhalt konnte nicht geladen werden.

Ein Mode-Accessoire mit angeklebter Botschaft

Heute ist der Bart Partymitbringsel (selbstklebend oder mit Haltestab), ein karnevaleskes Utensil. Es gibt ihn auf Tassen und T-Shirts, auf Mützen und Plakaten, als Hashtag bei Instagram: #moustache.

Wenigstens ist mit der Anzahl an Haaren in männlichen Gesichtern auch unser Wissen darum gewachsen, was das Ganze eigentlich bedeuten soll. Wie jedes Accessoire des Menschen sendet auch der Bart und seine jeweilige Form eine Botschaft aus.

Zwischen dem Tafelschwamm-Vollbart, mit dem der einstige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann aus dem Silicon Valley zurückkam, und einem fein gewirkten Menjou-Bärtchen passen Universen. Und es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man Dreitagebart trägt (Lebenskrise?) oder einen dichten Moustache, den die Hartplatzaura einstiger Bundesliga-Außenverteidiger umgibt. Was früher mal nur ein Bart war, ist heute ein Mode-Accessoire mit angeklebter Botschaft. Einfach wachsen und sprießen lassen und dann mal schauen - das geht nicht mehr.

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Stilkritik
:Partnerlook

In diesen Tagen kann man der internationalen Diplomatie wieder bei einem richtig blöden, aber hochinteressanten Ritual zusehen: Gruppenbild im Partnerlook.

Von Hannes Vollmuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: