Reifeprüfung als Mode-Spektakel:Abi bitte mit Stil

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Wo sind die Taft-Prinzessinnen und die Sparkassen-Frösche? Verschwunden! Denn die Modeindustrie hat eine lukrative Nische entdeckt: den Abiball. Ein Besuch bei den Feierlichkeiten des Berliner John-Lennon-Gymnasiums mit der Frage: Wo und wie findet man das richtige Kleid?

Miriam Stein

Es ist wieder Abiballsaison! In Hotels und Turnhallen versammeln sich in diesen Wochen, deutschlandweit, Abiturienten mit Lehrern, Familie und Freunden zur finalen Sause. Der Abiball ist ein wichtiges Event, für viele der Höhepunkt ihres Teenagerlebens. Und die Bilder, die an diesem Abend entstehen, konservieren die Idee, die man mit 18 vom Glamour des Erwachsenseins hat.

Der Glamour des Erwachsenseins - die Abiturienten freuen sich jahrelang auf ihren Abiball. Die Auswahl des richtigen Outfits ist natürlich ganz besonders wichtig. (Foto: iStock)

Den Berliner Abiturienten von 2012 ist das gerade egal. Sie wissen nur: Der große Abend ist da. Das wird ein Mode-Spektakel.

Mehr als ein Jahr hat Charlotte Burmeister auf diesen Abend hingearbeitet, beziehungsweise: sie und ihr Abiballkomitee vom John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte. Während in kleineren Städten das Theater oder die Sportgaststätte herhalten muss, hat man hier die kalkweiße Halle im ehemaligen Postbahnhof gemietet. Während der Fashionweek findet dort, an der Luckenwalder Straße, die Modemesse Premium statt. 700 Gäste warten nun auf Einlass. 51 Euro haben sie pro Karte bezahlt, dafür gibt es Speis und Trank, später Tanz und natürlich die feierliche Abizeugnis-Übergabe.

Die Hauptdarsteller dieses Abends, die Abiturienten, zupfen noch unsicher an ihren Outfits herum, rücken den Krawattenknoten zurecht und suchen ihr Spiegelbild in den riesigen Fabrikfenstern. Und man kann ihre Gedanken fast hören: Wäre das kleine Schwarze nicht doch besser? Warum habe ich ausgerechnet heute einen Pickel?

Solche Gedanken kommen einem auch Jahre nach dem eigenen Abiball seltsam vertraut vor. Genau wie die nervöse Atmosphäre, die so gar nicht zum coolen Industriehallenkontext passt. Erstaunlich: Es gibt in Berlin im Jahr 2012 ähnliche Style-Grüppchen wie in einer deutschen Kleinstadt - sagen wir: 1996.

Die 18-jährigen Jungs, die den Anzug mit Mami kaufen waren. Die Hippie-Mädchen mit Dreadlocks und/oder nackten Füßen, die - gewollt erdig und doch abgehoben - im Flatterhemdchen zur Jeans antanzen. Die Individualisten, die sich schon bei der Schauspielschule beworben haben, und im Secondhandshop einkaufen waren. In Berlin scheinen changierende Taftkleider tatsächlich out zu sein; genau wie der Abiball-Klassiker schlechthin, das schwarze Spaghettiträger-Kleid. Sie sieht man vielleicht noch vereinzelt bei Abibällen in ländlichen Regionen, wo Trends ja etwas zeitverzögert ankommen, wenn überhaupt.

Überhaupt, Trends. Fragt man die jungen Frauen des John-Lennon-Gymis nach ihren Kleidern, schießen pistolengleich Modevokabeln aus ihren Mündern, "Vintage", "nude", "skinny", "Plateau-Pumps". In Berliner Shops findet man alles von Designerfummeln bis zu Vintage-Schätzen, die meisten der Mädchen haben ihr Outfit aber trotzdem online bestellt. Die Kleider sind kurz und schlicht oder lang und elfenhaft, die Haare offen, und flache Schuhe scheint heute wirklich kein Mensch mehr zu tragen. Hier laufen sogar die Großmütter auf Keilabsätzen über den lackierten Estrich im ehemaligen Industriebahnhof.

Selbstgenäht oder selbstbestellt

Die Kleiderwahl der Männer ist, wie zu erwarten war, etwas homogener. Vertreter aller Generationen tragen Anzug. Maxim Ducherov, 18, fand mit Unterstützung seines Vaters einen schlichten, grauen, schmalen Anzug mit enger Hose bei C&A. Sein bester Freund Selim Sabanuc trägt einen blauen Zweiteiler in Denim-Optik, den seine Mutter bei Peek&Cloppenburg gekauft hat. Sie habe einfach den "schmalsten und längsten, den es gab" ausgesucht. Aha, auch hier, beim Abiball der John-Lennon-Schule, geistert also Hedi Slimane herum; auch zehn Jahre nach seiner Schnittrevolution bei Dior findet man die schmale Herrensilhouette überall. Kein Schlaks von heute muss mehr in zu großen Jacketts und zu langen Hosen seinen Abiball bestreiten, und aussehen wie ein Praktikant bei der Sparkasse.

Im Blitzlichtgewitter der Familienkameras nehmen die Schüler auf der Bühne ihre Zeugnisse entgegen, nach Kursen geordnet. Luisa Girke, 19, sticht in einem langen Abendkleid aus grünem Satin heraus, ihre Mutter hat es genäht, nach einem Burdastyle-Schnittmuster. Fünf hübsche Mädchen holen sich ihr Zeugnis ab und verziehen sich gleich wieder in die Raucherecke. Laura Sauerbrei trägt ein puderfarbenes, tief ausgeschnittenes Korsagen-Kleid von Elie Saab, das die 19-Jährige im Internet bestellt hat. Beinahe hätte ihr die edle Robe den Abend vermasselt, denn das Paket wurde erst am Morgen geliefert. Lauras Freundin Sophie hat sich gleich drei Kleider zur Ansicht bestellt und sich dann für das kurze weiße von Asos mit langen Ärmeln und Stickereien am Kragen entschieden. Lola Fuchs trägt ein limettengrünes, langes Kleid aus der "Red Carpet Conscious Collection" von H&M. Das rote Tüllkleid von Lauras älterer Schwester Marie Sauerbrei, 21, stammt aus der Lanvin-für-H&M-Linie, die es 2010 zu kaufen gab. Marie besucht eine Modeschule in Paris, führt ein eigenes Blog und hat ihrer jüngeren Schwester beim Make-up geholfen. Fühlt sich Laura in dem Luxusteil wohl? "Klar, ich wusste ja schon vorher", sagt sie, "dass es auffällig sein wird."

In etlichen Kulturen wird das Ende der Schulzeit mit einem formellen Fest in entsprechender Garderobe gefeiert. Vom Maturalball in Österreich, dem School Formal in Großbritannien, der Fiesta de graduación in Lateinamerika und natürlich dem übermächtigen US-Prom investieren Teenager viel Zeit und Geld in das richtige Outfit.

Die Modeindustrie hat die Nachfrage erkannt und greift die Trends der Hollywood-Preisverleihungen auf (Spitze! Semitransparent! Knallfarben!). Pünktlich zur Ballsaison im Frühjahr werden dann bezahlbare Kleiderklone produziert. H&M brachte im April seine Rote-Teppich-Kollektion aus Biobaumwolle in die Läden. Das Internetshoppingportal Asos listet Abend- und Cocktailkleider unter einer eigenen Abiball-Rubrik auf. Asos ist mit 330 Millionen Pfund Umsatz im Jahr 2011 das größte Internet-Modeportal Großbritanniens und operiert seit 2010 auch in Deutschland.

Die Schülerinnen in Berlin haben eigene, kleine Veränderungen an ihren Zara-, H&M- und Asos-Kleidern vorgenommen, die Kleider, wie es gerade schick ist, personalisiert; Säume versetzt, Applikationen aufgestickt und Taillen enger gemacht. Es wäre schon sehr peinlich, wenn eine Mitschülerin oder irgendeine kleine Schwester im gleichen Kleid auftauchen würde.

"Besonders, aber nicht zu aufgetakelt"

So ein Abiballkleid ist heute leichter zu kaufen als früher. Die schnelleren Wege, die Trends durch das Internet zurücklegen, ermöglichen den Abiturienten von heute einen viel breiteren Blick auf Mode als früher - und vor allem einen bequemen Zugang zu internationalen Marken. Keiner der Abiturienten zitiert ein direktes Stilvorbild, alle möchten "individuell" und "besonders, aber nicht zu aufgetakelt" aussehen. Alle sagen, dass sie ihr Abidress bestimmt noch mal tragen werden, irgendwann.

Andererseits ist so ein Abiballoutfit nicht leicht zu kaufen - es müssen zwei Personen hineinpassen. Die Person, die man die ganzen Jahre in der Schule war, und die, die man in Zukunft sein will. Der Abiball ist ja offiziell das Ende, aber eigentlich erst der Anfang.

Bloß: Wie soll man da schon wissen, was kommt? Eines ganz gewiss: der Tag, an dem man auf diesen Tag zurückblickt. Und sich denkt: Mein lieber Schwan, und das war mein Abiballkeid.

© SZ vom 23.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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