Gärtnerglück
Gartenarbeit macht glücklich, das wusste schon der feine Monsieur Dior, auch wenn man ihn sich kaum vorstellen kann mit Armen, die bis zum Ellbogen in Erde stecken. Aber Christian Dior werkelte ja in den berühmten Rosenbeeten der Familienvilla am Meer, da ging es wahrscheinlich eher darum, Knospen zu schneiden. Kim Jones, der wie jeder gute Dior-Designer tief in die Archive des Hauses ein- und mit etwas Neuem wieder auftaucht, hat seiner neuen Männerkollektion einen Floristen-Touch verpasst. Mit pastelligen Rosétönen, makellosem Sitz der Sakkos und Bermudas verbeugt er sich vor der klassischen Eleganz Christian Diors, die immer von einer Seebrise umweht zu sein scheint. Und er transportiert sie in die Gegenwart, mit Trekkingboots, wasserdichten Rucksäcken, ultraleichten Zwei-Lagen-Shorts. Blumige Sanftheit, gepaart mit Hightech, das dürfte an den Kassen wieder bestens funktionieren. Auch der Brite Erdem Moralioğlu zeigte Models mit Rüschenblusen zwischen Gartenstauden. Kontrastprogramm: der bizarre Kunstrasen von Jonathan Anderson auf Mänteln und Schuhen von Loewe. Blühende Fantasie gab es jedenfalls reichlich.
Spieltrieb
Und jetzt alle zusammen spielen! Eigentlich logisch, dass es in vielen Kollektionen in Paris und Mailand betont unbekümmert zuging: Die wiedergewonnene Freiheit nach der Pandemie ist noch jung, und es weiß auch niemand, was im Herbst wieder bevorsteht. Bei Celine ließ Hedi Slimane Perlenketten in Armlänge von schmal geschnittenen Jacken baumeln, das nigerianisch-britische Label Mowalola verzierte Mikrominis (für Frauen) und Denim-Kastenjacken (für Männer) mit Comicgesichtern. Bei der notorisch überdrehten Präsentation von Y/Project gab es Albernheiten wie kitschige Eiffelturm-Aufnäher. Und als Grundkonzept zog sich das freie Spiel durch die gesamte Kollektion von Louis Vuitton. Es war die erste nach dem Tod von Virgil Abloh, der als Multitalent mit Geschäftssinn und Gespür für den Zeitgeist die Handschrift des Hauses jahrelang geprägt hatte. Von Trübsinn aber keine Spur, als Rapper Kendrick Lamar am kanariengelben Laufsteg in einem Louvre-Innenhof seinen "Long live Virgil"-Song intonierte. Vielmehr ging es um das kindliche Staunen, das Abloh immer als Grundlage seiner Arbeit definiert hat. In diesem Sinne legte ein Kollektiv seiner ehemaligen Mitarbeiter vor: Papierflugzeuge als 3-D-Deko auf einem schwarzen Anzug. Taschen, die an selbst gefaltete Hüte aus dem Klassenzimmer erinnern, aber aus weißem Leder bestehen. Nappajacken mit sehr unpraktischen, großen, wunderbar bunten Applikationen am Ärmel. Damit wolle man das Credo des Meisters weitertragen, hieß es, "everything is possible". Nichts ist unmöglich.
Alltagstauglich
Gab es auch normale Sachen zu sehen für jeden Tag? Gab es, bei Prada. Was natürlich schon ein Widerspruch ist, ein Stück aus den Händen von Miuccia Prada und Raf Simons muss man sich erst mal leisten können. Auch figürlich, es waren wieder sehr schmale Jungs, die in den schulbubenhaften Karokitteln steckten oder in Jeans-Einteilern mit extrakurzem Bein. Beige Blousons, Trenchcoat-Variationen, der scharf geschnittene schwarze Anzug als Marken-Kernstück bekamen durch die Kombination mit Ledershorts oder Ringelpullis gerade genug Twist, um die Kauflaune der Kunden zu reizen. Ohne dass sich die toxische "Und wann soll ich das anziehen?"-Frage anschließt. Überhaupt steht Mailand mehr für tragbare Mode, ob es die Mokka- und Pudertöne von Zegna sind, gut gegen müden Teint, oder die entspannten Sommerabend-Looks von Etro und Fendi, bei Letzterem mit viel Denim und 90er-Silhouetten. Bella figura? Geht auch in geräumigen Skater-Hosen.
Radikal jung
Um der Kundschaft von morgen zu gefallen, ist in Luxusmodehäusern der eine oder andere Kompromiss fällig, manchmal wird es fast surreal. Zum Beispiel bei Donatella Versace, die sich auf der Jagd nach Gen Z zur Verfechterin umweltverträglicher Textilien wandelte, man habe sogar Öko-Latex entwickeln lassen. Daraus machte die Designerin einen schwarzen Regenmantel, der zwar so perforiert ist, dass er keinen einzigen Tropfen abhalten wird, aber er sieht cool aus - und ist total nachhaltig. Hauptsache, man bleibt Gesprächs- und Tiktok-Thema. So wie der Amerikaner Thom Browne in Paris, der in seinen Entwürfen klassischen französischen Couture-Tweed auseinandernahm. Botschaft: jung und wild! In Mailand ließ die 67-jährige Donatella mit ihrer Kollektion wie üblich keinen Zweifel daran, dass ihr ganz unironisch an Konsumierbarkeit gelegen ist. Wenn die (Mode)-Welt gerade nach Looks aus den Neunziger- und frühen Nullerjahren lechzt, bekommt sie die Pompeji- und Reptilienprints ihres Bruders Gianni. Nur konsequent, dass über den Laufsteg die Sprösslinge von Models liefen, deren große Zeit schon eine Weile zurückliegt - die Söhne von Carla Bruni und Helena Christensen zum Beispiel. Da war es nur noch eine schräge Fußnote, dass einige von ihnen große Vasen im Arm trugen, von der Hausmarke natürlich. Warum das? Originalton Donatella: "Das ist die Versace-Welt! Wir haben auch eine Home Collection, wir haben so viele verschiedene Dinge!" Mit anderen Worten: große Einkaufsparty.
Beiwerk
Männer und Accessoires sind in der Realität vielleicht noch nicht das große Thema, aber die Designer nehmen das Beiwerk so ernst wie bei den Frauenkollektionen. Alles muss stimmen, Frisur, Taschen, Schmuck. Und, im Fall von Jonathan Anderson bei seinem Mailand-Debüt, vor allem die Schulterpartie - er legte den Models Bruchstücke von Skateboards und Fahrradlenker um, was wohl doch eher ein Scherz war. Giorgio Armani zeigte seine Variante bauchig aufgeschäumter Kunststoffschuhe in Crocs-Manier, bei Fendi und Dior gab es die schönsten Taschen, bei Brunello Cucinelli das gute alte Einstecktuch. Das heißt, die Pole liegen denkbar weit auseinander, zwischen Gentleman und Gangsta-Rapper. So viel Wahlfreiheit müsste doch Geschmack machen auf ein bisschen Zubehör.