Michalsky-"StyleNite" bei der Fashion Week Berlin:Kate und der Flow

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Das deutsche Topmodel Eva Padberg in bodenlanger roter Michalsky-Robe (Foto: dpa)

Zwar dauert die Modewoche in Berlin noch bis Sonntag. Doch wer bei Michalskys "StyleNite" war, hat das meiste schon gesehen. Vom Model über die Friseurinnen bis zum Designer - wie erleben die Akteure die große Show zum Schluss?

Eine Reportage von Ruth Schneeberger, Berlin

Kate trägt an diesem Nachmittag Lockenwickler im dunklen Haar. Ansonsten würde kaum jemand sie in diesem Raum voller junger Damen als eines der Models erkennen. Im schwarzen Anzug mit weißer Bluse, das großflächige Gesicht ungeschminkt, wirkt sie wie ein zwar hochgewachsenes, aber etwas langweiliges Mädchen. Das wird sich im Laufe des Tages ändern.

Kate, das Model

Als Kate am Abend als Dritte - nach Topmodel Eva Padberg - über den Michalsky-Runway läuft, geht ein Raunen durch die Menge der mehr als 1000 Zuschauer. Weil sie so erhaben, so düster, so geheimnisvoll und edel wirkt wie eine Stilikone. Dabei ist Kate erst 19 Jahre alt. Wer in diesem Moment in die überraschten Augen des Publikums blickt, der versteht, warum die Castingleute sie aus Tausenden von Models ausgewählt haben. Kate hat das berühmte gewisse Etwas, wonach jeder in diesem Business sucht. Das erschließt sich dem unbedarften Beobachter allerdings erst nach dem Schminken.

Kate Kondas, die im Alter von 15 Jahren einen Model-Contest in ihrer ungarischen Heimatstadt gewann und seitdem von ihrer Agentur durch die halbe Welt geschickt wird, erzählt im Gespräch so monoton von ihrem Arbeitsalltag, dass sie diese Geschichte entweder schon tausendmal erzählt haben muss. Oder sich normalerweise niemand dafür interessiert, was sie zu erzählen hat.

Während um sie herum im Tempodrom, wo in der Nacht zu Samstag die große Michalsky-"StyleNite" als inoffizieller Abschluss der Berliner Fashion Week steigt, etwa 250 Stylisten, Anziehhilfen, Designer, Friseure, PR-Fachleute, Organisatoren, Musiker, Licht- und Tontechniker und zig weitere Helfer durchs Gebäude schwirren, wirkt Kate wie die Ruhe selbst. "Vor der Show sind alle meist sehr aufgeregt. Aber am Ende bekommen sie immer alles hin", erzählt die 19-Jährige mit dem markanten Kinn und den kastanienbraunen Augen.

Und wenn man selbst etwas falsch macht, mal daneben tritt oder auf der Bühne über die ultrahohen Highheels stolpert? "Ich hatte schon so viele Fashion Shows und es ist nie etwas passiert", sagt Kate. Und wenn doch, müsse man so tun, als sei gar nichts gewesen. Ob sie auf dem Laufsteg eine Rolle spiele? "Ein bisschen", sagt Kate, aber eigentlich denke sie an gar nichts in den Minuten da draußen, nicht mal ans Publikum. Dann sei sie einfach nur im Flow. "Es ist der perfekte Moment."

Ihren großen Moment haben die Friseurinnen Sandra Weinzierl und Sandra Lehmann aus München schon viel früher an diesem Tag. Sie kümmern sich um die Haare der Models. Ob das nicht ein bisschen arg früh ist um 15 Uhr, wenn die Veranstaltung erst in der Nacht losgeht, will man wissen. "Nein", lachen die beiden 29-Jährigen. "Wir bereiten jetzt die Haare aller Models vor, richtig gestylt werden sie erst kurz vor der Show." Das machen dann noch mal andere Friseure.

Als sei gar nichts gemacht worden: Michalskys Models im "Undone"-Look. (Foto: dpa)

Auf einem Tisch werden große Kartons ausgepackt mit Extensions in Braun, Blond, Rot und Schwarz. Kiloweise Haarverlängerungen für die perfektionierte Modelmähne. Die beiden Sandras arbeiten im Akkord. "Man hat ein Zeitlimit, da muss man alles ein bisschen schneller machen als sonst." Am Ende soll alles so aussehen, als sei gar nichts gemacht worden. "Undone-Styling" nennt sich der anvisierte Look.

"Letztes Jahr hatten alle Models einen Pony, diesmal heißt es: zurück zur Natur", sagt Sandra Lehmann, die selbst noch Pony trägt. "Vor fünf Jahren hat man auf der Straße kaum Mädchen gesehen, die ihre Naturhaarfarbe trugen. Jetzt sind die natürlichen Töne wieder da."

Geschäftig, konzentriert, aber fröhlich ist das Treiben in diesem Hinterzimmer, das eigens eingerichtet wurde, damit ein paar Stunden lang an hell erleuchteten Spiegeln Tressen auf Köpfe geklebt werden können. Die beiden Sandras haben Spaß.

Er hat noch bis tief in die Nacht an einem Overall gearbeitet, der einfach nicht richtig sitzen wollte an dem dafür vorgesehenen Modell. Es lag am Material, sagt Michael Michalsky, und daran, dass er in dieser Saison "viele neue Shapes" zeige. Michalskys StyleNite ist alljährlich der Höhepunkt der Berliner Fashion Week.

Alles für die perfekte Show: Designer Michael Michalsky (Foto: dpa)

Im Kopf des Designers entstehen die Entwürfe für die Show schon Monate vorher. Am Freitagabend finden sie endlich den Weg auf den Laufsteg und, so hofft der ehemalige Levi's- und Adidas-Designer, in die Kleiderschränke seiner Fans und der Promis, die in der Front Row logieren.

Am Nachmittag sitzt Michalsky noch entspannt auf einem Ledersofa - ganz in Schwarz, einziger Farbtupfer sind die selbst designten dunkelroten Lack-Turnschuhe. Später am Abend wird er sie gegen goldene eintauschen, das sonstige Styling bleibt gleich. Sportlich, zurückhaltend, lässiger Chic - so wie die meisten seiner Entwürfe. Bestimmt 50 Interviews gibt er an diesem Nachmittag, mehr als fünf Minuten sind also nicht drin, doch er füllt sie mit allen Infos, die man haben wollte - und mit noch ein paar mehr.

Liebe in der und zur Großstadt

Wie fühlt man sich als Hauptverantwortlicher so kurz vor der Zielgeraden? "Mir geht's gut, aber ich bin natürlich gespannt, und es ist sehr, sehr anstrengend. Ich habe jetzt sechs Tage nonstop an dieser Kollektion gearbeitet", sagt Michalsky. Am Ende muss einfach alles stimmen - komme, was da wolle.

Wie er das anstellt? "Grundsätzlich", sagt Michalsky, "versuche ich erst mal, alles genauso hinzubekommen, wie ich es gerne hätte. Wenn es auf Weg A nicht klappt, versuche ich Weg B, wenn das nicht klappt, Weg C. Und wenn ich bei Weg X angekommen bin, und es immer noch nicht klappt - erst dann versuche ich, etwas ganz anderes zu machen".

Was ist neu an seiner Kollektion? "Das Motto lautet City Love", sagt Michalsky. "Es geht um das Leben und die Liebe in Großstädten und Metropolen. 2050 sollen ja nach aktuellen Prognosen 80 Prozent der Weltbevölkerung in städtischen Räumen leben." Großstädte sind für den Modeschöpfer "die ideale Spielwiese, seinen Lebenstraum auszuleben. Da kann ich auf meinen eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen". Michalsky, in einer Kleinstadt aufgewachsen, wusste nach eigener Aussage schon immer, dass er Designer werden wollte, "in einem Lebensumfeld mit möglichst unterschiedlichen Menschen, Auffassungen, Hintergründen und Kulturen - das geht nirgends besser als in Großstädten".

Experimente? Ja und nein

Und für wen ist seine Mode nun genau gedacht? Für experimentierfreudige großstädtische Paradiesvögel doch wohl eher nicht? "Ich habe die perfekte Kleidung für jemanden, der selbstbewusst und individuell ist. Der eine Lebensplanung hat, ein Ziel, das er erreichen möchte - egal, was dieses Ziel ist. Das muss nicht unbedingt messbar am Gehalt sein. Dem Stil und Aussehen wichtig sind. Ohne sich zu verkleiden."

Einer der auffälligsten Michalsky-Entwürfe: silberner Catsuit mit Floralprint. (Foto: dpa)

Das zeigt sich am Abend. Für die Frau fallen Michalsky Blazer, Hosen, weite Tellerröcke bis übers Knie, gestärkte Blusen, viel Plissee, Rot, Schwarz, Weiß und ein bisschen Rosa ein. Für den Mann: auch schon mal Jogginghose zum Jackett, in Schwarz, Weiß, Grau und Beige.

Doch manche Entwürfe lassen erahnen, dass da mehr in diesem Michalsky steckt als der für ihn typische Streetwear-Look im 90er-Jahre-Stil. Besagter schwarzer Overall zum Beispiel, an dem er so lange gearbeitet hat. Auch das zauberhafte Kleid ganz in Rot, die märchenhafte Prinzessinnenrobe mit ganz viel Glitzer oder der Catsuit in strahlendem Silber mit Blumenprints. In diesen Ausnahmeerscheinungen zeigt Michalsky seine Kreativität - und das Publikum, selbst vorwiegend in Schwarz erschienen, liebt gerade diese Entwürfe.

Zwischendurch singt die junge schwedische Band "The Majority Says". Danach kommt Lisa Stansfield, Star aus den 90ern, etwas klapprig, aber stimmlich wie immer gewaltig auf die Bühne. Michalsky ist berühmt dafür, seine Shows mit überraschenden Acts aufzuwerten. Er war der Erste, der Lady Gaga nach Deutschland holte, und lässt seine Entwürfe schon mal von Seniorinnen präsentieren. Auch ein männliches Model mit Beinprothese hatte er bereits im Defilee.

Stimmgewaltig: die britische Sängerin Lisa Stansfield. (Foto: dpa)

Diesmal ist es die Mischung, die überrascht. Von der damals sehr erfolgreichen Lisa Stansfield hat man schon ewig nicht mehr gehört, von der zauberhaften schwedischen Band noch wenig. Zu Unrecht.

Und nach der Show? Wird im Tempodrom noch bis in die Morgenstunden gefeiert. Die meisten weiblichen Models halten nicht besonders lange durch auf der Tanzfläche, sie verabschieden sich früh in den Schönheitsschlaf. Währenddessen tanzen ihre männlichen Kollegen mit weiblichen Gästen in Glitzerhosen und weiten Tellerröcken, ob nun von Michalsky oder anderen. Sie sind die auffälligeren Persönchen in dieser Partynacht. Die weiblichen Models tragen nach der Show denselben unauffälligen Look wie zuvor. Und die Stars der Michalsky-StyleNite, das sind nun die, die durch ihr Outfit punkten. So schließt sich der Modezirkus - und dreht sich weiter, ganz um sich selbst.

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