Es ist ja so: Du musst heute keine anderen Kochbücher haben neben Google. Das Netz ist voll mit Rezepten, und selbst für die letzten Reste im Kühlschrank - Schrumpelkarotten, Joghurt, Sojasoße, Augentropfen - findet sich noch ein Gericht auf chefkoch.de, eines, das sogar von anderen schon nachgekocht wurde, mit drei Sternen versehen und dem obligatorischen Zusatz: "Schmeckt sogar meinen Kids!"
Es gibt Blogs, die für jede kulinarische Notsituation (Eltern kommen, spontane Gluten- und Laktoseintoleranz, Weihnachten & nix eingekauft und so weiter) gut fotografierte Hilfestellung geben. Es gibt Apps, die anbieten, mir für jeden Tag meines restlichen Lebens ein kohlenhydratarmes Gericht vorzuschlagen. Es gibt in den Bio-Stadtvierteln Kochhäuser, in denen die Gerichte schon in ihren Einzelteilen für den Späteinkauf bereitliegen, ein Kefirlimettenblatt, zwei Pimentkörner, 180 Gramm Hühnerbrust, 140 Gramm Wildreis, 520 Kalorien, und das Rezept dazu wird an der Kasse ausgedruckt.
So ein Kochrezept ist eben auch nur Code, eine Gebrauchsanweisung, die uns vor dem Verhungern und dem nächsten Treffen mit dem abgekämpften Lieferando-Boten bewahren soll. Es ist nicht eigentlich etwas, das unbedingt zwischen zwei Buchdeckel gehört. Die Vorstellung, dass man bei akutem Hunger erst mal ein Kochbuch zur Hand nimmt, ist abwegig. Als würde man gegen Einsamkeit das Telefonbuch durchlesen. Nein, die digitale Vervielfältigung und Abrufbarkeit aller Rezepte dieser Welt zeugt nur davon, dass Menschen heute wie vor 150 Jahren das Verlangen haben, zu notieren, was gut war, und Bewährtes weiterzugeben. Und dafür eignen sich die neuen Verteilmedien hervorragend.
Trotzdem ging es dem analogen Kochbuch aus Falz und Papier noch nie so gut wie heute. Die Umsätze der Branche sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, die Zahl der veröffentlichten und übersetzten Bücher auch. Ich kann die Statistik nachfühlen, denn ich kaufe sie alle (also fast). Sonst neige ich nicht zu extremistischem Verhalten, aber bei Kochbüchern verliere ich jedes Maß. Und die Lage wird immer unübersichtlicher. Engländer, Franzosen, Amerikaner und Australier produzieren heute nonstop faszinierende Kochbücher, mittlerweile sind auch ein paar großartige deutsche Exemplare darunter.
Schon allein, weil jeder zweite Foodblogger, jeder Sternekoch und jedes originelle Restaurant das eigene Buch heute als wichtiges Etappenziel sehen, geht der Kochbuchmarkt seit einigen Jahren auf wie ein an der Heizung vergessener Hefeteig. Gut so, denn bis jetzt steigt dabei nicht nur die Stückzahl, sondern auch das Niveau - ausgenommen die jährlichen Pflichtbücher der Fernsehköche. Aber sonst: Tolle Fotografen, innovatives Styling, literweise Herzblut, zentnerschwere Papierqualitäten, literarischer Mehrwert - wird alles heute in Kochbuchform dargereicht.