Klimawandel:Wein aus Schleswig-Holstein? Ja, geht das denn?

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Sommerschnitt am sonnigen Südhang. Was daran besonders ist? Dieser Hang, der zum Gut Ingenhof gehört, liegt im windigen Holstein. (Foto: Michael Staudt / VISUM)

Lange klang das wie ein Scherz für Touristen. Doch nun nehmen Winzer das Thema ernst - durchaus mit Erfolg.

Von Peter Burghardt

Sie fährt aus dem Ingenhof hinaus ins Gelände, eine sanfte Anhöhe hinauf durch Erdbeerfelder. Oben öffnet Melanie Engel ein Tor im Zaun, dann steht sie in ihrem Weinberg. Der Zaun muss sein, auch wilde Tiere in Norddeutschland mögen Trauben. Außerdem gibt es tatsächlich Menschen, die Weinblätter klauen. Die Winzerin Engel prüft die weißen und roten Reben, sie kniet vor den Früchten, eine junge Frau in Shirt und knielanger Hose. Sie reißt ein Blatt ab, "ganz toll gesund", sagt sie, "die Trauben werden toll reif." Sie vertraut auf das Verhältnis von Säure und Zucker, "dieses Jahr ist natürlich perfekt".

Melanie Engel, 40, ist eine Weinbäuerin, die immer noch ins Staunen gerät darüber, wie sich Reben und Trauben entwickeln. Und das ist kein Wunder, schließlich hoben viele Leute amüsiert die Brauen, als Engel ihr Weinberg-Abenteuer startete. Wein aus Schleswig-Holstein? Ja, geht das denn? Und wenn ja, kann das schmecken?

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Ungefähr 18 000 Rebstöcke ziehen sich auf vier Hektar in akkuraten Reihen hinab ins Tal. Vier Hektar, das ist im Vergleich zu Weingütern an der Mosel oder im Rheingau überschaubar, in Deutschland beträgt die Anbaufläche für Wein insgesamt 103 000 Hektar. Doch für Schleswig-Holstein sind vier Hektar ungewöhnlich. Links wächst Solaris für den Weißwein, rechts Regent und Cabernet Cortis für Rotwein und Rosé, exotische Sorten. "30 Prozent Neigung, exakte Ausrichtung nach Süden", sagt Melanie Engel. "Ideale Lage." Die Sonne, auch nicht unwesentlich, verschwindet nur kurz hinter Wolken. Ein irrer Sommer.

Wer hätte das alles gedacht, in dieser Gegend, 25 Autominuten vom Ostseestrand entfernt? Das Obst- und Weingut Ingenhof liegt zwischen Lübeck und Kiel, am Rande von Malente in der Holsteinischen Schweiz, wo sich das sonst oft platte Bundesland hebt und senkt. Berühmt wurde die Kurgemeinde Malente durch ihre Sportschule, in der die Fußball-Nationalmannschaft einst vor der WM Quartier bezog und einmal während des Turniers - seit 1974 ist der Geist von Malente Legende. Aber Wein, gepflanzt auf einer abgelegenen Endmoräne und selbst gekeltert?

Klar, man hat vielleicht von interessanten Projekten auf Sylt gehört, 0,3 Hektar, oder aus Usedom. Selbst in Schweden oder Finnland wächst mittlerweile Wein und im Hamburger Hafen, ausgefallene Tropfen von den Landungsbrücken oder einer Urlaubsinsel. Raritäten, oft eher ein Souvenir, bei dem das Etikett fast wichtiger ist als der Inhalt. Doch Ingenhof ist kein Marketinggag. In diesen Hügeln aus der Eiszeit ist eine besondere Folge der Erwärmung zu besichtigen: der kommerzielle, regionale, nordische Weinbau.

Die Familie Engel betreibt den Ingenhof in vierter Generation, ihre Eltern und Großeltern lebten lange von Acker und Schweinemast. Heute sind es 300 Hektar Raps, Gerste, Erdbeeren, Himbeeren - und eben Wein. "Engel Nr. 1, Solaris, trocken", steht auf Flaschen von 2017, 12,5 % Alkohol. Erhältlich für 8,50 Euro im Hofcafé, vor dem weitere Weinreben wachsen, oder Online sowie in einigen Läden und Restaurants.

Der Weißwein ist fruchtig und frisch, am besten schön gekühlt. "Ausgeprägte Fruchtigkeit mit Aromen von saftigen Pfirsichen und einem Hauch Cassis", heißt es in der Beschreibung. "Ideal zu frischen Salaten, Fischgerichten oder gerne auch solo auf der Sonnenterrasse." Die Weinbäuerin Engel lobt den Solaris, "der fühlt sich hier im Norden einfach wohl". Der Rotwein? "Okay", sagt sie, da fehle der Körper. Es gibt auch feinherbe, halbtrockene und liebliche Sorten im Programm, nicht jedermanns Geschmack. Und Secco. 100 Punkte bei Parker oder andere prestigeträchtige Bewertungen würde in diesen Breiten eh keiner erwarten, doch diese Geschichte zeigt zunächst mal: Wein aus Schleswig-Holstein kann funktionieren, gut sogar.

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Das Experiment Engel begann, als Rheinland-Pfalz vor knapp zehn Jahren zehn Hektar seiner Pflanzrechte an Schleswig-Holstein übertrug. Denn wer Wein für den Verkauf anbauen möchte, braucht so eine Genehmigung. Melanie Engel und ihr Mann Karsten Wulf aus Bad Malente-Malkwitz bewarben sich. Die Landwirte wollten ihr Profil schärfen, sie wollten etwas ausprobieren. Sie finden, Weine passen besser zu ihrem Obsthof und ihren Ferienwohnungen als Schweine. Also sprachen sie mit Experten, machten sich in bekannten Gebieten kundig und reichten Gutachten ein. Die Novizen bekamen erst drei und später vier Hektar zugeteilt. Als es um die geeigneten Rebsorten ging, empfahl man ihnen früh reifende und widerstandsfähige Sorten wie Solaris und Regent. Riesling, Grauburgunder oder Merlot von hier wären wohl kaum konkurrenzfähig gewesen.

Eigener Wein macht für einen Hof in Schleswig-Holstein dann doch noch einiges mehr her als zum Beispiel eigene Erdbeeren. Melanie Engel veranstaltet jetzt Weinproben und führt Gäste in ihren Weinberg. Das Problem: Beim Weinbau müsse man langfristig planen, sagt Professor Manfred Stoll von der Hochschule Geisenheim, von der sich der Ingenhof auch beraten ließ. "Das heißt, Sie brauchen schon mal drei Jahre, bis Sie mit den Rebstöcken in den Ertrag kommen. Das ist kein schnelles Geld, sondern nachhaltiges Wirtschaften." Aber ja, die Anbaugrenze verschiebe sich durch den Klimawandel, bestätigt Stoll, das eröffnet neue Möglichkeiten.

Der renommierte Winzer Steffen J. Montigny aus Bretzenheim im pfälzischen Landkreis Bad Kreuznach hat sein Revier 2009 um ein Anbaugebiet in Grebin bei Plön erweitert, Hof Altmühlen, in der Nähe vom Ingenhof. Montignys Weißwein aus Schleswig-Holstein trägt den plattdeutschen Titel "So mookt wi dat", so machen wir das, und er hat Preise gewonnen. So machen es jenseits der traditionellen Regionen nun auch Kollegen in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Nach diesem Sommer hoffen sie auf einen außergewöhnlichen Jahrgang, ihre Reben werden aber oft in Anlagen im Süden verarbeitet.

Auf dem Ingenhof dagegen stehen in einer Halle die Aluminiumtanks und Eichenfässer. Abgefüllt wird in der Nähe bei einem Onkel, der Likör herstellt. Die Agronomin Engel holt sich dafür Fachleute, "Weinkeltern kann man sich nicht mal kurz aneignen." Noch müssen die Erdbeeren mithelfen, den Wein zu finanzieren. Einen Hektar zu unterhalten kostet zwischen 30 000 und 40 000 Euro pro Jahr - es muss also einiges wieder reinkommen. Im nassen Jahr 2017 wurden aus der Weinlese am Ende 12 000 Liter, 15 000 Flaschen. Nicht schlecht. 2018 könnte noch besser werden.

Als Kind fuhr Melanie Engel mit ihrem Vater auf dem Traktor über diese Hänge. Im Tal steht noch der alte Milchschuppen vom Opa. Weinbau hier war ein Balanceakt. Das Gelände ist von Wald umgeben und somit vor zu viel Wind geschützt, der Boden steinig und sandig, die Temperatur am Hang meist zwei, drei Grad höher als in der Senke. Das hält im Frühling die Kälte im Zaum, etwas künstliche Frostschutzberegnung kam dennoch zum Einsatz. Dieses Jahr gab es seit dem Frühling kaum Niederschlag, 14 Wochen lang fiel kein Tropfen. Für Raps oder Weizen war die Dürre ein Desaster. Für den Nordwein ist diese mediterrane Saison allerdings wie gemacht. Und manche Apfelbauern im Alten Land bei Hamburg versuchen sich nebenbei bereits mit Pfirsichen oder Aprikosen. Über die Weinreben vom Ingenhof werden wegen der Insekten und Räuber Netze gespannt. Gerade hat ein sogenannter Rebveredler die Rebstöcke inspiziert und war zufrieden, Melanie Engel lernt von solchen Profis immer wieder dazu. Sie ist froh, dass sie das mit dem Wein hier oben machen, "aber ich hätte es mir leichter vorgestellt", sagt sie. Schritt für Schritt immer besser werden, das ist ihr Ziel. Auch die Website vom Ingenhof klingt nach Zukunft: "Winzer gesucht" ist dort zu lesen.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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