Hipster-Restaurants:Schmeckt locker!

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Jeden Monat eröffnet in der Stadt irgendein sehr individuelles Hipster-Restaurant. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein paar kunstvolle Bauschäden, Bioessen und der Koch ist regional tätowiert: Jeden Monat eröffnet ein total individuelles Hipster-Restaurant. Super Sache, wenn die Läden nicht alle gleich wären. Eine Anleitung zum Selbermachen in zehn Schritten.

Von Marten Rolff und Max Scharnigg

Ehrliche, gute Küche in Wohnzimmeratmosphäre, Bioqualität auf altem Fabrikmobiliar, und der Koch ist regional tätowiert: Essengehen fühlt sich in den angesagten Vierteln vieler Städte mittlerweile an wie ein recht vorhersehbarer Ausflug in die Unterwelt. Warum? Hier die Analyse eines immer gleichen Schemas.

Der Name

Ist wichtig, weil er doch gleich signalisieren soll, dass man es nicht mit Spießer-Gastro zu tun hat, sondern mit einem idealistischen Liebhaberprojekt. Er muss gleichzeitige menscheln, cool sein und internationales Flair haben, witzig und gerne auch ein Quäntchen lokalpatriotisch, zum Beispiel "Chez Frau Schmitz" oder "The Wildmoser". Wenn einem partout nichts einfällt - einfach das Wort "Eatery" in Kombination mit dem Straßennamen oder Stadtteil setzen! Vom Berliner "Nobelhart & Schmutzig" lernt man, dass ein Restaurant dann absolut zeitgeistig ist, wenn man beim Namen eigentlich an einen illegalen Club denkt und nicht an gute Küche.

Die Homepage

Nichts droht heute so schnell ins Gewöhnliche (oder Gestrige) abzurutschen wie ein Online-Auftritt. In der selbsternannten Restaurant-Königsklasse heißt es daher immer öfter: Brauchen wir gar nicht! Hauptsache, man hat einen registrierten "Freundeskreis" von vielleicht 150 Leuten, auf die es ankommt. Und die nachher das Video vom Pre-Opening an die halbe Stadt posten. Schließlich soll am Ende jeder in Berlin-Mitte oder in der Hamburger Schanze darüber reden, dass auf dieser Party - total ironisch - Winzer-Lambrusco (Merke: Die Tautologie ist das A und O des Gastro-Marketings) ausgeschenkt wurde, zu Häppchen von Neuköllner Blutwurst oder Wilhelmsburger Klopsen. Nun ist die Community sensibilisiert für alle weiteren Pop-up-Happenings, Supper-Clubs oder Specials. Und gilt ein Laden erst als sexy, kommt der Mob von ganz allein ("Tja, leider alles reserviert!").

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Von außen

Der Gedanke an einen Club wird auch bei der Fassadengestaltung weitergedacht - abgeklebte Schaufenster mit Sichtluke oder progressiv nackte Fenster sind das Mittel der Wahl. Je unrenovierter das Restaurant wirkt, desto anziehender. Trotzdem muss es natürlich ein paar anheimelnde Elemente geben. Obligatorisch ist die aufgestellte Retro-Kreidetafel auf dem Gehweg, auf der immer steht, dass es hausgemachte Kräuterlimonade gibt, dazu gerne auch ein gewitzter Bezug zur aktuellen Nachrichtenlage, der sich schnell durchs Netz verteilt. Restaurant-Name und kulinarische Botschaft sind meist so unprätentiös wie möglich an der Fassade versteckt - serifenlose Klebebuchstaben halbhoch am Schaufenster oder ein viel zu kleines Emaille-Schild genügen. Gelungen ist die Fassade jedenfalls, wenn man sie als argloser Betrachter in keinen Zusammenhang zu den Speisen auf der Kreidetafel setzen kann.

Die Beleuchtung

Warm muss die Beleuchtung schon deswegen sein, damit bloßes Mauerwerk, Sichtbeton und rostige Metallhocker einigermaßen einladend wirken. Das Hipsterrestaurant soll ja trotz offenkundiger Baumängel keinesfalls die Rumpelbude sein, die es ist, sondern ein schick-freundliches Nest, in dem einem von Freunden nebenbei ambitioniertes Essen verkauft wird. Emaillierte Fabriklampen und alte Scherenleuchten haben daran entscheidenden Anteil. Sie stehen für puristische Funktionstreue (wie in der Küche!), Retro-Charme und drücken vor allem jene Industrie- und Shabby-Taste, die in gewissen Stadtvierteln als Geschmacksverstärker gilt. Alternativen zur Fabrikleuchte: pure Glühfadenlampen in Bakelit-Fassungen, in Massivholz versenkte Teelichter, ironische Kronleuchter.

Die Deko

Alte Bierkisten mit urigen Limonadenflaschen, Grünglas aus dem Krimkrieg, leere Einmachgläser von "Le Parfait", dazu ausgemusterte Stall- und Kontor-Utensilien, alte Holzleitern, einzelne Leuchtreklamebuchstaben und Transportkisten. Die Tische sind wahlweise aus Altholz geschreinert oder aus einer vom Sturm gefällten Eiche (regional). An den Wänden sind mit weichen Filtern aufgenommene Close-ups von kulinarischen Objekten zu sehen oder in vegetarischen Restaurants, absichtlich ironisch, eine alte Lehrtafel, welche die Zuschnitte eines Rindes zeigt. Sehr wichtig: Die Geschlechterbeschilderung der Klotüren muss maximal verschlüsselt sein.

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Die Speisekarte

Sie wird zwingend als Zettel auf einem Klemmbrett überreicht. In ihrem Layout drückt sich der ganze Code des Restaurants aus. Sehr wichtig ist die Schreibmaschinen-Schrift Courier in Kombination mit diversen Vintage-Grafik-Elementen, Jugendstil-Vignetten und Stempeloptik. Wenn es aussieht wie ein Zirkus-Programm aus den 1920er-Jahren, ist es richtig. Lang ist die Karte natürlich nicht, die Gerichte sind dafür in sich sehr unterhaltsam: "Original Dauerschwein" / "Kotelett vom glücklichen Deichlamm, proudly presented by Bauer Franz"/ "Grünzeug mit Tupfen" usw.

Sehr viel länger als die Karte ist das, was auf der Rückseite oder einem Extrablatt steht: der unverzichtbare Ethik-Absatz. Schließlich ist das nicht einfach nur Essen, sondern mindestens: richtiges Essen, nachhaltig, gewissenhaft, regional, schnörkellos, politisch korrekt und mehrsprachig. Alles von hier, alles selbst gemacht, alles bio. Nicht selten endet diese Litanei mit einer Rechtfertigung: Deswegen dauert es auch mal etwas länger. Deswegen ist auch mal was aus. Deswegen ist das alles so teuer. Eine schöne Lektüre. Nur schade, dass der Kellner sie gleich noch mal in maximaler Humorlosigkeit nacherzählen wird.

Der Service

Ob Tweedhütchen, Kopftuch oder Wollmütze, Vollbart, Dutt oder abrasierte Brauen, ob Samswanst im Samtwams oder Spargel im Tanktop, ob kerlig mit Ganzkörpertattoo oder ätherisch in Lillifee-Bluse, metro-, auto- oder asexuell - völlig egal. Was zählt, ist: brutalstmögliche Individualität. Denn die entschuldigt fast alles, wortkarge Unnahbarkeit ebenso wie kumpelige Übergriffe.

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Im Idealfall wirkt das Gruppenfoto der Crew wie die Zausel-Ausgabe der Benetton-Werbung 4.0. Der Gang des Hipster-Kellners ist beiläufig schlurfig oder übermotiviert federnd, seine Ausführungen sind gern witzig wie weitschweifig beflissen (Nur zur Erinnerung: Er muss ja die Philosophie des Lokals, die Lieferwege der Produkte, die Herstellung der Gerichte. . .), und sein Ton ist verbindlich - aber oft nur, solange niemand widerspricht. Denn mal ehrlich: Warum sollte jemand, der einen so super Laden repräsentiert, sich jetzt Besserwisser-Scheiße von Gästen anhören?

Die Gedecke

Auf Tischen hat ja vieles Platz, aber bitte nichts, was nur entfernt an gängige Teller oder Schüsseln erinnert, am Ende gar aus Porzellan? Nein, schließlich muss das, worauf serviert wird, dem Servierten eine weitere Dimension hinzufügen, notfalls eben als Zitat. Es mag unpraktisch sein, aber schmeckt Salat nicht authentischer, wenn er im Einweckglas gebracht wird? Auch das Entrecôte vom Werdenfelser Rind säbelt sich schöner auf Planken aus Buche rustikal, und wer selbst gebackene Coca (katalanische Spielart der Pizza) in der Pappschachtel auftischt, liefert die originelle Kritik an der Lebensmittelindustrie gleich mit. Nur die Schieferplatte ist längst in der Systemgastronomie angekommen und muss zwingend durch flache Steine, Dachpfannen oder Witziges aus Ton ersetzt werden.

Das Besteck darf vom Flohmarkt zusammengewürfelt und die Tischdecke aus (edlem) Papier sein. Dafür werden die Gläser schicker. In Mitte genießt man Mosel-Riesling nun im acht Gramm leichten Zalto-Glas, dessen Neigungswinkel dem unserer Erde entspricht. So viel Geschmack war noch nie. Nachteil: zerbricht sofort, wenn man dagegenpustet. Das Wasser kommt dafür in alten Milchflaschen und wird aus superflachen Bodega-Gläsern getrunken.

Das Essen

Spielt hier nicht wirklich die Hauptrolle, ist aber tragender Teil des Gesamtkonzepts (Spaß haben mit entspannten, offenen Leuten, die ähnlich weit vorne sind wie man selbst). Wichtig: Jedes Gericht hier ist grundehrlich. Davon zeugen ja auch die Fußnoten auf der Karte, die alle Produkte in liebevolle Beziehung zum Hersteller setzen, wobei die Kurzbio der Züchterfamilie des Roten Husumer Protestschweins länger geraten kann als die Liste der Speisen.

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Das selbst gebackene Brot ist so genial wie das vegetarische Angebot oder der Spezial-Burger des Hauses. Und dass sich Lokalpatriotismus mit Weltläufigkeit vereinbaren lässt, beweisen Zutaten wie Giersch, Brennnesseln, Kiefernnadeln oder südindisches Senfsaatöl (Kaltpressung); so führt man Trendbewusstsein und Nachhaltigkeit auf der Zunge zusammen. Der Filterkaffee am Ende ist wieder handgebrüht, aber die Röstung gibt's nur heute. Sooo geil: Die hat der Luca extra im Handgepäck aus einem Coffee Lab in Williamsburg mitgebracht.

Die Getränke

Konnte die Weinkarte früher nicht international genug wirken, so heißt es heute: Deutsch muss die Flasche sein oder wenigstens österreichisch. Nur so ist es glaubwürdig, dass der Mikie ("Macht bei uns den Sommelier, ein totaler Riesling-Fan!") persönlich die Winzer-Ochsentour von der Saale bis zur steirischen Laßnitz absolviert hat. Der Gin (vier Tonic-Sorten sind Pflicht) sollte heute ebenso wie das Craft Beer nicht nur aus der Heimatstadt, sondern gleich aus dem eigenen Kiez kommen, auch die Kräuter für das Limo-Hausrezept stammen ja vom nahen Urban-Gardening-Projekt. Irren Moden wie Frankenwhisky oder auf der Maische vergorenem Weißwein (Orange Wine) gegenüber ist man grundsätzlich aufgeschlossen. Dafür kommt das Wasser wieder aus der Leitung ("Münchner Wasser ist das beste!") - gegen einen irgendwo auf der handgeschriebenen Rechnung versteckten Aufpreis, versteht sich.

© SZ vom 07.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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