Kürzlich ging ich los, um mir in der Münchner Innenstadt eine Jeans mit tiefem Bund zu kaufen. Da man Jeans mit tiefem Bund seit ein paar Jahren nicht mehr trägt, war ich darauf vorbereitet, dass es etwas dauern könnte. Ich plante eine Stunde ein.
Es kam dann aber anders als in den Nullerjahren, wenn man keine Skinny Jeans erwerben wollte, oder Mitte der Zehnerjahre, wenn die Jeans kein Bein mit Schlag haben sollte. Auch da konnte es ein Weilchen dauern, aber früher oder später fand man sie. Diesmal fand ich nichts. In der vierten Jeansabteilung, die den hohen Bund in fünfhundert Versionen führte, ging ich zu einer Verkäuferin: "Habt ihr auch Jeans mit tiefem Bund?" Sie sah mich so ungläubig an, als hätte ich nach einem Reifrock verlangt. "Sie meinen Low Waist? Nee, haben wir nicht."
Natürlich habe ich die Jeans am Ende doch gefunden, im dunkelsten und muffigsten Hinterzimmer des Internets. Pepe, Modell "Piccadilly", Boot Cut, 99 Euro plus Versand, von Otto. Wirklich gute Hose.
"How high can high-waisted pants go", wie hoch kann der Hosenbund noch rutschen? So war gerade eine Geschichte im Magazin New Yorker überschrieben. Die Autorin gab sich als High-Waist-Jüngerin zu erkennen - wenn es nach Rachel Syme ginge, stieße der Bund an den Busen. Sie schrieb, dass der hohe Bund der Freund aller Frauen sei, weil er den Hintern und die Hüften nicht verberge, sondern sie vielmehr hervorhebe und also feiere. Sie schrieb, dass High-Waist-Jeans unglaublich bequem seien. Sie fühle sich darin geborgen, beschützt, irgendwie ganz fest umarmt. Es sei für sie die einzig annehmbare Hosensilhouette, "eine Form, die den Körper liebkost und stützt, als halte sie meine inneren Organe an ihrem Platz".
Ich war in jedem einzelnen Punkt anderer Meinung. Es ist zweifellos richtig, dass die High-Waist-Jeans den Hintern feiert - allerdings in dem Sinn, dass man (Pardon!) als Riesenarsch auf zwei Beinen durchs Leben balanciert. Die einzigen Frauen, die damit durchkommen, haben keinen Rubens-Körper, sondern sind quasi hinternlos, steckerldünn, mit Knabenhüften sowie grotesk langen Beinen ausgestattet, weil der hohe Bund leider auch optisch staucht. Der Effekt ist desaströs. Ich schwöre, es gibt auf dieser Welt keinen einzigen Mann, der die High-Waist-Jeans schön findet.
Dass die Hose bequem sein soll, ist ein ganz schlechter Witz. Weil sie nicht auf der Hüfte sitzt, sondern überm Bauchnabel irgendwie fixiert werden muss, ist es nahezu unmöglich, sie ohne Gürtel zu tragen. Es kann dem Denim noch so viel Elastan beigemischt sein: Dies fühlt sich an, als schnüre einem ein Strick in den Händen eines erbarmungslosen Folterers ganz langsam die Luft ab. Hinzu kommt das Knitterproblem. Möglich, dass die High-Waist-Hose im Spiegel der Jeansabteilung noch einigermaßen passabel aussah. Nach einer Stunde Schreibtischarbeit aber trägt man eine Ziehharmonika überm Unterleib. Und diese Falten, da kann man bügeln, wie man will, gehen niemals wieder raus.
Woher ich das zu wissen glaube? Ich besitze selbst High-Waist-Jeans. Sogar gleich drei Stück. Dabei fand ich sie eigentlich nie gut (Fashionista-Tipp am Rande: Das erste Gefühl ist immer das richtige). Leider ging es mir mit der hohen Hüfte dann wie mit dem Keilabsatz oder dem Glockenrock oder der Farbe Senfgelb: Wenn die globale Vereinigung der Modemacher die finstere Vereinbarung getroffen hat, dass die Masse der Ahnungslosen einen bestimmten Look jetzt schön zu finden hat, wenn sie einen erst mal mit Styling-Tipps, Streetwear-Bildern von Filmstars und "Shop the Look"-Angeboten beschießen, kommt irgendwann der Punkt, an dem man aufgibt. Früher oder später sieht und denkt man sich das alberne Zeug halt einfach schön.
Meine erste High-Waist-Jeans war von Diesel. Oben eng, unten weit, Dreiviertelbein, Bügelfalte. Als ich aus der Umkleide kam, sagte mein Freund: "Oh Gott." Weil ich aber finde, dass man als Frau nicht den Männern, sondern sich selbst gefallen muss, habe ich sie trotzdem gekauft. Beziehungsweise ich kaufte sie erst recht. Getragen habe ich sie so gut wie nie, weil ich darin zwar stehen, aber nicht sitzen kann.
Meine zweite High-Waist-Jeans war von Isabel Marant Étoile. Oversize, extralanges Bein in Karottenform, ultrahoher Bund. Ich habe nachgemessen: Der Reißverschluss ist unglaubliche 17 Zentimeter lang. Das Gute an dieser Hose ist, dass sie sitzende Tätigkeiten toleriert, sie hat auch keinen Ziehharmonika-Faltenwurf. Ihr Faltenwurf gleicht dem dreier übereinander flappender Speckwülste. Auch diese Hose trage ich so selten, wie es irgendwie geht.
Mein dritte High-Waist-Jeans war von Weekend Max Mara. Schwarz mit Blumenprint, Knöchellänge. Weil der Bund nur mittelhoch, der Stretch-Anteil maximal groß und der Faltenwurf gering ist, gibt es keinen rationalen Grund, sie nicht auch zu tragen. Darum vergesse ich meist einfach, dass ich sie überhaupt besitze.
Ein 30,5 Zentimeter langer Hosenbund? Länger geht kaum, dann sind die Brüste im Weg
In der Zwischenzeit, während ich so vor mich hin probierte, war bei den Denim-Labels ein Wettrüsten entbrannt: Wer, lautet heute die auch auf Social Media heftig diskutierte Frage, schafft es, die höchste High-Waist-Jeans aller Zeiten zu konstruieren? Momentan scheint Levi's mit der "Ribcage" vorn zu liegen: 30,5 Zentimeter vom Schritt bis zum Bund. Das toppt nur noch die "Goldie" von Eloquii: 37 Zentimeter. Sie läuft aber streng genommen außer Konkurrenz, da es sich um eine Plus-Size-Marke handelt.
Ich trage in der Zwischenzeit die "Piccadilly". Sie ist bequem, schmeichelt der Figur und sitzt so tief, dass der Bauch wunderbar über den Bund hinweg atmen kann. Sie ist mit anderen Worten ganz und gar unmodisch. Allerdings, muss man an dieser Stelle sofort hinterher orakeln: Wie lange noch?
30,5 Zentimeter Bund lassen sich kaum überbieten, es sind nun mal Brüste im Weg. Weshalb es nicht mehr lange dauern kann, bis die Vereinigung der längst zu Tode gelangweilten Modemacher das Ende der Klamotte handstreichartig beschließt und alle High-Waist-Jeans bei Nacht und Nebel aus den Kaufhäusern entfernen lässt. Im Frühjahr werden die Damen wieder Hüftjeans kaufen, und ich werde sagen können: Mädels, ich habe es schon im Dezember gewusst.