Gastronomie:Revoluzzer in der Großküche

Tag der gesunden Ernährung am 7.3.2018

Patrick Wodni tauschte seinen Arbeitsplatz in einem Sternelokal gegen eine Großküche ein.

(Foto: Annette Riedl/dpa/picture alliance)

Patrick Wodni arbeitete in einem bekannten Berliner Sterne-Restaurant. Dann wechselte er freiwillig in eine Krankenhausküche, aus tiefer Überzeugung. Sein Erfolg zeigt: Kantinenessen kann günstig sein und gut schmecken. Seinen Stil beschreibt er so: "Reformhaus, aber in geil".

Von Nora Reinhardt

Wenn ein junger Spitzenkoch für die Karriere die Küche wechselt, interessiert das in der Regel keinen. Es sei denn, der Wechsel ist so spektakulär wie bei Patrick Wodni. Der Saucier tauschte das bekannte Berliner Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig gegen die Küche des Krankenhauses Havelhöhe, um dort für ein Budget von 4,76 Euro pro Teller gehobene Küche anzubieten - für 500 Personen. Das beeindruckte nicht nur Patienten, Ärzte und Pflegepersonal, sondern auch die Restaurantkritik und schließlich sogar die New York Times. Das Blatt, das sich normalerweise für deutsche Köche so interessiert wie für angebrannten Grießbrei, widmete dem völlig unbekannten Jungkoch einen riesigen Artikel. Wodni wurde als "intelligent" beschrieben, als "Juwel". Hier war endlich mal ein Koch, der die Großküche als "ultimative Herausforderung" sah.

Berühmtester Kantinenchef des Landes

Patrick Wodni, das ahnt man hier schon, ist ein idealistischer, bescheidener Mann, dem Koketterie fremd ist. Aber diese Geschichte erzählt er auch fast sechs Monate später noch gern. Weniger, weil sie ihn über Nacht zum berühmtesten Kantinenchef des Landes machte, sondern weil sie bestätigt, dass er mit seiner Vision richtig lag. "Mir ist nicht so wichtig, ob die Leute wissen, dass ein Essen von mir ist", erklärt er, "aber es freut mich natürlich, dass ich nachhaltig etwas verändern konnte."

Wodni ist längst einen Schritt weiter, seine neue Wirkungsstätte klingt noch unglamouröser als Krankenhausküche: In der Mitarbeiterkantine eines Logistikzentrums der Drogeriekette dm in Weilerswist bei Erftstadt leitet er seit November 30 Köche, Beiköche und Servicekräfte. Er kocht dort täglich für 700 Menschen. Und die wichtigsten Fragen, die man an ihn hat, sind dadurch nur dringlicher geworden.

Wieso wechselt ein Jungkoch, dem sein bekannter Weggefährte Micha Schäfer, Küchenchef im Nobelhart & Schmutzig, "großes Talent" attestiert, ins vermeintliche Billigsegment? Warum möchte so ein Koch Mittagessen für Normalos zubereiten? Hat Patrick Wodni womöglich die Lösung für eines der größten Probleme unseres Arbeitsalltags: miese Verpflegung? Und wie könnte gutes Essen im großen Stil aussehen?

Wer Antworten möchte und Wodni in seiner neuen Heimat nahe Köln an einem freien Tag besucht, trifft einen schlanken 29-Jährigen, der dem Erscheinungsbild nach auch in einer Band mitmischen könnte: Tattoos am Arm, schwarze Skinny Jeans, schwarze Sonnenbrille vor den blauen Augen, Grübchen. Er kommt vom Brotkauf, die Menge würde ebenfalls für eine Band reichen. Denn Wodnis beruflicher Wechsel ist auch damit zu erklären, dass er auf eine Burg zog, wo er nun mit Frau und Tochter lebt, sowie mit zwölf weiteren Erwachsenen, fünf Kindern und zwei Teenagern, mit Hunden, Pferden, Garten und Meditationssaal. In einer Gruppe, die sich entschied, die Dinge etwas anders zu machen. Bewusster.

"So zu leben stellen sich immer alle total harmonisch vor. Aber so ist es auch wieder nicht", sagt Wodni. Zu stören scheint es ihn nicht. Es gibt zwei Küchen, und sie verraten viel über Wodni. In Stiegen liegen lascher Wirsing, angedrückte Paprika, Topinambur, ein verkümmerter Eisbergsalat, geschossener Rosenkohl. Es sind die unverkäuflichen Bio-Gemüse einer solidarischen Landwirtschaft aus der Umgebung, Hauptsache, es schmeckt. Überall stehen Bücher, darunter "The Noma Guide to Fermentation", Rudolf Steiners Ernährungslehre, "Das Maß im Kochen" - keine Rezeptbände, eher Kochphilosophiebücher.

"Reformhaus, aber in geil"

Dazwischen spitzt "Vom Gehen im Eis" des Regisseurs Werner Herzog hervor. "Für mich die stärkste deutsche Prosa: Dinge, die man nicht sofort als schön wahrnimmt, muss man erst auf sich wirken lassen. Das kommt mir entgegen", sagt Wodni. Ein Ex-Kollege nennt Wodni einen "Freigeist". Er selbst sagt: "Ich habe von Werner Herzog mehr übers Kochen gelernt als bei meiner Lehre." Die absolvierte er im Restaurant des Luxushotels Steigenberger in Frankfurt. Dort kochte er - nachdem er im ersten Lehrjahr nur Wurstplatten legen durfte - "James-Bond-Gerichte", wie er es nennt: Steaks, Surf and Turf, Club Sandwiches. Und wie ist sein Stil heute? "Reformhaus, aber in geil", erklärt er und lässt Butter in die Pfanne.

Hochrechnungen zufolge essen täglich mehr als 10 Millionen Deutsche in Kantinen und Mensen, die Traurigkeit dieser Küchenwelt ist unübertroffen. Ihre Tränen sind die Soßen. Die meistbestellten Mahlzeiten sind Schnitzel, Currywurst und Spaghetti Bolognese; beim Kantinenkostanbieter Apetito liegt die Currywurst seit 26 Jahren auf Platz eins. Wodnis Ziel ist es, dieses Essen zu verbessern. Oft schmeckt den Köchen ja selbst nicht, was sie kochen. Es gab ein Experiment in einem Altenheim, bei dem der Küchenchef seine Köche nötigte, ihr Gekochtes eine Woche lang selbst zu essen. Sie kochten schlagartig besser.

Dass angebliche Zeit- und Geldnot nur Ausreden für Kreativitätsnot sind, bewies Wodni im Krankenhaus Havelhöhe. Während seiner Zeit dort stieg die Zahl der verkauften Essen um 30 Prozent. Er kochte gesund, überwiegend vegetarisch, bio: Möhren mit Kamille, gebratenem Grünkohl, Kartoffelpüree und Rübenketchup; Kürbislasagne mit Meerrettich; Roggenporridge mit gebackenen Tomaten, Bergkäse und Knochenfond. In der dm-Kantine versucht er nun nicht nur, die Rezepte und Produkte zu verbessern, sondern auch die Strukturen. Vor allem möchte er die strenge Küchenhierarchie abschaffen und - so sagt er das - eine "Soziokratie" etablieren, mit "Mitgestaltern statt Mitarbeitern".

Gerade, als es in seiner Küche anfängt, nach verbrennender Butter zu riechen, gibt Wodni die Zwiebeln hinzu. "Das muss so. Ohne Röstaromen schmeckt es langweilig". Kochen ist Sekundenarbeit. Da zeigt sich der Spitzenkoch. Eine Prise Kurkuma, damit das Gericht nicht zu grau aussieht. Da zeigt sich der Kantinenkoch, dessen Essen auch mal drei Stunden liegt. "So wie ein Sommelier sich sein Wissen ansaufen muss, muss ein Koch viel essen", sagt Wodni. In Restaurants probiert er gerne Radikales aus und bestellt etwa ein Menü aus Lammniere, Taubenherz und -hirn sowie Maränenrogen - von dem er sich allerdings übergeben musste. Und er schnupperte in die Kantine des bekannten dänischen Künstlers Ólafur Elíasson hinein. Dort spielte die ästhetische Diskussion über die ideale Garnfarbe für die Rouladen eine große Rolle: rot-weiß.

Der Warenwert des Gerichts, das Wodni in seiner Burgküche zubereitet, liegt bei 1,88 Euro: Linsen in Rahm, eine Art minimalistischer Ottolenghi, mit erdigen Aromen, aber perfekt konzipiert. Es hat Süße vom Apfel, Säure vom Apfelessig, ist salzig, fettig durch die Butter, hat Bitterstoffe vom Chicorée und ist gewürzt mit Bockshornklee, der eine käsige Note einbringt, fürs Umami. Wodnis Gerichte sind schnörkellos. "Wenn ich für eine Kantine koche, dann kann ich nicht lange mein Konzept erklären und fancy schmanzy Namen vergeben. Der Geschmack muss stimmen."

Immer mehr Spitzenköche widmen sich Kantinen

Für eine Kantine zu kochen ist vielleicht die ehrlichste Art überhaupt, zu kochen. Mit ehrlichem Feedback. Etliche Spitzenköche haben sich inzwischen der Gemeinschaftsküche verschrieben. Massimo Bottura, der derzeit höchstdekorierte Küchenchef der Welt, lässt in Refektorien Obdachlose verköstigen. Jamie Oliver versuchte, das britische Schulessen zu verbessern. Sarah Wiener möchte Ernährungspolitik im Europaparlament machen. In Dänemark gibt es die Köchin Trine Hahnemann, in Kanada die Kochaktivistin Joshna Maharaj. Wodni hat weder einen großen Namen noch ein Gastroimperium, er arbeitet an der Basis, Mahlzeit für Mahlzeit. Er sagt: "Die Notwendigkeit erkennen viele Köche, aber die wenigsten gehen dann auch dorthin, wo es wehtut, wo man früh um vier Uhr aufstehen muss und wo die anderen nicht so wollen wie man selbst." Aber er findet es schön, dass sich eine Art konstruktiver Widerstand formiert. Man muss sich Wodnis Arbeit vorstellen wie die eines Haute-Couture-Designers, der überlegt, wie er das perfekte T-Shirt aus nachhaltigem Material zu einem guten Preis herstellen kann.

Bis auf die Linsen kommen alle Zutaten für sein Gericht vom Demeterhof vier Kilometer entfernt, ein guter ökologischer Fußabdruck. "Bio-Linsen auf deutschen Feldern anzubauen, rechnet sich kaum", erzählt Wodni bei Kaffee mit Hafermilchschaum, sie würden selbst für mündige Konsumenten zu teuer. Er redet gern über Agrarpolitik. Der Geschäftsführer des Krankenhauses Havelhöhe, Harald Matthes, formuliert das so: "Wodni kennt sich so gut aus, dass er die Bauern beraten hat, was sie am besten anbauen. Und die hörten auf ihn." Um bessere Produkte nutzen zu können, handelte er mit den Erzeugern Deals aus, garantierte Abnahmemengen und bezahlte faire Preise. Allein durch die Produkte verbesserte sich der Geschmack.

Wodni begreift das Kochen als landwirtschaftliche Tätigkeit: Guter Anbau bringt gute Produkte mit sich, die gutes Essen liefern. Er absolvierte Praktika auf Biobauernhöfen. Auch, weil er es satt hatte, in Restaurants für Reiche zu kochen. "Wer Sterneküche macht und ernsthaft glücklich damit ist, wunderbar. Ich bin es nicht. Für mich ist die Gemeinschaftsküche der sinnvollste Zweig, weil er von so vielen genutzt wird", sagt Wodni. Lieber tausend Portionen als zehn Gänge. Natürlich ist es auch eine Chance für ihn, sich in einer Nische zu profilieren.

Beliebt macht man sich so nicht. Der Koch Mikkel Karstad, der die Kantine des dänischen Parlaments umkrempelte, sagt: "Sie haben mich gehasst". Seine Taktik: schrittweise vorgehen und in jedem Gericht eine populäre Zutat verwenden. Das ist auch Wodnis Strategie. In seiner Kantine gibt es Ratatouille, aber mit Lavendel. Wodni weiß um die Unbeliebtheit von Kantinenrevolutionären. Er kennt Kollegen, die den Aufzug mieden und lieber vier Etagen liefen, um niemanden zu treffen. Eine Kollegin wurde als Räuberin des Schnitzels beschimpft. Angestellte knurren, dass sie ihre Arbeit nicht mehr schaffen. "Man wird oft angegriffen, wenn man etwas verändern möchte."

Momentan gibt es in der dm-Kantine noch Kartoffelbrei aus der Tüte. Das zu ändern ist jedoch ein Prozess, das Kartoffelbreiproblem ist auch ein politisches. Denn natürlich können die Köche nicht per Hand Kartoffeln schälen. Dafür gibt es Betriebe mit Maschinen, die frische Schäl- und Schnittware liefern, allerdings zu wenige. Das müsse sich ändern, sagt Wodni. Die Infrastruktur fehlt oft. Die Regierung in Berlin plant dafür ein "House of Food", wo solche Themen strukturell angegangen werden sollen. Als gastronomischer Kurator des "Stadt Land Food"-Festivals setzte Wodni sich für "gutes Essen für alle" ein, knüpfte Kontakte in die Politik. Denn was nützt das beste T-Shirt-Design, wenn es zu wenig gute Baumwolle gibt und wenn das Shirt nicht in die Läden kommt?

Logistik, Landwirtschaft, Ökologie - darüber muss man nachdenken, wenn man Kantinen verändern will. Wodni weiß, wie man organisiert, seine Kochanleitungen im Krankenhaus Havelhöhe glichen "OP-Plänen", heißt es.

"Mir ist klar, dass meine Lebenszeit nicht reicht, um die Landwirtschaft umzukrempeln", sagt Wodni. Zumindest anfangen will er aber schon mal. Wie ernst es ihm mit dem Ökolandbau ist, merkt man an seiner Tätowierung auf dem rechten Unterarm: Sie zeigt die sieben Mondphasen.

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