Gartengestaltung:Ein Zaunkönig anderer Art

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Latten mit Aussicht: Dieser Bauerngarten auf dem Ritten in Südtirol ist von einem Speltenzaun umgeben. Im Hintergrund der Schlern. (Foto: Titus Arnu/Titus Arnu)

Walter Rottensteiner baut noch traditionelle Speltenzäune aus Fichtenästen und Lärchenstämmen. Sie sehen schöner aus als Metall-Gabionen und Sichtschutz aus Plastik - und halten Jahrzehnte.

Von Titus Arnu

Symmetrieliebhaber bekommen beim Anblick dieses Zauns nervöse Zuckungen. Aber wer sich vom Prinzip "kreatives Chaos" angesprochen fühlt, feiert eine innere Gartenparty. Keine Latte ist so lang und breit wie die andere. Es gibt keine rechten Winkel, keine verschraubten Querbalken, keine schnurgeraden Linien. Die Stangen sind teilweise verwittert und werden von einem Geflecht aus Naturfasern zusammengehalten. Man kann den Zaun ein windschiefes Gebilde nennen - aber in Wirklichkeit handelt es sich um ein Kunstwerk, dessen Schöpfer Walter Rottensteiner heißt.

Zu dem hübschen Holzzaun auf dem Ritten in Südtirol passt optimal ein Gedicht von Christian Morgenstern: "Es war einmal ein Lattenzaun / mit Zwischenraum, hindurchzuschaun." Wer durch den Zwischenraum schaut, blickt in einen Bauerngarten mit Sonnenblumen, Kräutern, Kürbis und Salat. Im Hintergrund leuchtet der Schlern in der Abendsonne. Im Vordergrund steht Walter Rottensteiner, dessen Augen ebenfalls leuchten, als er sein Werk präsentiert. Rottensteiner beherrscht als einer der letzten Bauern weit und breit das Handwerk des Speltenzaun-Flechtens.

Grauer Bart, sonnengegerbte Haut, durchtrainierte Waden: Man sieht Walter Rottensteiner an, dass er die meiste Zeit im Freien arbeitet. Es geht mit schnellen Schritten über die frisch gemähte Wiese neben dem Weberhof oberhalb von Klobenstein. Als er den Hof 1993 von seinem Vater übernahm, baute er unter der Anleitung des Seniors einen traditionellen Speltenzaun zur Straße hin. "Der steht immer noch", sagt er stolz, als er am Rand der Wiese angekommen ist. "Ein normaler Holzzaun mit Schrauben und Nägeln fällt nach zehn Jahren auseinander." Nicht aber der Speltenzaun: Wenn eine Holzstange unten angemodert ist, wird sie mit dem Vorschlaghammer tiefer in den Boden gerammt. Das Flechtwerk aus gebogenen Tannenzweigen bleibt jahrelang stabil, spröde Stellen kann man ausbessern. So entsteht das zackige Gesamtkunstwerk, das den Weberhof umgibt.

Seinen ersten Speltenzaun hat Walter Rottensteiner 1993 gebaut. Er steht immer noch. (Foto: Titus Arnu/Titus Arnu)

Sehr postkartentauglich, aber wieso braucht man überhaupt Gartenzäune? "Zäune sind Misstrauensanträge", schrieb der Kinderbuchautor und Aphoristiker Manfred Hinrich. Aus Sicht von idealistischen Großstadtbewohnern, die generell gegen Grenzen sind - sei es in Vorgärten, zwischen Ländern, in unseren Köpfen - mögen Absperrungen am Grundstücksrand auf den beschränkten Horizont des Hausbesitzers verweisen. Das ist aber blanke Theorie und ziemlicher Unsinn. "Wir brauchen hier einen Zaun, damit die Kühe, die Ziegen und das Wild nicht in den Gemüsegarten kommen", sagt Walter Rottensteiner. "Und damit die Hühner nicht abhauen."

Speltenzäune sind kostengünstig und schön, aber trotzdem sind sie in Südtirol und auch andernorts fast komplett aus der Landschaft verschwunden. Allein am Rittner Horn seien in den vergangenen 20 Jahren etwa 60 Hektar Wiesen verwaldet, sagt Rottensteiner. Es gibt in den Bergen insgesamt weniger Weidevieh, und die Landwirte setzen auf Elektrozäune aus Draht, das geht schnell und ist effektiv. Auf Almen Holzzäune zu setzen, wäre zu zeitaufwendig. Speltenzäune stehen traditionell eher rund ums Haus. Die meisten Zäune, die Handtuchgärten in Vorstadtsiedlungen begrenzen, sehen allerdings anders aus als der Postkartenzaun in Südtirol.

Besonders beliebt ist der Doppelstabmattenzaun, ein nach DIN-Norm gefertigtes Gitter aus Metall. Er wird gerne mit Kirschlorbeerhecken kombiniert und gilt als unverwüstlich. Dazu passend gibt es Doppelstabmatten-Schiebetore mit Elektromotor, die man per Fernbedienung öffnen und schließen kann, sodass die Bewohner des Hauses berührungs- und anstrengungslos ihren Käfig verlassen und betreten können. Wohl aus dem Gefühl, sich ästhetisch abgrenzen zu müssen, ziehen manche Leute zusätzlich Sichtschutzelemente aus Plastik hoch, deren Design so viel Charme ausstrahlt wie eine Lärmschutzwand an der Autobahn. Es gibt etwa die Ausführungen "mediterran" oder "rustikal", falls es mehr in Richtung Burg gehen soll.

Geschmackssache: ein Doppelstabmattenzaun als Grundstücksbegrenzung. (Foto: imago stock/imago images/U. J. Alexander)

Eine höllische Kreuzung aus Drahtkäfig und Gefängnismauer ist die Gabione. Der Name dieser brachialen Variante des Zauns leitet sich von gabbione ab, was im Italienischen "großer Käfig" heißt. Vorgefertigte Drahtkäfige werden mit Steinen befüllt und als Bollwerk gegen Blicke und Geräusche an der Grundstücksgrenze errichtet. Manche Vororte haben sich durch die Gabionen-Mode in seltsam abweisende Schauplätze verwandelt, die eher an Truppenübungsplätze als an Wohnorte erinnern.

Was die Varianten aus Holz betrifft: Man kann im Baumarkt zwar auch sogenannte Staketenzäune aus billigstem Haselnussholz und dünnem Draht kaufen, fünf Meter für 49,90 Euro. Doch das Ding sieht mit den großen Zwischenräumen zwischen den schmalen Pfählen so windig aus, dass es schon beim Anschauen auseinanderzufallen droht. Es steht zu befürchten, dass es damit so ausgeht wie in Morgensterns Gedicht: "Ein Architekt, der dieses sah / stand eines Abends plötzlich da / und nahm den Zwischenraum heraus / und baute draus ein großes Haus / Der Zaun indessen stand ganz dumm / mit Latten ohne was herum."

Nur Latten und sonst nichts? Das kommt bei Walter Rottensteiner nicht infrage. Er zeigt dem Zaungast, wie man einen blick-, hühner- und hundesicheren Speltenzaun fabriziert. Frisch geschlagene Tannen und Fichten werden entastet, entrindet und in die sogenannten Spelten gespalten, die im fertigen Zaun dicht an dicht zwischen den Pfosten aus stabilerem Lärchen- oder Kastanienholz stehen. Für das Flechtwerk werden die jungen Triebe der Nadelbäume zurechtgeschnitten, sie müssen noch saftig sein, wenn sie durchs Feuer gezogen werden. Dabei erhitzen sie sich auf über 100 Grad, früher wurde das am offenen Feuer gemacht. Rottensteiner hat dafür einen Eisenofen gebaut.

Die Tannenzweige werden erhitzt, das macht sie stabiler

Das Bauen eines Speltenzauns wirkt einfach, ist aber eine Wissenschaft für sich, die nur noch wenige beherrschen. "Zwischen Tag und Nacht wird der Pfosten angekohlt", erklärt Walter Rottensteiner. "Tag" heißt der Teil des zwei Meter langen Pfostens über der Erde, "Nacht" sind die 60 Zentimeter unter der Erde. Damit das Holz nicht so anfällig ist für Pilze und Fäulnis, wird es angebrannt und dann in den Boden gerammt. Als Querlatten verwendet man halbierte Fichten- oder Lärchenstangen. Die dünnen Tannenzweige schließlich sind noch heiß, wenn Rottensteiner sie kunstvoll um die Stangen flicht. Wenn die Zweige abkühlen, ziehen sich die Fasern zusammen und halten den Zaun erstaunlich fest zusammen, da wackelt nichts.

Was den Zaun als Misstrauensantrag angeht: Es ist schwer, mal schnell über einen Speltenzaun zu klettern. An den parallel stehenden Stangen findet man kaum Halt, die schroffen Spitzen aus splittrigem Holz sind unangenehm bis schmerzhaft. Der Zaun erfüllt seinen Zweck: Er hält Apfeldiebe, nervige Nachbarn und Rehe fern. Noch dazu sieht er viel schöner aus als ein industriell vorgefertigter Zaun aus dem Baumarkt. Und Speltenzäune halten viel länger, sagt Rottensteiner: Das Flechtwerk etwa 15 Jahre, die Stangen selbst mindestens 30 Jahre.

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