Freizeitausrüstung:Nur noch mit Einhorn und SUP

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Das schlaucht: die Isar im Sommer 2018. (Foto: Claus Schunk)

Floaten, Smoken und die Soundbox checken: Im Sommer 2018 hat die Aufrüstung auf dem Wasser und am Ufer neue Ausmaße angenommen.

Von Max Scharnigg

Der Mann hält in beiden Händen einen länglichen Sack, der die gleiche Farbe hat wie sein Gesicht: Paprikarot. Er holt Atem, dann setzt er zu einem überraschenden Sprint an, versucht mit der Öffnung der Riesentüte hektisch Luft einzufangen und gleichzeitig bei seinem Galopp über die Handtücher nicht allzu viel Schaden anzurichten. Nach zwanzig Metern ist der Typ erschöpft vom Fuchteln und der Luftsack immer noch nur mäßig gefüllt. Es ist jedenfalls nicht, wie die Werbung verspricht, im Handumdrehen ein Aufblassofa für bis zu drei Personen geworden. Na ja, nicht so schlimm. Das mit dem Wurfzelt hat dafür prima geklappt. Zum Sitzen kann man ja auch die zwei Floats (Pizzastück, Einhorn) nehmen und später zum Grillen das Schlauchboot umdrehen.

Das Lager der vierköpfigen Familie hier, am schmalen Uferstreifen des Sylvensteinsees, hat gegen elf Uhr morgens schon eine geschätzte Ausdehnung von 75 Quadratmetern erreicht. Auf ihr Streufeld wäre jeder Meteorit stolz, nur dass es aus Badesachen, Schwimmspielzeug, bunten Kühl-, Stau- und Soundboxen, diversen Matten, Helmen, Schirmen, Stühlen und Körben besteht, aus Klapprädern, einer noch gerollten Slackline und einer gespannten Plane, mit der Papa vorhin der Sonne ihre Grenzen aufgezeigt hat. Ha!

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Mit ihrer Expeditionsausrüstung fällt die Familie nicht weiter auf, obwohl der Platz hier am steilen Stauseeufer deutlich begrenzt ist. Aber niemand ist einfach nur mit einer Badetasche gekommen, an diesem achten Supersonnensamstag in Folge, im endlosen Sommer 2018. Die Badehose einpacken? Das galt früher. Heute haben alle alles dabei, am Wasser stapeln sich Kanus, SUPs und ihre jeweiligen Derivate, es tönt und grillt und blasebalgt von allen Seiten, mehrgängige Menüs werden zubereitet und auf XXL-Badematten unverdrossen Biwakplätze eingerichtet, als müsste man hier überwintern. Es herrscht Vollbeschäftigung.

Oben auf der Sylvensteinbrücke wird bis in den Abend eine sich träge stauende Karawane zu beobachten sein, die vorrangig aus Cabrios und glänzenden VW-Bussen in lustigem Bicolor-Lack mit angebauten Mountainbikes besteht, ferner aus Motorradschwadronen, Trikes, Oldtimern und anderen Spaßgefährten, dröhnenden Supersportwagen, grellen Rennradformationen und lautlos walzenden E-Bike-Gruppen. Es ist die Invasion der "Funatiker", die hier aufzieht, es wirkt, als hätte der eindrucksvolle Sommer auch die Letzten aus ihrem Alltag geschmolzen und zur Freizeitgestaltung verdammt. Vorgebliches Ziel: die schöne Natur. In Wirklichkeit wird aber ein Spielplatz gesucht, in dem man endlich den ganzen Krempel ausprobieren kann, der einem so zwischen Tchibo-Aktionswoche und Wish-App in den Warenkorb gehüpft ist.

Klar, es gab schon immer Freizeitausrüstung. Neu ist, dass jeder anscheinend mehr Ausrüstung hat, als ihm eigentlich an Freizeit zur Verfügung steht. Gefühlt war jedenfalls noch nie so viel bunter, billiger Kram am Ufer unterwegs mit Funktionen, die man eigentlich nie vermisst hat. Made in China, halbwegs kultig, vor allem aber bitte recht raumgreifend. Ein Wurfzelt, eine XXL-Luftmatratze, ein SUP-Brett, das sind ja alles große Sachen, schön viel Material - mit kurzer Halbwertszeit. Dazu kommen all die fortschrittlichen Kleinigkeiten: faltbare Leuchten, faltbare Grills, faltbare Wasserflasche und faltbares Solarmodul, um Smartphone, Go-Pro-Kamera und Soundbox aufzuladen. Die kleingeschrumpfte LED- und die Akkutechnologie der letzten Jahre hat die Mitnahmementalität noch angeheizt. Man kann jetzt wirklich alles dabei haben, was man bislang nur im Wohnzimmer stehen hatte - siehe Aufblassofa. Und man kauft diese Gadgets gerne, denn sie zahlen ja sofort in die imaginierte Lebensqualität ein, sie versprechen all die Gags aus dem Urlaub auch an einem normalen Samstag dahoam am Bach. Die Grenzen zwischen Kinder- und Erwachsenenspielzeug verschwimmen, und in einem Dauersommer wie diesem werden auch rationale Shopper irgendwann weich gekocht und rüsten auf.

Freizeit soll auch wertig sein - und auf Instagram spielbar

Vielleicht ist die Materialschlacht an Stadtstrand und Seeufer auch ein Hilferuf. Bei der ewigen Sonne halten es die Menschen nicht mehr in ihren mit Styroporplatten verklebten Häusern aus. Sie beanspruchen Lebensraum draußen - und der muss markiert und in Besitz gebracht werden, verteidigt gegen die anderen Hitzeflüchtigen. Zelt, doppeltes Hammamtuch und Feuerchen - das ist die Landnahme des kleinen Mannes. Kanu, Float und Paddelbrett erschließen danach auch dem Ungeübten die Wasseroberfläche und damit die Illusion, Abstand zwischen sich und die Masse zu bringen. Dem ein oder anderen geraten dabei die Relationen wohl aus dem Blick. Die Behörden an den Seeorten und anderen Freizeit-Hotspots in Bayern haben diesen Sommer jedenfalls vernehmbar Alarm geschlagen - so bevölkert waren Seen, Flüsse und Bäche noch nie, und die Menschen waren nie so rücksichtlos darauf versessen, ihre Freizeitvorstellung umzusetzen. Da fällt einer den Baum, an dem der andere gerade seine Balancierleine befestigt hat und der dritte Pfifferlinge sucht.

Ohne in Heinz-Erhardt-Romantik floaten zu wollen, aber früher erwanderte man sich mit Apfel im Rucksack den idyllischen Gumpen. Heute werden Mautstraßen und Rettungswege luftdicht zugeparkt, um mit der Geländekutsche möglichst nah an die Freizeitlounge am Ufer zu kommen.

Jeder klumpt und patchworkt zu zwölft im Naturschutzgebiet herum, das Ufer ist die erweiterte WG-Küche und wird wie selbstverständlich tagelang annektiert. Aber die Kofferräume sind eben groß, die Angst vor Langeweile auch. Deswegen wird alles mitgenommen, was Zerstreuung verspricht, plus einen Kasten Craft Beer, weil Freizeit eben auch wertig sein soll - und auf Instagram spielbar. Hat ja schon einen Reiz, den teuren VW-Bully in naturnaher Kulisse zu zeigen, mit herausquellenden Rädern, Freunden, Helmen und Paddeln wie in den Hochglanzanzeigen. Man muss an so einem Samstag am Fluss mehrere Sportarten machen (Suppen, Mountainbike, Yoga, Volleyball, Bouldern etc.), genau wie mehrere Arten des Feuerns am See dazugehören (Grill, Smoker, später Feuerschale plus LED-Lampionkette plus fliegende Laterne). Der urbane Aktivitätszwang gentrifiziert die Natur. Puh, der Sommer war lang.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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