Fashion Week Paris:Herrlich obszön

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Gefiederte Hüte im Stil der Jahrhundertwende, ein Bergwerk auf der Bühne, eine nostalgische Bahnhofshalle mitten auf dem Laufsteg: Für die Pariser Fashion Week überbieten sich Designer gegenseitig in Prunk und Opulenz. Das Wunderbare daran: Man kann diesen Luxus obszön finden - und ihm gleichzeitig erliegen.

Tanja Rest

Für den zweiten Teil der Modewoche werden in Paris noch einmal die Schubraketen gezündet. Es zeigen die beiden Giganten Chanel und Louis Vuitton, Vogue-Chefin Anna Wintour ist eingetroffen, und in ihrem Kielwasser: die Celebritys. Für die sich aber keiner interessiert. Wirklich nicht, Ehrenwort! Hier ein abgelauschter Dialog zweier Modedamen: "Hast du Paul McCartney bei Stella gesehen?" - "Turnschuhe zum Zweireiher, ging irgendwie gar nicht. Aber hast du Tilda Swinton bei Haider Ackermann gesehen?" - "Ist sie nicht göttlich?!" Eben. Die Mode, besagt ein Dogma, ist größer als die Stars - aber dann schauen halt doch alle gebannt hin.

Auch die Models sind Stars, bloß kennt keiner ihren Namen. Nach der Schau, wenn der hektische Modetross längst weitergaloppiert ist, treten sie in Ugg-Boots aufs Pariser Pflaster und posieren für die Blogger. Die Models haben ausnahmslos müde, durchscheinend blasse Gesichter und sind dünn wie Mikados. Ein einziges verschlucktes M&M, und sie hätten einen Babybauch.

Pilatis Endspiel: Dominamäntel und Lederblazer

Doch zurück zur Mode. Egal, wen man in diesen Tagen zum Rausschmiss von Stefano Pilati befragte, die Antwort war stets die gleiche: Keiner hat so wirklich kapiert, was der Mann in seinen sieben Jahren bei Yves Saint Laurent eigentlich wollte. Als die Abschiedsvorstellung naht, sind aber trotzdem alle très désolés und auf stehende Ovationen gebürstet. Pilatis Endspiel bei YSL sieht dann so aus . . ., als ob er es geahnt hätte. Martialische Dominamäntel und Lederblazer mit breiten Schultern zur Wespentaille; schmale, nahezu schmucklose Kleider - und blutrot lackierte Lippen. Die Kollektion kommt fast ganz in Schwarz (Farbe war nie ein Werkzeug dieses Meisters), der Gesamteindruck ist so kraftvoll wie düster. Stehende Ovationen. Besonders eifrig klatschen Schauspielerin Salma Hayek und ihr Ehemann Francois-Henri Pinault, Chef der Luxusgruppe PPR. Pilatis zukünftiger Ex-Boss. Nun soll wie erwartet Hedi Slimane übernehmen, seit Mittwoch ist es offiziell.

Überall ist die Klage zu hören, dass die feinnervigen Kreativchefs nur noch Nebenfiguren sind im Milliardenpoker gieriger CEOs, "die zuvor mit Eiscreme, Joghurt oder anderer Massenware ihr Geld verdient haben", wie die Kritikerin Suzy Menkes in der Herald Tribune schimpfte. Mag sein. Aber da gibt es ja noch Karl Lagerfeld: Bei dem haben sich Profit und Phantasie immer bestens vertragen.

Das Grand Palais am Dienstagmorgen, alles schmeißt sich mächtig ins Zeug. Sängerin Alicia Keys trägt auf ihrer Stirn ein Amulett spazieren, Schauspielerin Virginie Ledoyen (aus "The Beach") zeigt ihren pariserischsten Schmollmund. In der Front Row sitzt die amerikanische Pop-Lolita Katy Perry, sehr kleines Schwarzes, Filzhut, blaue Haare, neben Lagerfelds bevorzugtem Beau Baptiste Giabiconi. Die beiden haben sich erkennbar wenig zu sagen, und da kann man ja mal fragen: Katy, was bedeutet Ihnen Chanel? Sie schaut wie eine Matheschülerin, die auf Zuruf die Quadratwurzel aus 729 ziehen soll, und sagt schließlich: "Chanel ist für mich ein Synonym für alles Großartige." Der Beginn der Schau rettet sie.

Willkommen in Chanels Bergwerk

In einer Welt von kristalliner Kälte braucht die Frau Schutz, so sieht es Karl der Große. Der Boden der gewaltigen Halle ist mit Schutter bestreut, meterhohe silbern und violett schimmernde Mineralien brechen daraus empor, metallische Beats hämmern los: Willkommen in Chanels Bergwerk. Die Kristalle sind tatsächlich überall. Sie funkeln auf Krägen und Schultern, sie säumen die typischen Mäntel und Kostüme, umschließen Arme, und sie panzern, aus verschiedenfarbigen Platten zu großen Prismen zusammengesetzt, die Brustpartie wie ein Harnisch in der Schlacht. Es wird eine kühle, glitzernde Show.

Wie wird sie also, die Mode des nächsten Winters? Wie so oft in Zeiten der Krise haben einige Designer Trost in der Vergangenheit gesucht, Roland Mouret etwa oder Andrew GN oder Bill Gaytton für Dior und sein Zweitlabel Galliano; Vivienne Westwood ist sicherheitshalber gleich in die Zeit von Queen Victoria geflohen. Aber das ist nicht die Antwort auf die Frage. Denn die lautet mehrheitlich: Die Mode wird erwachsen.

Mit John Gallianos Abgang bei Dior ist auch der Romantiklook verschwunden. Volants, Schleifen, Rüschen, der ganze puppenhafte Flitterkram hat vorerst Pause. Viele Häuser hofieren die selbständige, moderne Frau, die morgens weder Zeit noch Lust hat, sich langatmig herauszuputzen - mit ein paar kapriziöseren Optionen für den Abend. Lanvin, Céline und Stella McCartney sind Vorreiter dieses Trends. Sie zeigen klare, fokussierte Silhouetten, mit einigen Akzenten auf Schultern, Ärmeln und Taille.

Die Taille rutscht wieder in die Mitte, der Hintern wächst

Apropos. Die Taille, die zuletzt noch auf den Hüften schaukelte oder unterm Busen klemmte, rutscht wieder dorthin, wo sie hingehört. In die Mitte. Dort wird sie von einem breiten Gürtel noch betont, ganz gleichgültig ob zu Kleidern, Pullovern oder Mänteln. Bei Hosen bedeutet das leider auch: Der Hintern wächst. Der Rocksaum pendelt sich recht züchtig auf Kniehöhe ein, übertriebene Sexyness ist von vorgestern. Auf vielen Laufstegen sieht man Capes, Yves Saint Laurents Damensmoking feiert ein Comeback, wie auch der Plisseerock - der allerdings die Frage aufwirft, wer einem nach einmal Waschen all die schönen Falten wieder hineinbügelt. Und: Die Farben waren wunderschön. Bei Haider Ackermann. Bei Akris. Bei Dries van Noten oder Talbot Runhof, dem Designer-Duo aus München. Es sind die Farben des Herbstes - Orange, Rubinrot, Ocker, Flaschengrün -, die ein dunkler Untergrund zum Leuchten bringt wie Edelsteine in den Auslagen beim Juwelier.

So weit, so vorläufig. Denn dies ist erst der Stand von Mittwochmorgen, bevor der Fashion Express von Marc Jacobs durch die Stadt gerollt ist. Jacobs ist der Mann, dem man zutraut, dass er die ganze Modewoche am letzten Tag noch einmal auf den Kopf stellt. Er ist der einzige verbliebene Superstar-Designer, dessen Name ähnlich hell strahlt wie die Marke. Im Pariser Musée les Arts Décoratifs eröffnet am Freitag eine Ausstellung, die sich nur mit seinem Schaffen für Louis Vuitton beschäftigt. Nicht, dass es der Auffrischung bedürfte. Jacobs' Defilees sind wie Post-its fürs Hirn - sie bleiben kleben.

Viele Millionen für 15 Minuten Show

Im Cour Carrée du Louvre ist eine nostalgische Bahnhofshalle aufgebaut. Eiserne Rundbögen, Schienen, an der Decke hängt die Uhr. In Reihe eins sitzt dies-mal die große Catherine Deneuve, neben ihr fotografiert Sarah Jessica Parker aber doch lieber sich selbst. Als der Zeiger der Bahnhofsuhr auf vier Minuten nach zehn rückt, wird es dunkel. Ein eisernes Tor öffnet sich, dahinter Zischen und rhythmisches Stampfen, Rauch steigt auf. Herein rollt eine Dampflok mit blau schimmerndem Kessel und goldfarbenen Beschlägen, die einen golden beleuchteten Speisewagen zieht, in dem die Models sitzen wie Erscheinungen aus einem Klimt-Gemälde. Das ist der Moment, als all die distinguierten Modeleute sehr unfein zu kreischen beginnen.

Wie viele Millionen hat diese Show wohl gekostet? Dabei dauert sie keine 15 Minuten. Zu wenig Zeit, um all das zu fassen: die Models, wie sie ihre Koffer und Täschchen aus dem Waggon reichen; die livrierten Gepäckträger, die sie in Empfang nehmen. Die gefiederten Jahrhundertwende-Hüte. Die steifen Mäntel in A-Linie, mit riesigen Glitzerknöpfen. Die Leder-Patchworks und Metallicstoffe und flackernden Sixties-Muster. Die über und über mit Garn, Strass und Ziersteinen bestickten Oberflächen.

Es ist eine Sache, ob man diese überladenen, sperrigen und sicher kiloschweren Kleider tragen möchte. Es ist eine andere Sache, ihre Opulenz und schiere Unvernunft zu bewundern. Man kann diesen Prunk obszön finden und ihm gleichzeitig erliegen. Mode, sagt jedenfalls Marc Jacobs, so leicht und praktisch kommst du mir nicht davon!

© SZ vom 08.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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