Eigener Herd:Der goldene Schnitt

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Köstlich knusprig: Hasselback Potatoes werden auf der Oberseite fächerförmig aufgeschnitten und erinnern ein wenig an Blätterteigteilchen. (Foto: Cavan Images/imago images)

Eine Ofenkartoffel ist an sich schon etwas Wunderbares. Wer sie vor dem Garen noch fächerförmig aufschneidet, hat eine schwedische Hasselback Potato. Würzig, cremig, knusprig - kurzum: die Königin des Comfort Food.

Von Marten Rolff

Die Deutschen essen gerne deftig. Wir leben immer noch in einem Land, in dem Braten und Würste heilig sind, das Seitan-Schnitzel als wichtigstes Gericht für Veganer gilt und nicht nur der Sommer eine einzige Grillparty ist. Da erscheint es dann doch seltsam, dass ausgerechnet etwas so Herzhaftes wie die Ofen- (oder Grill-) Kartoffel bei uns kaum eine Rolle spielt.

Die Ofenkartoffel ist bestes Comfort Food, innen cremig bis fluffig, außen fest bis knusprig geröstet. Spanische Forschungsreisende, die als erste Europäer vor ungefähr 500 Jahren in Kolumbien Kartoffeln kennenlernten, nannten sie Erdtrüffel, wegen ihrer trüffelähnlichen Aromen. Und kaum eine Zubereitung hebt alle geschmacklichen Vorzüge der Knolle - sahnig, buttrig, erdig, nussig - so perfekt hervor wie das Backen oder Grillen im ungeschälten Ganzen.

Für solche Loblieder braucht man übrigens nicht die Kochbücher texanischer Grilltempel zu wälzen. Man kann sie auch bei Yotam Ottolenghi nachlesen. Kaum einer kann sich mitreißender für den Zauber einer simplen, inmitten glühender Holzkohlen gegarten Kartoffel begeistern, wobei der britisch-israelische Koch gleich ein paar köstliche Kindheitserinnerungen einrührt. Zum Vergleich: Im wohl meistbeachteten deutschen Kartoffelkochbuch der letzten Jahre - "Rezepte mit Kartoffeln" des Münchner Viktualienmarkthändlers Caspar Plautz (ein Pseudonym) - nehmen die Erklärungen zur Ofenvariante weniger Raum ein als das (sonst durchaus passable) Rezept für "frittierte Kartoffelschalen mit Kumquat-Mayonnaise und Senfkaviar", nun denn.

Die beste Kartoffel für Fritten? Mayan Gold!

Immerhin gibt das Buch Sortenempfehlungen für Ofenkartoffeln: "Bintje", "Agria" oder "Colomba", eher dickschalige und mehlig- oder mindestens vorwiegend festkochende Sorten, die bei 200 Grad (Umluft) für eine Stunde gegart werden. Das ist nur eine Faustregel, aber schon mehr Information als andere Kochbücher liefern. Am Plautz-Stand am Viktualienmarkt wird für den Ofen derzeit die "Agata" empfohlen, eine sehr gelbe, wohlschmeckende, relativ große Allzweckwaffe mit geringem Stärkegehalt. Dazu gibt es den Tipp, dass sich auch festkochende Sorten gut für den Ofen eignen, am Ende sei das "Geschmackssache". Doch wer zum Beispiel die cremige, zart rosèfarbene Gourmet-Kartoffel "King Edward" oder die tiefgoldene "Mayan Gold" findet, sollte zuschlagen; diese (seltenen) Sorten sind toll zum Backen oder Grillen. Aus "Mayan Gold" lassen sich auch unschlagbare Fritten machen.

Hat man seine persönliche Lieblingssorte ergattert, findet man das beste Rezept weder in den Südstaaten noch in England, sondern in Schweden. Von dort stammt die Hasselback Potato (oder Potato à la Hasselbacken), die Königin aller Ofenkartoffeln, die zwar im Ganzen gegart, aber vor dem Backen fächerförmig aufgeschnitten wird (auch Fächerkartoffel), weshalb Butter, Öl oder Würzmischungen aller Art aufs Herrlichste einziehen und sich am Ende eine süchtig machende Mischung aus Würze, Cremig- und Knusprigkeit ergibt. Im Idealfall erinnert die gegarte Kartoffel an ein appetitlich wellenförmiges Blätterteigteilchen.

Benannt ist sie nach dem Hotel (und Restaurant) Hasselbacken in Stockholm, das seinen Legendenstatus auch der Tatsache verdankt, dass seine Geschichte bis ins Jahr 1748 zurückreicht und es seither beachtliche sieben Mal abbrannte. Berühmt ist das Hasselbacken auch für rauschende Upperclass-Partys und für seinen neuen Besitzer - 2019 erwarb Björn Ulvaeus von Abba das Hotel. Und eben für die Hasselback-Kartoffel, erfunden bereits 1953 vom Kochschüler Leif Elisson, dem die Marketingabteilung des Hotels hoffentlich ein Denkmal gesetzt hat. Schließlich gibt es bis heute kaum einen Koch ohne eigene Hasselback-Variante. Ob Ottolenghi, der die Kartoffeln mit Anchovis, Knoblauch, Schalotten, frischen Kräutern und Zitronenzesten adelt (eher aufwendig). Oder Steffen Henssler, der auf viel Öl, Butterberge, Frischkäse und Parmesan setzt und so jeder einzelnen Knolle gefühlte 1500 Kalorien einprügelt (gewichtig).

Besonders gut ist ein Rezept von Jamie Oliver

Für die Grundtechnik pro Person eine eher große, längliche Kartoffel ungeschält waschen, trocknen und auf ein Brett zwischen zwei gleich hohe Kochlöffelstiele (oder Ähnliches) legen. Nun der Breite nach im Abstand von jeweils 4 bis 5 Millimeter einschneiden, wobei die Stiele als Sperre für das Messer dienen, damit die Kartoffel auf der Unterseite intakt bleibt und die Streifen nicht auseinanderfallen. Am Ende die Einschnitte oben leicht auseinanderklappen, damit die Gewürze besser einziehen. Dann die Kartoffeln auf Backpapier in ein tiefes Blech legen, der Ofen sollte auf 180 bis 200 Grad Umluft vorgeheizt sein. Ab nun beginnt die Kür.

Am einfachsten ist es, die Kartoffeln ordentlich mit Olivenöl einzupinseln, zu salzen und sie dann für 45 Minuten zu backen (Backzeit variiert nach Sorte und Größe). Unterdessen pro Kartoffel mindestens 25 Gramm weiche Butter (üppig schmeckt hier natürlich besonders gut) mit Gewürzen (zum Beispiel getrocknete Kräuter der Provence), etwas Meersalz und Pfeffer mischen und so auf den Kartoffeln verteilen, dass die Butter im Ofen in die Spalten läuft, eventuell die Zwischenräume mit einer Messerspitze noch einmal vorsichtig weiten. Nun gute 15 Minuten fertig backen und mit Sauerrahm oder Kräuterquark servieren.

Der britische Koch Jamie Oliver verrührt das Olivenöl mit viel frischem, im Mörser zerstoßenem Thymian (auch Rosmarin oder Bio-Zitronenabrieb sind gut) und lässt dafür die Kräuter in der Butter weg. Am Ende gart Oliver ein Topping aus Brot, Haselnüssen und Hartkäse mit (im Verhältnis 1:1:1 in der Küchenmaschine zu groben Streuseln mahlen). Steffen Henssler nutzt für die letzten 15 Minuten den Grill, das macht die Kartoffel noch knuspriger. Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt, ob mit Käse-, Tomatenscheiben, Feta oder Knoblauch in den Zwischenräumen, ob mit Kreuzkümmel, Paprikapulver oder Chili, ob mit Champignon-, Speck- oder Parmesan-Topping.

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