China:Kartoffel süß-sauer

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Ein chinesischer Kartoffelbauer bei der Arbeit. Seine Erdäpfel kriegt er kaum los. Die Anbauflächen will die Regierung dennoch verdoppeln lassen. (Foto: AFP)

Gut gegen Tränensäcke? Oder schlecht für die Verdauung? Die Regierung in Peking möchte die "Überseeknolle" bei der Bevölkerung beliebter machen. Doch den landwirtschaftlichen Vorteilen der Kartoffel stehen ernste kulinarische Bedenken gegenüber.

Von Kai Strittmatter

Es ist nicht so, als ob die Chinesen nur Reis äßen. Im Gegenteil. Dieses Volk ist in seinen nördlichen Gefilden nicht nur ein großer Liebhaber, sondern auch ein noch größerer Meister der Nudelküche. In Provinzen wie Shanxi und Shaanxi, und überhaupt in sämtlichen Gegenden Richtung Seidenstraße wird der Nudelteig mit einer solchen Leidenschaft geschlagen, geknetet, gezogen und gewirbelt, dass einem schwindelig wird und selbst durchreisenden Italienern das Gerücht einleuchtet, wonach Marco Polo die Nudel einst den Chinesen klaute und den Seinen zur Nachahmung servierte. Nur mit der Kartoffel wollten sich die Chinesen nie so richtig anfreunden. Da fremdeln sie bis heute.

Das soll sich nun ändern. Chinas Regierung hat die Kartoffel als strategische Knolle entdeckt und vor ein paar Tagen - nicht zum ersten Mal - eine Kartoffeloffensive ausgerufen. Das Ziel ist ehrgeizig: Die Chinesen sollen Kartoffelesser werden. Die Kartoffel soll diesem Volk endlich Grundnahrungsmittel werden. Und egal, ob man diesen Schritt nun aus kulinarischer Sicht als Beförderung oder als Degradierung wertet, es wäre nicht weniger als eine kleine kulturelle Revolution. Eine Umsetzung der Regierungspläne hieße, dass die Anbaufläche für Kartoffeln in China sich von momentan 5,3 Millionen Hektar demnächst verdoppelte. Gleichzeitig soll sich der Ertrag pro Hektar ebenfalls verdoppeln, auf dann 30 Tonnen.

"Als Grundnahrungsmittel bin ich echt toll", wirbt eine Zeitung

Peking hat seine Gründe. China muss ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren mit nur einem Zehntel des weltweit verfügbaren Ackerlandes. Und die Bevölkerung wächst weiter. Schätzungen zufolge muss China bis 2030 - dann soll es 1,5 Milliarden Chinesen geben - 100 Millionen Tonnen Nahrungsmittel zusätzlich im Jahr produzieren. Gleichzeitig lässt die rasante Urbanisierung des Landes das Ackerland schrumpfen. Und Wasser hat China schon heute viel zu wenig. Reis und Weizen aber brauchen Wasser, viel mehr als die Kartoffel, die gleichzeitig noch mehr Kalorien pro Hektar abwirft.

Aber die ist eben unbeliebt im Volk. An der fehlenden Neugier kann es nicht liegen. Dass der Bauer nicht frisst, was er nicht kennt, mag für die deutsche Provinz gelten, die chinesischen Bauern empfingen meist mit offenen Armen, was der Zeitgeist und der Weltenwind bei ihnen auf dem Acker ablud. Das gebot allein schon der Hunger, der sie über die Jahrtausende so regelmäßig heimsuchte, dass sie dankbar alles aßen, was sie in die Finger bekamen. Als zu Beginn des 17. Jahrhunderts die beginnende Globalisierung in Gestalt portugiesischer Handelsschiffe die Früchte der Neuen Welt nach China trug, da fanden mit der gewöhnlichen Speisekartoffel auch die Süßkartoffel, der Mais, die Erdnuss und der Chili den Eingang in die chinesische Küche. Und bemerkenswerterweise machten sie dort alle eine solch steile Karriere, dass sie in vielen Regionen bald kaum mehr aus dem Speiseplan wegzudenken waren. Bis auf die Kartoffel.

Die Kartoffel hat wenig Fans, aber viele Namen

Die beschied sich mit einer Randexistenz. Mancherorts brachte sie es zu einer gewissen Lokalprominenz, in jenen rauen Gegenden des Nordens etwa, in deren Böden einfach nichts anderes wuchs. Oder in den Randprovinzen Sichuan und Yunnan, wo französische Missionare im 18. und 19. Jahrhundert den katholischen Glauben einzupflanzen suchten, am Ende aber vor allem die Kartoffel hinterließen. Dort findet man noch heute einige der interessantesten Kartoffelgerichte: phantasievoll zubereiteten Kartoffelbrei, mal gemischt mit Tomate, Knoblauch und Chili, mal gewürzt mit dem Eigelb eines gesalzenen Enteneis. Oder jene im Wok zum knusprigen Fladen gebratenen Kartoffelschnitze, von Schweizer Rösti kaum zu unterscheiden. Im Rest des Landes aber ist sie eher der Farbtupfer auf der Speisekarte, den allerdings auch keiner vermisst, wenn er fehlt.

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Vor allem ist die Kartoffel in China eines nicht: Sättigungsbeilage und Grundnahrungsmittel. Überall in China trägt sie einen anderen Namen, etwa "Erdei" in Shandong oder "Überseeknolle" im Nordwesten, landesweit durchgesetzt haben sich die Begriffe "Erdbohne", tudou, und "Pferdeglockenknolle", malingshu. Aber wie auch immer sie heißt: Für Chinesen ist sie bis heute eine Gemüsebeilage. Und egal, ob als Rösti oder Brei, ob in dünnen Streifen mit Essig und frischen Chilis sauer-scharf angemacht oder mit Aubergine und Paprika zur Trikolore vereint in dem Nordost-Klassiker "Die drei Frischen aus der Erde" ( di san xian) - es wird natürlich stets noch Reis dazu gegessen. Die Kartoffel spielt also bislang in einer völlig anderen Liga als der Reis, die Nudel und auch der Mais, der vielerorts zu gedämpften Brötchen verarbeitet wird.

Doch das Landwirtschaftsministerium schwärmt dem Land nun vor von der Knolle, die auch in den kärgsten Böden des Nordens wachse und die sich in den Reisfeldern des Südens zwischen zwei Pflanzzyklen als Zusatzernte einschieben lasse. Die Staatsmedien flankieren die Offensive mit farbiger Kartoffelpropaganda: leicht anzubauen, gut zu lagern, wohlschmeckend und ein Schlankmacher dazu. Der Staatssender CCTV wartete mit neuen Rezepten auf, statt "Gongbao-Hühnchen" gab's dort diese Woche "Gongbao-Kartoffel", ansonsten wie gewohnt mit getrockneten Chilis und Erdnüssen. Die Pekinger Morgenzeitung ließ sich am Mittwoch von einer Kartoffel die Überschrift diktieren: "Als Grundnahrungsmittel bin ich echt toll". Und die Chengduer Abendzeitung wartete mit der guten Nachricht auf, regelmäßiger Genuss der Kartoffel beuge nicht nur Bluthochdruck vor, man könne sich mit gekochten Kartoffelscheiben sogar seine Tränensäcke schönschmirgeln.

Ob's klappt? Mit der Einstufung als Grundnahrungsmittel durch die Regierung käme die Kartoffel in den Vorzug diverser Marktprivilegien. Trotzdem bleiben einige skeptisch. Erstaunlicherweise sogar Kartoffelbauern selbst.

Eine Karriere steht der Kartoffel höchstens undercover bevor

In Hebei, im Kreis Wenchang, sagt Kartoffelbauer Qu gar, wenn der Staat wirklich den Kartoffelanbau wie geplant ausweite, dann werde er aussteigen: "Die Preise sind am Boden. Es gibt jetzt schon ein Überangebot. Wir verdienen kaum etwas", sagte er der SZ. Es fehlt also noch an der Nachfrage. In Chinas sozialen Medien machen sich viele lustig über den Vorstoß. Ein Nutzer argumentierte, die Kartoffel sei schlecht zu verdauen und produziere zu viele Gase, seine Schlussfolgerung: "Verhindert die Eroberung der Menschheit durch die Kartoffel".

Auch die Regierung selbst hat so ihre Zweifel, ob sie ihre Bürger wirklich zum direkten Kartoffelkonsum verführen kann. Der Direktor der Nationalen Entwicklungs- und Reformkomission, Xu Shaoshi, erklärte deshalb, man werde all die zusätzlichen Kartoffeln wohl weiterverarbeiten, zu gedämpften Brötchen und Nudeln etwa, sie also erst einmal quasi in Verkleidung dem Volk unterschieben.

© SZ vom 15.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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