Masken und Mode:Die Corona-Cowboys kommen

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Bandanas haben eine lange Tradition, nicht nur bei Lucky Luke, schwulen Männern und Banden. Nun sind die Tücher mit dem Paisleymuster wieder in: als Maske.

Von Jan Kedves

Die Welt braucht Stoff, und zwar umso mehr davon, seit Mund-Nasen-Bedeckungen aufgrund der Corona-Pandemie zur täglichen Garderobe und zum anständigen Miteinander dazugehören. Wer sich umsieht, wird häufig dieses ziselierte Muster auf Baumwollmasken erkennen: weiße Linien, die so wirken, als hätte man Blümchenzeichnungen und Gewächse, die vielleicht so etwas wie große keimende Bohnen darstellen, und zwar sehr viele davon, mit Mandelbrot-Fraktalen gekreuzt. Das Muster heißt "Paisley" und das dazugehörige, quadratische Baumwolltüchlein: Bandana.

Dass dieses Tüchlein in Rot, Blau, Lila, Schwarz und vielen anderen Farben gerade als improvisierter, im Nacken zusammengeknoteter Corona-Schutz dient, beziehungsweise dass es sich mithilfe einer Nasenschiene und Gummibändern auch schnell zur sogenannten Community-Maske umschneidern lässt, ist nur die neueste Entwicklung in der vielseitigen Laufbahn dieses Accessoires. Wo genau sie begonnen hat, dazu später, zunächst einige Stationen, die das Tuch auf seinem Weg abgehakt hat: Schottland, Lucky Luke, schwule Männer, Gangs in Los Angeles. Letztere, die Crips und die Bloods, sind seit langer Zeit verfeindet. Als Erkennungszeichen tragen sie Bandanas in unterschiedlichen Farben.

Die Symbolsprache der Bandanas

Die Mitglieder der Crips erkennt man an ihren blauen Bandanas. Sie wickeln sie sich um den Kopf oder ziehen sie über Mund und Nase. Die Bloods tragen, der Gang-Name deutet es an, rote. Rot wie Blut. Den Look kennt man vom legendären Rapper Tupac Shakur alias 2Pac, dessen Videos in den Neunzigerjahren auf MTV in heavy rotation liefen. Shakur stammte aus New York, lebte aber seit 1993 in Los Angeles. Er band sich seine Bandanas meist so um den Kopf, dass die Schleife vorne auf der Stirn saß - was noch mal viel cooler aussah, als wenn man sich seine Baseballkappe verkehrt herum auf den Kopf setzt, mit dem Schirm nach hinten. 2Pac besaß Bandanas in allen Farben, in Rot, Blau, Weiß. Vermutlich wollte er sich bei den Gang-Rivalitäten von Los Angeles auf keine Seite schlagen. Vielleicht wollte er mit Weiß auch für Frieden in der Stadt werben.

Eine starke sexuelle Symbolik haben Bandanas, seit schwule Männer in den Siebzigerjahren in den USA auf die Idee kamen, mit den Tüchern ihre Präferenzen zu signalisieren. Der sogenannte hanky code (hanky ist im Amerikanischen die Abkürzung für handkerchief, also: Taschentuch) stammt aus der Zeit vor dem Online-Dating, als man noch nicht per Mausklick zum Partner mit kompatiblen Interessen kam. Nicht Eingeweihte mochten sich damals fragen, warum Männer in New York und San Francisco plötzlich so viele Tücher in die Hintertaschen ihrer Jeans steckten. Hellblau heißt im hanky code "Stehe auf Oralsex", Schwarz heißt "Stehe auf S&M". Steckt das Tuch in der linken Po-Tasche, bedeutet das "Bin gerne aktiv", steckt es rechts: "Bin gerne passiv". Orange steht für "Mache alles", womit wohl auch egal wäre, auf welcher Seite das Tuch steckt.

Wie kamen die Schwulen auf Bandanas? Wahrscheinlich spielte eine Rolle, dass der Cowboy so eine sexy Figur sein kann. Denkt man zum Beispiel an die großen Helden aus der Historie der Western-Unterhaltung, an John Wayne und Gary Cooper, tragen die fast immer ein Bandana um den Hals. Das sieht nicht nur gut aus, sondern schützt auch gut vor Sand und Staub, wenn sich der Cowboy beim Ritt durch die Prärie das Tuch über die Nase zieht. Vielleicht wollte er auch mal nicht erkannt werden, wenn er - wie Lucky Luke - mal wieder seinen Colt schneller als sein eigener Schatten gezogen und im Saloon für Ordnung gesorgt hatte?

Wobei noch nicht die Frage geklärt ist, wie das Bandana überhaupt in den Wilden Westen kam, und auch nicht jene, warum es heute in der teuersten Mode so beliebt ist. Das Wort Bandana wird auf die Worte "badhnati" (aus dem Sanskrit) oder "bandhu" (aus dem Hindi) zurückgeführt, die Quellen sind sich nicht ganz einig. In beiden Fällen bedeutet es so viel wie "binden". Wie diese Worte gelangte auch das Muster, das heute mit dem Bandana assoziiert wird, im 18. Jahrhundert über koloniale Handelswege ins damalige Königreich Großbritannien. In der Stadt Paisley im Westen Schottlands begann man, quadratische Baumwolltücher mit diesen Ornamenten zu bedrucken. Ursprünglich stammten sie aus Kaschmir, aus einer Zeit, als die Region unter einem starken Einfluss des Persischen Reiches stand. Die Formen, die aussehen wie keimende Bohnen, symbolisieren traditionell Zypressen, Pinienzapfen oder Tränen - auch zu den Mustern gibt es unterschiedliche Quellen. Man hat es hier jedenfalls mit einer frühen Form dessen zu tun, was heute kulturelle Aneignung genannt würde. Immerhin heißt das Muster eben heute Paisley-Muster und nicht Kaschmir-Pinienzapfen-Muster oder ähnlich.

40 000 Dollar für eine Tasche mit Paisleymuster

Über die Kolonialmacht Großbritannien kam das Bandana dann wahrscheinlich nach Nordamerika. Es ist ein kolonial sowie sub- und popkulturell hoch aufgeladenes Stück Stoff. Dass es in der Mode der vergangenen Jahre - schon vor Corona - omnipräsent war, liegt daran, dass die Mode sich vermeintlich niederer Kleidungsstile gerne annimmt, sie luxurisiert. So sorgt etwa der in Hongkong lebende, aus Belgien stammende Jonathan Riss alias Jay Ahr seit einer Weile für großes Staunen. Er veredelt gebrauchte Hermès-Handtaschen komplett mit Paisley-Ornamenten, mit offizieller Billigung durch Hermès. Exemplare seiner Vintage-Birkin-Bandana-Bags sind schon in die Schränke von Kim Kardashian und Cardi B gewandert. Für etwa 40 000 Dollar das Stück.

Gerade junge Leute tragen lieber Paisleymuster vor der Nase als eintönigen Stoff. (Foto: imago stock/imago images/ZUMA Wire)

Ein bisschen billiger geht es auch: In den Sommerkollektionen dieses Jahres gab es von Dolce & Gabbana Schwimmshorts im Bandana-Look für Männer oder von Saint Laurent Damensandalen zum Wickeln mit Bandana-Stoff. Nicht zu vergessen: japanische Marken wie Kapital, Visvim, Sacai oder Kolor. Sie alle bieten Pullis, Jacken und Hemden in raffiniert gepatchworkten Bandana-Kombinationen an. Das passt zu der in Japan stark ausgeprägten, ziemlich nerdhaften Faszination für alle Elemente US-amerikanischer Workwear. Nicht umsonst kommen auch die besten, extrem veredelten Denim- und Jeans-Interpretationen aus Japan.

Das heißt: Es gibt nun eben, neben japanischen Bandana-Bomberjacken und Bandana-Handtaschen zum Preis eines Mittelklassewagens, auch Mund-Nasen-Bedeckungen aus Bandana-Stoff. Das hat schon fast seine eigene Poesie: Welches Textil könnte sich symbolisch besser dazu eignen, ein global grassierendes Virus einzudämmen, als dieses Tuch, das selbst vollständig globalisiert ist, beziehungsweise das eines der frühesten Produkte der Globalisierung war, im 18. Jahrhundert, als es das Wort Globalisierung noch gar nicht gab?

Aber Achtung: Wenn man ein Bandana als Corona-Schutz trägt, sollte man mehrere Schichten übereinanderfalten. Ein oder zwei Baumwolllagen helfen wenig gegen das Virus. Natürlich lässt sich auch eine Schutzmaske gemäß der FFP-Norm, so wie man sie in der Apotheke bekommt, gut unter einem Bandana verstecken.

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