Zum Tod von Wolfram Wuttke:Genie und Wurschtel

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"Zauberer am Ball" und "Gassenjunge im Kopf": Wolfram Wuttke. (Foto: imago/Horstmüller)

Ernst Happel zerbrach sich über ihn den Kopf, die Presse nannte ihn "Wolfram Wahnsinn", schon als Profi galt er als tragische Figur: Zum Tod von Wolfram Wuttke - einem Fußballer, der heute schlicht nicht mehr denkbar ist.

Von Philipp Selldorf

Über Wolfram Wuttke hat Ernst Happel mal gesagt, er sei "heute ein Genie und morgen ein Wurschtel", und bei anderer Gelegenheit befand er, dass dieser unbeherrschbare Mensch zwar ein "Zauberer am Ball" sei, aber auch "ein Gassenjunge im Kopf". Wuttke fand dieses Urteil "gar nicht mal so übel", das hat er aber leider erst Jahre später eingeräumt. In Hamburg war ihm seinerzeit die Erkenntnis noch nicht gekommen.

Sein Förderer Happel verlor auf Dauer die Geduld mit seinem Schüler, den er bald "eine Biene" nannte, "die keinen Honig gibt". Da hatte er ihn schließlich rauswerfen lassen nach mehr als zwei gemeinsamen Jahren beim Hamburger SV. Der Spiegel schrieb, das Verhältnis zwischen dem genialen Trainer und dem teilzeitgenialen Spieler sei das eines "gekränkten Liebhabers, dem die Geliebte auf der Nase rumtanzt". Angeblich sammelte der strenge Coach den unsteten Profi einmal persönlich mit dem Motorrad ein, nachdem sich dieser bei einem Waldlauf verirrt hatte.

Früherer Fußball-Nationalspieler
:Wolfram Wuttke mit 53 Jahren gestorben

Er spielte für fünf Erstligisten und die deutsche Nationalmannschaft, nun ist der frühere Fußballprofi Wolfram Wuttke gestorben. Er galt lange als eines der größten deutschen Talente.

Geeignet für ein nostalgisches Seufzen

In der Nacht zum Sonntag ist Wolfram Wuttke im Alter von 53 Jahren in einer Klinik in Lünen/Westfalen gestorben, laut Bild an multiplem Organversagen in Folge einer Leberzirrhose. Trauermeldungen verbreiteten am Sonntag unter anderem seine früheren Klubs: der 1. FC Kaiserslautern, bei dem Wuttke von 1985 bis 1989 seine Außenristpässe zum Markenzeichen machte und seine erfolgreichste Zeit als Bundesligaprofi erlebte; Schalke 04, wo er als 15-Jähriger - aus seiner Heimatstadt Castrop-Rauxel kommend - der Nachwuchsabteilung beitrat und zwei Jahre später seine Profikarriere mit einem Einsatz im Pokalspiel gegen den KSV Baunatal startete; der HSV (1982 bis 1985).

Auch der DFB nahm in einer Mitteilung Abschied von Wuttke. Vier Länderspiele hatte er unter der Aufsicht von Franz Beckenbauer bestritten, 1988 gewann er mit dem deutschen Olympiateam in Seoul an der Seite von Spielern wie Jürgen Klinsmann, Thomas Häßler und Frank Mill die Bronzemedaille. "Wäre ich damals etwas umgänglicher und diplomatischer gewesen, dann hätte ich 50 Länderspiele gemacht. Heute würde ich vieles anders machen", bekannte Wuttke vor einigen Jahren. 299 Bundesligaeinsätze mit 66 Toren wurden ihm gutgeschrieben.

Schon in seinen besten Zeiten als Profi galt Wuttke als tragische Figur. Viel Talent für das Spiel - wenig Begabung, das Talent zu nutzen, lautete die Diagnose der Kritiker. Der kicker nannte ihn "Wolfram Wahnsinn", er selbst meinte, als er mittlerweile in Kaiserslautern so umstritten war wie bei den vorigen Vereinen, seine Biographie müsse "Das verdammte Fußballerleben des Wolfram Wuttke" heißen.

Wuttke führte ein Fußballerleben, das sich heutzutage prächtig für ein nostalgisches Seufzen eignet. Wuttke ließ seinen Neigungen und seiner Respektlosigkeit freien Lauf, unentwegt gab es Querelen um ihn, schon damals spaltete er die öffentliche Meinung: Die einen fanden seine Disziplinlosigkeiten und selbstverliebten Exzesse untragbar. Die anderen bedauerten, dass schräge Charaktere wie er keinen Platz mehr hätten in der Liga.

Heutzutage sind Spieler wie Wuttke schlichtweg nicht mehr denkbar in der konformistischen Hochleistungsgesellschaft, die der Profifußball der Gegenwart ist: Weil er durch seine legendäre Faulheit die sportlichen Anforderungen nicht mehr erfüllen könnte. Und weil er wegen seiner notorischen Renitenz im erbarmungslosen öffentlichen Diskurs zugrunde gehen müsste.

"Ihr faulen Schweine, lauft mal ein bisschen mehr"

Die Geschichten, die über Wuttke kursieren, scheinen alle erfunden zu sein, so phantasievoll klingen sie. Und so viele sind es. Dass er als 17-Jähriger mit dem metallic-lackierten Mercedes von Charly Neumann um den Schalker Trainingsplatz gefahren sein soll, auf dem Nationalspieler wie Rüdiger Abramczik und Klaus Fischer standen, das ist nur der standesgemäße Prolog im Sagenschatz.

Angeblich hatte er damals die Entwendung des Autos dadurch begründet, dass er ja für die anstehende Führerscheinprüfung habe üben müssen, und angeblich hat er Fischer und Abramczik bei seinem ersten Bundesligaeinsatz (gegen Uerdingen) zugerufen: "Ihr faulen Schweine, lauft mal ein bisschen mehr."

In Mönchengladbach hatte er später, wie wohl quasi überall, Probleme mit seinem Vorgesetzten, der Jupp Heynckes hieß. Wuttke musste auf Geheiß des Trainers sein Übergewicht reduzieren, aber weil er das verlangte Maß - zwei Kilo - nicht schaffte, sollte er eine Geldstrafe in die Mannschaftskasse zahlen: Eine Mark pro Gramm, insgesamt 500. Wuttke händigte 1000 Mark aus - als Vorschussleistung für kommende Diäten. Auch schön: Als er mal mit seinem kleinen Sohn zur Teamsitzung in Kaiserslautern auftauchte, auf der zu jener Zeit Sepp Stabel das Sagen hatte. Warum er seinen Sohn mitgebracht hatte? "Ich wollte ihm nur mal zeigen, was für einen dummen Trainer wir haben."

1993 beendete Wuttke die Profilaufbahn als Sportinvalide. Im echten Leben hatte er danach viel Pech. Seine Ehe ging entzwei, sein Geschäft pleite, im Jahr 2000 bekam er Brustkrebs. Davon erholte er sich nach harter Therapie, aber die Rückkehr in den Fußball gelang ihm, von kurzlebigen Ausflügen zu Amateurvereinen abgesehen, nicht mehr.

© SZ vom 02.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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