Samstagnachmittag, Wollmützenwetter im Würzburger Dallenbergstadion, Lars Dietz ganz oben unterm Tribünendach, es war ein kostbarer Moment. "Ein Standard", rief Dietz, "ein Standard". Würzburgs Verteidiger konnte es nicht fassen. Gerade eben hatten sich die Kickers unten auf dem Rasen das 1:2 gegen Waldhof Mannheim eingefangen, mal wieder ein spätes Gegentor, der entscheidende Tiefschlag in der letzten Minute, und Dietz, verletzt und deshalb außer Gefecht, stand oben am Tribünengeländer und haderte mit der Welt.
Wut, Frust, auch ein gewisser Defätismus, all das brach aus Dietz heraus, und gerade deshalb war dieser Moment so aussagekräftig: weil er den Blick ins Innerste freigab, weil er unverhohlen war, ungeschminkt, echt.
Wenn Fußballer vor Fernsehkameras stehen, ist ja oft nur das Spiel auf dem Platz vorbei - das Spiel mit den Reportern beginnt dann erst. Frage, Antwort, Frage, Antwort, und die Spieler kriegen es in aller Regel hin, etwas zu sagen, ohne etwas zu sagen. Sie sind darin geschult, sich hinter Unverfänglichem zu verschanzen, und gerade das war es auch, was dieses Bild so kraftvoll werden ließ: Dietz, wie er oben auf der Tribüne tobt, während sich seine Mitspieler unten auf dem Rasen abmühen, in der Nachspielzeit doch noch etwas zu korrigieren, was nicht mehr zu korrigieren ist.
Als Danny Schwarz wenig später im Medienraum saß und eine Niederlage erklären musste, die im Grunde nicht zu erklären war, da sagte er: "Die Jungs sind völlig am Ende." Dann schickte Würzburgs Trainer ein "Aber" hinterher und legte eine kurze Kunstpause ein, damit die zentrale Botschaft seines Vortrags da draußen auch ankommt - dann versicherte er: "Wir werden weitermachen."
Nach dem 1:2 gegen Mannheim ist seine Mannschaft nun schon seit acht Spielen sieglos, seit zweieinhalb Monaten steht sie auf dem vorletzten Platz, und doch spielten die Kickers am Samstagnachmittag derart guten Fußball, dass sie eine Energie heraufbeschworen, wie man sie am Dallenberg lange nicht mehr erlebt hat. Bis hinauf zu Dietz war zu spüren, wie lebendig diese Mannschaft ist, die da unten auf dem Rasen um den Sieg kämpft, die genau weiß, was sie will, die bei allem, was sie tut, einen Plan befolgt.
"Dazu fehlen mir die Worte, wenn ich ehrlich bin", sagte Danny Schwarz
Für ein Team, das zuletzt Ende Oktober gewonnen hat, war Würzburgs Auftritt tatsächlich bemerkenswert, doch in der Schlussminute verloren die Kickers das Spiel, wie es nur ein Absteiger verliert. In der letzten halben Stunde hatte Würzburg zwar derart großen Druck aufgebaut, dass die Mannheimer allenfalls erahnen konnten, dass da auf der anderen Seite des Spielfelds noch ein zweites Tor steht, Robert Herrmann hatte zum Ausgleich getroffen (69.); als dann aber die letzte Minute lief, da hob Marc Schnatterer einen Freistoß in den Strafraum, die Kickers waren nicht im Bilde, und Fridolin Wagner traf zum 2:1 für Waldhof. Es war das Finale eines Fußballspiels, das ziemlich tief blicken ließ und durch das späte Mannheimer Tor auch diese Frage aufwarf: Wenn die Kickers jetzt schon Spiele verlieren, die sie eigentlich gewinnen müssten, welches Ende nimmt es dann erst, wenn sie so spielen, dass sie den Sieg nicht verdient haben?
Dass der Fußball nicht immer den Gesetzen der Logik folgt, auch das dokumentierte das Spiel am Samstag. Im Vergleich zum 0:2 beim Jahresauftakt gegen den SC Verl waren die Kickers wie ausgewechselt. Auf der linken Seite trieb Rückkehrer Peter Kurzweg das Würzburger Spiel an, in der zweiten Hälfte ließ auch Marvin Stefaniak seine Klasse zumindest erahnen - am Ende aber setzte es die fünfte Niederlage im elften Spiel unter Schwarz.
Auch der Trainer wirkt inzwischen zunehmend ratlos. "Dazu fehlen mir die Worte, wenn ich ehrlich bin", sagte Schwarz am Samstagnachmittag, als er darüber sprach, dass seine Mannschaft schon wieder ein spätes Gegentor kassiert hatte. Auch unter Schwarz' Führung ist den Kickers die Wende nicht gelungen - nun ruhen die Hoffnungen auf neuen Spielern wie André Becker. Der Angreifer kommt auf Leihbasis aus Regensburg und ist bereits der Vierte, den es in diesem Winter an den Dallenberg verschlägt.
Was ihn dort erwartet, könnte ihm beispielsweise Lars Dietz erklären.