WM-Qualifikation: Türkei:Der Kaiser dankt ab

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Fatih Terim hat den türkischen Fußball in den vergangenen zwei Jahrzehnten geprägt wie keiner sonst - nach seinem Rücktritt soll nun ein ausländischer Trainer zu Kontinuität verhelfen.

Tobias Schächter

Fatih Terim ist keiner, der seinen Kritikern das letzte Wort gönnt. Noch bevor die Reporter nach dem 0:2 der Türkei gegen Belgien am Samstag in Brüssel etwas fragen konnten, kündigte der türkische Nationaltrainer seinen Rücktritt an: "Ich weiß, dass Verbandspräsident Mahmut Özgener und andere mir sagen werden, ich soll bleiben. Aber ich habe mich entschieden: Die Partie am kommenden Mittwoch gegen Armenien ist mein Abschiedsspiel." Terim vergaß in der bitteren Stunde freilich nicht, auf die glänzenden Zeiten zu verweisen, die er dem Fußballsport seines Landes geschenkt hat: "Leider vergessen die Leute, die zuletzt meinen Rücktritt gefordert haben, dass sie durch meine Siege mit der türkischen Flagge auf den Straßen feiern durften", sagte Terim, den sie in der Türkei wegen seiner früheren Erfolge "Imparator" (Kaiser) nennen. Nun dankt der Kaiser ab.

Schon vor dem Anpfiff in Brüssel war alles vorbei für die türkische Auswahl. Bosnien hatte zuvor 2:0 in Estland gewonnen und damit den zu den Playoff-Spielen berechtigenden Platz zwei in der europäischen Qualifikationsgruppe 5 gesichert, Spanien ist als Gruppensieger längst qualifiziert. Die Zeitung Taraf kommentierte die missglückte WM-Qualifikation der Türkei fatalistisch: "Welt, lebe wohl."

Spaziergang am Abgrund

Kaum, dass sich die Türken nach dem dritten Platz bei der EM 2008 wieder auf Augenhöhe mit den großen Fußball-Nationen wähnten, sind sie also schon wieder abgestürzt. Im türkischen Fußball ist Kontinuität nur im wiederkehrenden Auf und Ab zu finden. Terim sagte einmal: "Wir lieben es, am Abgrund spazieren zu gehen."

Der 56 Jahre alte Trainer hat den Fußball seines Landes in den vergangenen zwei Jahrzehnten geprägt wie keiner sonst. Er führte Galatasaray Istanbul im Jahr 2000 als ersten türkischen Klub zum Gewinn des Uefa-Cups und die Nationalmannschaft in seiner ersten Zeit als Nationaltrainer (1993 - 1996) erstmals zu einer EM. Bei der EM 2008 beeindruckte sein durch großes Verletzungspech gebeuteltes Team mit dramatischen Aufholjagden. Danach kokettierte der 2005 ins Amt zurückgekehrte Terim erstmals mit seinem Rücktritt, verlängerte aber seinen Vertrag zu besseren Konditionen. Nun ist sein Rückzug wohl endgültig, sein selbstherrliches Auftreten hat ihn Kredit gekostet in der Öffentlichkeit, und seine häufigen Personalwechsel lassen an seiner Analysekraft zweifeln.

Das Comeback der Türkei auf der großen Fußballbühne währte also nur 16 Monate: Wie nach dem dritten Platz bei der WM 2002 scheiterten die Türken in der Qualifikation für das nächste große Turnier. Im Erfolg hat sich Terim immer als Retter feiern lassen, der seine Spieler aus schier aussichtslosen Situationen geführt hat. Dass er seine Mannschaften immer auch an den Rand des Abgrunds manövriert hat, verschwieg er gern.

"Miserable Nachwuchsarbeit"

In Terims Rücktrittsankündigung erkennen viele Kommentatoren nun die Chance für einen Mentalitätswechsel. Der Kolumnist Mehmet Demirkol stellte in der Zeitung Milliyet das Ausbildungssystem in Frage, das vor allem nach türkischstämmigen Talenten in Europa sucht. "Unsere eigene Nachwuchsarbeit ist miserabel. Wir spielen nur nach Lust und Laune, ohne ein langjähriges System, wir haben kein Fundament. Deshalb sind wir mal Dritter bei einer WM oder EM und das nächste Mal nicht dabei."

Der Ruf nach einem ausländischen Trainer, der dem türkischen Fußball neue Impulse bringen soll wie einst der Deutsche Sepp Piontek Anfang der neunziger Jahre, wird laut. Terim hat Piontek, dessen Co-Trainer er war, als sein Vorbild bezeichnet. Pionteks Bescheidenheit allerdings war nie ein Wesenszug des impulsiven Machtmenschen Terim, dem angeblich ein Angebot des SSC Neapel vorliegen soll. Der Mann aus Adana muss wieder mal von vorne anfangen - wie der türkische Fußball.

© SZ vom 12.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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