WM 2010: Diego Maradona:Diego, der Staatsmann

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Bei der WM 2006 tanzte ein knuffiges argentinisches Maskottchen zugedröhnt auf der Tribüne. Vier Jahre später steht es als Trainer an der Seitenlinie - und sieht einfach nur großartig aus.

Jürgen Schmieder

Wer an vergangene Heroen des Sports denkt, der hat meist ein einzelnes Bild vor Augen, das auf wundersame Weise ins Langzeitgedächtnis tätowiert wurde. Boris Becker etwa kann sich noch so viel Mühe geben, immer mehr auszusehen wie Uli Edel oder Wolfgang Joop - der innere Projektor spielt nur die Szene ab, in der ein orangebehaarter Lümmel in weißem Trikot auf dem Rasen steht und seinen ersten Sieg in Wimbledon bejubelt.

Diego Maradona bei der WM 2006: ein tanzendes Maskottchen auf der Tribüne. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Von nur ganz wenigen, den Überlebensgroßen nämlich, sind im Gedächtnis mehrere Bilder gespeichert. Franz Beckenbauer ist so einer, da wirft die innere Memory Card einen eleganten Fußballer aus, einen einsamen Wanderer, der nach dem WM-Finale 1990 über den Rasen von Rom schreitet - und noch ein Bild von Beckenbauer mit Mikrofon in der Hand, der sich selbst besser parodiert als Matze Knop.

Der Einzige, der den Kaiser in dieser Frage übertreffen kann, ist Diego Maradona: Ein ganzer Diavortrag spielt sich da intern ab, in Erinnerung ist etwa geblieben, wie er bei der WM 1986 den Ball mit der Hand über Peter Shilton ins Tor bringt. Oder wie er bei der WM 1994 nach einem Treffer in die Kamera brüllt. Oder ein Foto aus der Zeit, in der er aussah wie ein Luftballon, der zu stark aufgepustet wurde. Und natürlich dieses Bild von der WM 2006, als er bei den Spielen der argentinischen Nationalelf zugedröhnt auf der Tribüne tanzt und das Maskottchen gibt.

Am Samstag hat Diego Maradona der Diashow ein weiteres Bild hinzugefügt: das des großen Staatsmannes. Einen edlen Zwirn hatte sich Maradona beim ersten Spiel der argentinischen Elf - dessen Trainer er nun ist - um den gedrungenen Körper geworfen. Die graue Krawatte schimmerte passend zum mattgrauen Anzug, das weiße Hemd darunter saß perfekt. Die schwarzen Lackschuhe waren derart poliert, dass Maradona jederzeit die flockigen Haare oder seinen George-Clooney-Bart hätte begutachten können.

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Am linken Handgelenk trug D10S - so wird er von den Mitglieder seiner eigenen Religion Iglesia Maradoniana genannt - eine Uhr mit überdimensionalem Ziffernblatt, und am rechten Handgelenk eine Uhr mit überdimensionalem Ziffernblatt. Mit seinen Fingern hielt er einen Rosenkranz fest, an dem ein Abbild der Madonna befestigt war.

Diego Maradona beim Spiel gegen Nigeria: wie ein Kapitän auf der Brücke, der die See beobachtet. (Foto: rtr)

Maradona sah aus wie ein Staatsmann - und freilich darf man bei diesem Vergleich kein Bild eines europäischer Staatsmannes vor Augen haben, sondern muss vielmehr an Luiz Inácio Lula da Silva denken, den Präsidenten Brasiliens.

Doch Maradona sah nicht nur elegant und kompetent aus, er verhielt sich auch so. Mit verschränkten Armen stand er während der 90 Minuten da und wirkte dabei wie der Kapitän eines Schiffes, der zufrieden auf der Brücke steht und die See beobachtet. Als er Juan Sebastian Veron vom Feld holte, da tätschelte er ihm sanft auf Wange und Po. Und als er nach dem Spiel den ein wenig geknickt wirkenden Lionel Messi in den Arm nahm, sah es so aus, als würde ein Vater seinen Sohn trösten, weil der eben an diesem Tag kein Tor geschossen hat.

Nur einmal, da blitzte ein altes Bild von Maradona wieder auf. Als der Ball in seine Richtung sprang, da wurde aus dem eleganten Maradona wieder der kleine Racker, der einfach nur spielen will. Er jonglierte mit dem Ball, das Publikum raunte, doch Maradona gab sich nicht den Jubelrufen hin, sondern das Spielgerät ab - und nahm wieder die Staatsmannposition ein.

Es hat den Anschein, als würde Maradona der Welt zeigen wollen, dass er nicht nur ein Maskottchen am Spielfeldrand ist und dass die argentinische Elf nicht trotz, sondern wegen ihm Weltmeister werden kann. Den ersten Schritt hat er gemacht mit einem äußerst sympathischen Auftritt. Ob dieses Bild jedoch die Chance hat, ins Langzeitgedächtnis aufgenommen zu werden, das werden die kommenden Spiele der Argentininier zeigen.

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