WM 2010: Argentinien:Der Kanzler von Zimmer 10

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Juan Verón war in Argentinien schon abgeschrieben, nun hat er großen Anteil an den überzeugenden Auftritten der Elf. Er ist ein wichtiger Führungsspieler - und Lionel Messis Bezugsperson.

Javier Cáceres

Es gibt Jazzer, die sagen: Genialität entsteht erst durch Pausen, durch die Töne, die man nicht spielt. Und so gesehen ist es ein Wunder, dass ausgerechnet Argentiniens Mittelfeldspieler Juan Sebastián Verón der Mann bei dieser WM ist, der wie kein Zweiter imstande ist, auf den Ball zu treten. Zu schauen. Zu überlegen. Ruhe einzufordern, wo bloß Hysterie herrscht.

Sagen Sie jetzt nichts ... Diego Maradona
:"Das ist sie, die Hand Gottes"

Ist Diego Armando Maradona als Trainer der argentinischen Nationalelf tätig? Oder als Maskottchen? So genau weiß man das nicht, jedenfalls hatte er keine Muße für ein Interview ohne Worte. Aber es gibt ja genügend Fotografen.

Denn seine Ohren wurden früher nur von Metallica und AC/DC beschallt, in ruhigen Minuten immerhin von The Doors. Nie aber von Miles Davis oder Keith Jarrett. Manchmal ist Verón auch neben dem Platz so wie auf dem Rasen. Doch nie wurde das den Argentiniern so plastisch vor Augen geführt wie nach dem letzten WM-Qualifikationsspiel.

Wie besoffen schien die Welt sich da zu drehen, nachdem Argentinien in Montevideo 1:0 gewonnen hatte. Trainer Diego Maradona und sein Assistent Carlos Salvador Bilardo lagen sich in den Armen, umringt von Spielern, umringt von Reportern, die Mikrofone in den Pulk hineinhielten und aufschnappten, wie Maradona und Bilardo ihre Kritiker mit zusammengekniffenen Augen, aus denen die Tränen rollten, mit vulgären Begriffen beleidigten. Nur Verón stand abseits, die Stutzen heruntergerollt, und gab ein staatsmännisches Interview; das argentinische Fernsehen war immer noch live drauf. Er sagte: "Es gibt nichts zu feiern. Hier ist alles falsch gemacht worden, von oben bis unten."

Er schnarcht fürchterlich

Maradona war kurzzeitig irritiert, als er davon erfuhr; Verón wolle bloß Präsident des argentinischen Fußballverbandes (Afa) werden, höhnte er. Zur WM nahm er Verón dennoch mit. Zwar hat er auch andere Häuptlinge: Kapitän Javier Mascherano, Linksverteidiger Gabriel Heinze. Doch bloß Verón hält er für befähigt, sich um das kostbarste Gut der argentinischen Mannschaft zu kümmern: den vormalig so verunsicherten Lionel Messi, mit dem Verón im Quartier auf dem Universitätscampus von Pretoria das Zimmer Nummer 10 teilt.

Es ist die Erfahrung aus mehr als 70 Länderspielen, mit denen er Messi speist - und die daheim den letzten Rest an Skepsis verwehen ließ, die ihn ummantelte. Denn nicht jeder Argentinier war davon überzeugt, dass Verón nach den 3523 Minuten in 43 Spielen aus der vergangenen Saison noch ausreichend Luft für die WM haben würde.

Im Grunde hatte man ihn abgeschrieben: Schon bei der WM 2006 war er nicht dabei gewesen, danach kehrte er nach zehn Jahren in Italiens Serie A (Sampdoria, Parma, Lazio, Inter) sowie Englands Premier League (Manchester United, Chelsea) zu seinem Stammklub zurück: Estudiantes de La Plata. Vor allem, um seine Funktionärskarriere vorzubereiten; bei Estudiantes hat sein Name Gewicht. Schon sein Vater, Juan Ramón Verón, war ein Idol der "pincharratas" gewesen, der "Rattenpiekser", wie die Estudiantes-Fans genannt werden, weil der Klub vor Jahrzehnten von Medizinstudenten gegründet worden war: Rattenpieksern eben.

Verantwortlich für das WM-Aus 2002

Überhaupt, die Spitznamen: Weil Verón Sen. der Magier unter einer überaus erfolgreichen Schlägertruppe war, wurde er "la Bruja" genannt, die Hexe. Und Sohn Verón "la Brujita", das Hexlein. Verehrt wird nun auch Verón jun., besonders, seit er im vergangenen Jahr die Elf mit genialer Virtuosität und pausenreichem Spiel zum Copa-Libertadores-Sieg führte. Ebenso soll er nun Argentinien im Achtelfinale der Weltmeisterschaft gegen Mexiko (Sonntag, 20.30 Uhr) zum Sieg und hernach zum dritten Titel verhelfen.

Für Verón wäre das eine Genugtuung, immerhin wurde er 2002, nach dem Vorrunden-Aus in Japan, von Argentiniens Medien und Fans für das Ausscheiden verantwortlich gemacht. Alle Zeigefinger deuteten auf ihn. Doch er wirkt nicht von Rachelust getrieben. Im Gegenteil.

In Südafrika habe er sich in den Kanzler der Mannschaft verwandelt, heißt es im argentinischen Lager. Außenstehende registrierten mit überraschten Augen, dass Verón einen Schritt zurück tat, als vor dem letzten Gruppenspiel gegen Griechenland die Frage auftauchte, wer Mascherano als Kapitän ersetzen solle. Aufgrund seiner hierarchischen Stellung hätte dies eigentlich Verón gebührt. Doch er verzichtete zugunsten von Messi, seinem Zimmerpartner, mit dem er sich hervorragend versteht. An Messis Leistungen lässt sich dies ablesen.

Das Zusammenleben mit dem jungen Stürmer des FC Barcelona sei hervorragend, berichtete Verón, wenngleich Messi kräftig schnarche. "Doch das regele ich schon", fügte er hinzu. Nicht mit Heavy Metal. Sondern mit den sanften Daunen des Kissens.

© SZ vom 26.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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