Sokratis Papastathopoulos, um es gleich mal vorwegzunehmen, ist ein junger Mann, gerade erst 22 Jahre alt geworden. Er hat fast sein ganzes Leben noch vor sich, und die besten Jahre als Fußballer kommen sowieso noch, wenn es an die 30 geht. Er wird vergessen, was er getan hat, und man wird ihm verzeihen. Manchmal sah es ja sogar mitten im Spiel schon so aus, als täte es ihm aufrichtig leid, diesem Sokratis Papastathopoulos, ein Name immerhin, den sich Lionel Messi niemals wird merken können, so sehr er es auch versuchen wird.
Denn Papastathopoulos war sein Schatten, er war seine zweite Haut, er war ihm für einen Abend Vater und Mutter in einem, ließ ihn nicht aus den Augen, und die Luft, die Messi atmete, hatte vorher Sokratis Papastathopoulos gesiebt. Es war ein Wunder, dass sie nicht aus demselben Becherlein tranken, vom selben Tellerlein aßen, und als Messi Stunden nach dem Schlusspfiff in Polokwane zu Bett ging, wird er sicherheitshalber die Decke vorsichtig zurückgeschlagen haben, ob da nicht schon einer im Schlafanzug mit der Nummer 19 drin liegt: Sokratis Papastathopoulos tat alles, um Griechenland ein 0:0 gegen Argentinien zu verschaffen, aber er konnte eben nicht überall sein. Am Ende siegten die Südamerikaner doch mit 2:0 (0:0) und bewiesen dabei sehr eindrucksvoll, dass sie sehr, sehr viel Geduld haben können.
Der junge Mann aus Genua mit den vielen Buchstaben, ein Abwehrtalent, dem manche Experten eine große Zukunft voraussagen, verkörperte eine Taktik seines Trainers Otto Rehhagel, die von einer gewagten Spekulation inspiriert war: der Aussicht auf einen nigerianischen Sieg gegen Südkorea. Nur so hätte dieses angestrebte torlose Unentschieden ausgereicht, um das Achtelfinale noch zu erreichen. Die Griechen waren gut informiert über das, was sich in Durban beim parallel ausgetragenen zweiten Gruppenfinale abspielte, und so lange dort nicht die Asiaten führten, spannten die Griechen ihr Netz aus weißen Spielern über den Platz, in dem sich der argentinische Gruppenprimus verfangen sollte. Wie ein Nebel des Grauens waberten die Griechen über das Spielfeld und versuchten, die Kunst der Elf von Diego Maradona zu ersticken. Und wenn doch mal einer im blauen Trikot den Kopf aus der zähen weißen Wolke reckte und zum Torschuss kam, so hielt der griechische Torwart Tzorvas auf prächtige Weise.
Maradonas Vorhersehung
Ach, wie herrlich einfach Fußball sein kann, wenn Otto Rehhagel, 71, ihn spielen lässt. Dem Fernsehen will er vor dem Anpfiff verraten haben, dass er "sehr viele Menschen im Mittelfeld" brauche, um die argentinischen Qualitäten zu unterbinden. Die waren ja noch vorhanden, auch wenn Diego Maradona in einer Art Vorhersehung schon mal sieben Mann zur Schonung austauschte, obwohl auch die Südamerikaner nicht sicher für die K.-o.-Runde qualifiziert waren. Aber wer bei Argentinien Ersatz ist, wie Agüero oder Milito, der wäre in 29 der 32 angetretenen Teams bei dieser WM ein Star.
Vom Reglement her ist Manndeckung nicht verboten, auch wenn Messi beim Weltverband vermutlich schon am heutigen Mittwoch einen entsprechenden Antrag stellen wird. Papastathopoulos' Ehrgeiz, der Igel für den Hasen Messi zu sein und immer schon anzukommen, wo der Argentinier erst hinlaufen wollte, forderte den kleinen Künstler vom FC Barcelona heraus. Nun versuchte er erst recht, seinem Bewacher zu entkommen, oft blieb er aber mit irgendeinem Körperteil an Papastathopoulos hängen wie an einer sperrigen Vitrine, und bald war Messi sichtlich genervt und klagte dem Schiedsrichter aus Taschkent gestenreich sein Leid. Der Mann aus Taschkent zuckte mit den Schultern. Einmal war es so, dass Papastathopoulos Messi tatsächlich foulte, und noch im Fallen beider Spieler reckte der Grieche dem Argentinier schon die Hand entgegen: Entschuldigung, ich will es nicht, aber muss das tun, es ist mein Auftrag.
So verging das Spiel, in dem sich die Argentinier den Ball 66 Prozent der Zeit zuspielten, von hier nach da nach dort und zurück, manchmal auch in die Spitze. Agüero und Messi hätten das Tor treffen können, sie bemühten sich wirklich, aber die Elf von Otto Rehhagel machte keine Fehler. Einmal, es war kurz nach der Pause, bot sich den Griechen die verstörende Gelegenheit zum Tor, eröffnet von Martin Demichelis, dem argentinischen Verteidiger von Bayern München. Der würde bei Otto Rehhagel wohl nicht spielen, denn er ist zu anfällig, aber Samaras konnte die Chance nicht nutzen. Man schaute verdutzt auf die Uhr und erkannte: 48. Minute, erster Torschuss.
So hätte das weitergehen können, bis die Morgensonne den schwarzen Kontinent wachgeküsst hätte. Rehhagels Elf konnte ihre Strategie auch nicht ändern, als sie wegen der südkoreanischen Tore im anderen Spiel einen Sieg gebraucht hätte. Dann gab einen Eckball, einen Abpraller, einen Schuss von Demichelis, das 1:0 (79.), zehn Minuten später das 2:0, vorbereitet von Messi, durch Palermo. "Wir werden immer stärker und sind auf einem guten Weg. Wir wollen so weit wie möglich kommen", sagte Torschütze Palermo nach dem Schlusspfiff.
Rehhagel wird nun wohl gehen, obwohl er nach dem Spiel betonte: "Ich gebe überhaupt keine Entscheidung bekannt, meine Zukunft ist meine Privatsache." Papastathopoulos jedoch wird bleiben, noch einige Jahre und Messi - er wird ihn vergessen, irgendwann.