WM 2010: Deutschland - England:Sympathie für den alten Feind

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Die Engländer sind nach dem Aus bei der WM wütender auf Capello als auf den Schiedsrichter. Der Arbeitsplatz des Trainers ist zunehmend unsicher. Die Deutschen hingegen bekommen Respekt, der sogar die Kanzlerin staunen lässt.

David Bernreuther

Wer nach vorne prescht, steht schnell alleine da. So erging es dem englischen Nationaltrainer Fabio Capello, der nach dem 1:4 im Achtelfinale gegen Deutschland heftig auf Schiedsrichter Jorge Larrionda schimpfte. "Die Leistung war unfassbar", sie hätte es den Spielern erschwert, "kühlen Kopf zu bewahren", ätzte Capello - wohl in der Hoffnung, die englischen Medien und damit auch die Öffentlichkeit würden in die Schiedsrichterschelte einstimmen.

"Verzieh dich, und nimm deine Spieler mit!", schrieb das englische Boulevardblatt "Sun" über Nationaltrainer Fabio Capello. (Foto: ap)

Capellos Plan ging gründlich daneben. Es sei "sinnlos", über das nicht gegebene Tor zu weinen, schrieb etwa die Daily Mail. Der Daily Telegraph wertete Capellos Wut auf den Schiedsrichter als "Vernebelungsmanöver" und riet seinen Lesern, sich von diesem nicht in die Irre führen zu lassen. Die Schuld an dem Debakel suchen die britischen Zeitungen vor allem beim Trainer und seinen erschreckend schwachen Stars: "Zeit zu gehen, Fabio! Verzieh dich, und nimm deine Spieler mit!", titelte The Sun.

Scheitern mit Stolz

Die Menschen in England sind es gewohnt, dass ihre Mannschaft bei großen Fußballturnieren scheitert - mal in der Vorrunde, mal im Halbfinale. Doch wenn die Three Lions schon scheitern müssen, dann sollen sie das mit Würde tun wie echte britische sportsmen. Nach erbittertem Kampf, nach einem engen, offenen, dramatischen Spiel - wenn nötig im Elfmeterschießen.

Das erhöht zwar das Leiden, aber auch den Stolz. Viel schlimmer ist es, wenn die Mannschaft krachend zerlegt wird, "von einem geschmeidigeren, schnelleren, clevereren Deutschland an die Wand gespielt" wird, wie The Times urteilte.

WM 2010: Einzelkritik Deutschland
:Standuhr und Quartalsspieler

Ein böser Geist im Sturm, ein Saisonarbeiter im richtigen Quartal, ein unwiderstehlicher Kerl, ein Kandidat für die Seleção und der beste Arzt der Welt. Die DFB-Elf in der Einzelkritik.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

Es fällt schwer, sich mit einem Team zu identifizieren, das erst in drei Spielen fad und einfallslos auftrat und sich im vierten vorführen ließ. Auf ihrer Internetseite fragte die Sun die User, ob Deutschland nun ihrer Meinung nach das Endspiel erreichen solle, die Antwortmöglichkeiten waren "Yes" und "Nein". Rund drei Viertel der Nutzer gönnten der DFB-Elf den Finaleinzug.

WM 2010: Pressestimmen
:"Zerrieben und zerfleischt"

Die Medien verabschieden die Engländer und üben scharfe Kritik an den Schiedsrichtern. Thomas Müller sorgt für eine Wortneuschöpfung. Die Presseschau.

Keine Panzer, die nach deutsch-englischen Fußballduellen über die Titelseiten der englischen Schundblätter rollen. Keine Spieler, denen per Fotomontage Stahlhelme aufgesetzt werden. Keine Trainer oder Funktionäre, die mit kleinen, schwarzen Oberlippenbärtchen verschandelt werden. Stattdessen äußern viele Engländer den Wunsch, Deutschland möge auch die nächsten Runden überstehen. Das frische, mutige, verspielte und zugleich zielstrebige Auftreten der jungen deutschen Elf scheint selbst beim Erzfeind Sympathien zu wecken.

Fairplay wie im 19. Jahrhundert

Die Niederlage anerkennen, die Schuld bei sich selbst suchen, dem Gegner gratulieren und Gutes wünschen - das ist Fairplay, wie es sich die Vordenker des modernen Sports im Großbritannien des 19. Jahrhunderts erdacht haben. Auch der britische Premier David Cameron fasste die Niederlage in diesem Sinne auf: "Angesichts eines solchen Ergebnisses können wir nicht sagen, dass wir beraubt wurden. Wir wurden besiegt", sagte er, nachdem er die zweite Halbzeit des Spiels beim G-20-Gipfel in Toronto gemeinsam mit Angela Merkel gesehen hatte.

Die Bundeskanzlerin entschuldigte sich bei Cameron höflich für das nicht gegebene Tor, das den 2:2-Ausgleich bedeutet hätte, und stellte erfreut fest: "Was ich hier an Akzeptanz für die deutsche Mannschaft gehört habe, das wird sich weltweit rumsprechen." Gut zu wissen, dass die DFB-Elf nicht alleine dasteht, obwohl sie so gerne nach vorne prescht.

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