Philipp Lahm ist immer ein höflicher und netter Gesprächspartner, doch nach dem verdienten 0:1 gegen Spanien konnte selbst Philipp Lahm nicht mehr höflich und nett sein. Nein, sagte er, im Moment habe er keine Lust auf das Spiel um Platz drei am Samstag gegen Uruguay. Es wäre niemandem der deutschen Titelträumer zu verdenken, sollte sich diese Null-Lust-Stimmung bis Samstag halten und in diesem unnützensten Spiel des Fifa-Jahreskalenders in einer Niederlage niederschlagen. Rang drei oder Rang vier, was macht das schon für einen Unterschied?
Das einzige Problem bei einer Niederlage wäre, dass dann die Statistik-Fanatiker die These in den Raum werfen könnten, das sei nun nach dem dritten Platz 2006 und dem Final-Einzug 2002 das schlechteste WM-Abschneiden seit 1998. Dabei bedeutete dieses Turnier in Südafrika wahrscheinlich die einschneidenste und positivste Zäsur in der Geschichte der Nationalelf.
Innerhalb von knapp vier Wochen haben Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller & Co. die Wahrnehmung eines Landes verändert. So bald gibt es keine Vergleiche mehr zwischen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Panzern, stattdessen nur viel Respekt, Anerkennung und sogar Sympathie - selbst bei englischen Fans. Wäre der Begriff Sommermärchen nicht vergeben für jenes vielumjubelte, aber mindestens ebenso sehr verklärte Heim-Turnier vor vier Jahren - er böte sich nun an.
Die deutsche Mannschaft hat bei dieser WM drei Mal (gegen Australien, England und Argentinien) vorzüglichen und drei Mal (gegen Serbien, Ghana und Spanien) immer noch sehr anständigen Fußball gezeigt. Sie hat dabei die Verbindung mit den sogenannten deutschen Tugenden gekappt, sie ist nicht raubeinig, grobschlächtig und rumpelfüßlig aufgetreten, sondern filigran, intelligent und voller feinem Esprit. Bisweilen hat sie sogar gezaubert. Und wenn jemand vor dem Halbfinale behauptet hatte, bislang sei Deutschland die spielerisch überzeugendste Mannschaft gewesen, konnte niemand ernsthaft widersprechen.
Nun hat es gegen Spanien zum zweiten Mal innerhalb zweier Jahre nicht gereicht. Sicher fehlte Thomas Müller, mancher Beobachter dürfte auch bemerken, dass diese Partie in gewisser Weise eine Partie für Michael Ballack gewesen wäre - woraufhin andere Beobachter einwenden könnten, dass es im EM-Finale vor zwei Jahren auch mit Michael Ballack nicht klappte. Die Wahrheit ist: Wenn die spanische Mannschaft so aufspielt wie an diesem Mittwochabend, hat die deutsche Elf auch mit Müller und/oder Ballack kaum eine Chance - dann hat wohl jede andere Elf auf dieser Welt kaum eine Chance. Die Iberer sind einfach noch einen Tick voraus, sind die reifere Mannschaft, haben die bessere Raumaufteilung und das sicherere Passspiel.
Deutschland hat einen großen Trumpf in der Hand: die Zeit. Die Führungsspieler wie Bastian Schweinsteiger oder Philipp Lahm sind gerade erst Führungsspieler geworden. Akteure wie Mesut Özil, Sami Khedira und Thomas Müller erspielen sich einerseits schon ungemein viel Lob, treten aber andererseits so auf, als könnten sie sich noch weiter steigern. Im Tor deutete Manuel Neuer nicht nur gegen Spanien an, dass aus ihm einer der besten Torhüter der Welt werden kann. Und hinter all diesen Namen lauern bereits die ganz jungen Kräfte wie Mats Hummels, Toni Kroos oder die Bender-Zwillinge.
Deutschland steht vom fußballerischen Potential her eine herausragende Zukunft bevor. Sollte es bei der EM 2012 noch einmal zum Spiel Deutschland gegen Spanien kommen - dann wäre die Zeit für einen deutschen Sieg reif.