Wintersport kompakt:0,3 Sekunden zu spät

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Trotz Henkels famoser Schlussrunde scheitert die deutsche Biathlon-Staffel in Oberhof um eine Skilänge. Neureuther stürzt nicht. Langläufer zurück in der Weltspitze.

Die deutschen Biathletinnen haben trotz eines Sturmlaufes von Schlussfrau Andrea Henkel den zweiten Weltcup-Staffelsieg des Olympia-Winters um nur drei Zehntelsekunden verpasst. In der so noch nie gesehenen Besetzung Martina Beck, Simone Hauswald, Tina Bachmann und Henkel hatte das von den 18.500 Zuschauern in Oberhof stürmisch bejubelte Quartett nach 4 x 6 Kilometern trotz der absoluten Tagesbestzeit von Henkel knapp eine halbe Skilänge Rückstand auf Weltmeister Russland, der 1:14:23,6 Stunden benötigte.

Entscheidung: Die Russin Swetlana Sleptsova (r.) geht vor Andrea Henkel vom Schießstand weg. (Foto: Foto: Reuters)

Platz drei belegte am Mittwochnachmittag bei nahezu idealen Bedingungen mit wenig Wind und knackigem Frost von Minus acht Grad Celsius mit 1:00,9 Minuten Rückstand Frankreich.

Die Entscheidung in dem hochspannenden Rennkrimi fiel am Schießstand. Während die deutschen Frauen elf Reservepatronen benötigten, mussten die Russinnen nur achtmal nachladen, was ein Zeitpolster von 30 Sekunden bedeutet. "Elf Nachlader sind einfach zu viel", sagte Bundestrainer Uwe Müssiggang, lobte aber trotzdem seinen Vierer. "Der zweite Platz so knapp hinter dem Weltmeister ist ein Riesenergebnis, zumal es für uns vor der fantastischen Heimkulisse nicht einfach zu laufen ist", betonte er.

Schlussläuferin Andrea Henkel (Großbreitenbach) war mit fast 40 Sekunden Rückstand auf ihren Abschnitt gestartet und mit einer makellosen Vorstellung der Russin Swetlana Slepzowa immer näher gerückt. "Als es zum letzten Mal den Birxstieg hochging, bin ich nicht raufgeprügelt, um dann nicht mit blauen Beinen zu stürzen", berichtete die fehlerfrei schießende Thüringerin. "Kurz vor dem Ziel sah ich Swetlana endlich unmittelbar vor mir und habe gedacht: Oh Gott, der Zielspurt ist doch nicht deine Stärke", erzählte Henkel nach ihrer respekteinflößendem Vorstellung, mit der sie dieses Vorurteil widerlegte.

Startläuferin Martina Beck aus Mittenwald musste dreimal nachladen und wechselte mit 26,8 Sekunden Rückstand hinter Frankreich als Zweite. Simone Hauswald (Gosheim) benötigte nach fehlerfreiem Liegendanschlag beim Stehendschießen ebenfalls drei Reservepatronen. Trotzdem wechselte sie an Position eins mit 1,5 Sekunden vor der Russin Anna Bulygina. Staffel-Neuling Tina Bachmann (Altenberg) leistete sich sogar fünf Schießfehler, konnte die drohende Strafrunde aber mit dem letzten Versuch abwenden.

"Ich bin nicht zufrieden, hätte es mir besser vorgestellt, nachdem es zuletzt im Training weit besser ging, auch läuferisch. Drei Nachlader sind einfach zu viel", kritisierte Beck ihren Auftritt. "Ich habe wohl noch nie so gefroren und war übermotiviert", stellte sie fest. Auch Simone Hauswald haderte mit ihrem Schießen. "Ich habe mich von der Russin verleiten lassen, zu schnell abzudrücken. Eigentlich wollte ich Tina mehr Vorsprung mitgeben", erklärte die Skijägerin von der Schwäbischen Alb.

"Total gigantisch" erlebte Bachmann die Kulisse. "Mir war lange nicht so schlecht beim Aufstehen wie heute. Ich war total aufgeregt. Ein Liegendschuss ist mir einfach rausgerutscht und stehend wollte ich die Schüsse regelrecht vortragen", bewertete sie ihre Weltcup-Staffelpremiere "Zum Glück ging's läuferisch sehr gut", ergänzte die 23 Jahre alte Bundespolizistin.

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Auf das Ticket zu den Olympischen Winterspielen muss Felix Neureuther zwar weiter warten, aber die Formkurve der Medaillenhoffnung zeigt nach oben. Nach zwei enttäuschenden Slaloms vor dem Jahreswechsel fuhr der Skirennfahrer aus Partenkirchen am Mittwoch in Zagreb beim Sieg von Giuliano Razzoli (Italien) als Neunter seine bestes Saisonergebnis ein - zu Rang acht und der direkten Qualifikation für Vancouver fehlte nur 1/10 Sekunde. "Jetzt hat er ein Top-10-Ergebnis, warum soll ihm nicht ein zweites gelingen? Ich bin überzeugt, dass er die Norm ganz locker schaffen wird", sagte Alpin-Direktor Wolfgang Maier.

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Mit der Vorgabe "kontrollierte Offensive" war der WM-Vierte Neureuther das erste Rennen des Jahres angegangen. Ein Ausscheiden und ein 25. Platz in den bisherigen Slalom-Rennen des Winters hatten schon an der Psyche des 25-Jährigen genagt. Nun konnte der Partenkirchener zumindest wieder Vertrauen sammeln. "Er hat sich in beiden Läufen ordentlich verkauft", zeigte sich auch Cheftrainer Karlheinz Waibel zufrieden. Am Ende des zweiten Durchgangs ging dem von einer Erkältung geschwächten Neureuther dann etwas die Kraft aus.

Mehr als ordentlich waren die rasanten Fahrten von Razzoli, der im zweiten Durchgang von einem Fehler des führenden zweimaligen Saisonsiegers Reinfried Herbst (Österreich) profitierte. Als einer der ersten Gratulanten beim Premieren-Erfolg des 25-Jährigen, der 50.000 der 135.000 Euro Preisgeld kassierte, war die italienische Slalom-Legende Alberto Tomba. Tomba durfte sich auch über Rang zwei für seinen Landsmann Manfred Mölgg freuen. Dritter wurde der Franzose Julien Lizeroux.

Bis zum Flutlichtrennen hatte nur Stephan Keppler als 13. bei der Abfahrt im italienischen Bormio einen Schritt Richtung Vancouver gemacht. Nun ist auch Neureuther, dessen beste Saison-Platzierung ein 20. Platz in der Super-Kombination von Val d'Isère war, zumindest schon auf halbem Weg nach Kanada.

"Wer die Norm nicht fährt, geht nicht mit", hatte Maier im Vorfeld betont. Der Sportdirektor hat aber keine Zweifel, dass Deutschlands bester Alpin-Herr nun den nächsten Schritt geht. 2006 in Turin war Neureuther ohne erfüllte Qualifikations-Kriterien mitgenommen worden, in diesem Winter will er es aus eigener Kraft schaffen. Die nächste Chance bietet sich am Wochenende im schweizerischen Adelboden, die letzte nach den Slaloms in Wengen und Kitzbühel in Schladming am 26. Januar. Kranjska Gora Ende Januar dient dann nur noch als Formcheck.

Neureuther kämpfte im zweiten Durchgang um sein Olympia-Ticket, für Stefan Kogler und Dominik Stehle war das erste Rennen des Jahres nach dem ersten Lauf zu Ende. WM-Teilnehmer Kogler schied mit guter Zwischenzeit aus, Stehle war bei seinem Weltcup-Comeback nach einem Jahr zu langsam für das Finale der besten 30.

Der Kampf von Axel Teichmann wurde nicht belohnt, die Chance auf eine vordere Tour-Platzierung aber gewahrt: Mit Rang sechs auf der fünften Etappe der Tour de Ski der Langläufer betrieb der Bad Lobensteiner am Mittwoch Schadensbegrenzung. Nach einem beherzten Lauf über 34 Kilometer, auf denen er knapp 16 Sekunden Rückstand wettmachte, fehlten dem Thüringer auf den letzten zwei Kilometern die Kräfte. Am Ende hatte er 22 Sekunden Rückstand auf den Norweger Petter Northug, der an seinem 24. Geburtstag seinen dritten Tagessieg bei dieser Tour perfekt machte und sich wieder das Spitzenreiter-Trikot überstreifen konnte.

"Ich wäre gern mit den drei da vorn ins Ziel gekommen. Aber ich bin nicht unzufrieden. Diese 36 Kilometer haben allen wehgetan und ich bin gespannt, wie sich das auf die nächsten schweren Tages-Abschnitte auswirkt. Meine Chancen sind weiter intakt", sagte Teichmann, der auch Lob von Bundestrainer Jochen Behle erhielt: "Er hat sich sehr gut verkauft", sagte der Coach, der mit der gesamten Mannschaftsleistung zufrieden war.

Tom Reichelt (Oberwiesenthal) schaffte er als Zehnter ebenso die halbe Olympia-Qualifikationsnorm wie sein Team-Kollege René Sommerfeld als Zwölfter. Dazwischen platzierte sich noch Jens Filbrich (Frankenhain). Tobias Angerer ist indes ausgestiegen. Der Vachendorfer war laut Behle gesundheitlich "leicht angeschlagen" in das Rennen gegangen, das er mit einem Rückstand von 3:37,2 Minuten auf Platz 30 beendete. "Wir gehen das Riskio, weiter an der Tour teilzunehmen, mit Blick auf Olympia nicht mehr ein", sagte Behle über den Ausstieg des 32 Jahre alten Angerer.

Premierensieg für die deutschen Skicrosser: Fünf Wochen vor den Winterspielen hat Simon Stickl dem Deutschen Skiverband (DSV) völlig überraschend den ersten Weltcup-Sieg überhaupt in der neuen Olympia-Sportart beschert. Der 22-Jährige vom SC Bad Wiessee gewann in Österreich vor dem ehemaligen Alpin-Weltmeister Daron Rahlves (USA) und löste im ersten Rennen des neuen Jahres das Vancouver-Ticket.

"Das ist mir noch wichtiger als der Sieg, denn Olympia war in diesem Jahr das große Ziel", sagte Stickl nach seiner zweiten Top-Ten-Platzierung im Weltcup. Das DSV-Glück perfekt machte die 20-jährige Anna Wörner. Als Vierte erreichte sie beim Sieg der ehemaligen Weltmeisterin Ophelie David (Frankreich) ihre mit Abstand beste Karriere- Platzierung und darf sich wie ihre Teamkollegin Heidi Zacher (Rang 14) auch auf Vancouver freuen.

Seit 2007 fahren die Skicrosser, die beim Kampf um den Sieg zu viert einen mit Sprüngen, Wellen und Kurven auf Schnee gebauten Kurs mit zum Teil waghalsigen Manövern hinabrasen, im DSV. Nach vielen zähen Wintern, in denen es aber auch eine WM-Medaille von Alexandra Grauvogl gab, kam der Erfolg nun gerade recht. "Das ist ein wirklich wichtiges Lebenszeichen, dass man mit der Sportart in der Spitze präsent sein kann", sagte DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier.

Die Lebenszeichen in der Olympia-Saison, die schon bei zwei Weltcups vor dem Jahreswechsel ordentlich begonnen hatte, sorgte bei den Skicrossern für Erleichterung. Denn vor nicht allzu langer Zeit drohte ihnen im DSV noch das Aus. "Der Sieg ist wichtig um Akzente zu setzen, um die Leute mehr zu begeistern", sagte Heli Herdt, sportlicher Leiter und rühmte die Rennen von Stickl und dessen Kontrahenten. "Das war wie bei den Gladiatoren in der Arena in Rom."

Spektakulär ist die Sportart, in der dem DSV bislang drei Podeste im Weltcup glückten, allemal. Auch beim Nachtrennen in Oberndorf/St. Johann in Tirol gab es Überholmanöver, Stürze und jede Menge Sprünge. "Aber es ist so, dass die Sportart sich eigentlich wesentlich mehr versprochen hatte, als sich ergeben hat. Letztendlich gibt es bisher weltweit kaum Medieninteresse", sagte Maier.

Das wollen Stickl & Co. ändern. Und was ein Sieg so alles ausmacht, merkte der 22-Jährige schon auf der Fahrt nach dem Erfolg. "Ich glaube, so oft hat mein Telefon noch nie geklingelt", sagte Stickl, der mit dem Erfolg "überhaupt nicht" gerechnet hatte. Und dass er Rahlves als Alpin-Größe hinter sich ließ, erfreute den Sportler aus Bad Wiessee noch ein klein bisschen mehr. Rahlves ist einer von mehreren ehemaligen Skirennfahrern. Die frühere Abfahrt-Weltcupsiegerin Katharina Gutensohn (Deutschland/Österreich) und der ehemalige DSV-Mann Martin Fiala hegen auch Olympia-Hoffnungen.

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