Aus von Alexander Zverev:Sein bestes Tennis ist nicht gut genug

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Bis zum nächsten Jahr: Alexander Zverev winkt den Zuschauern auf dem Court Number One. (Foto: Susan Mullane/USA Today/Imago)

Gegen die Kanonenaufschläge von Matteo Berrettini ist Alexander Zverev machtlos und verabschiedet sich aus Wimbledon. Obwohl er sich wenig vorwerfen kann, sind seine Ambitionen wieder einmal zurückgestutzt worden.

Von Barbara Klimke, London

Der Turnierveranstalter hatte die Zuschauer schon verabschiedet und über die Außenlautsprecher allen eine gute Nachtruhe gewünscht, als Alexander Zverev im Medienzentrum der Tennisanlage seine Niederlage analysierte. Von der Dachterrasse in Wimbledon sah man in der Distanz die Lichter der Londoner Skyline blinken, die City ist mehr als zehn Kilometer entfernt. Zverev saß in Interviewraum Nummer zwei, einem engen Seminarsaal, der nur fünf Stuhlreihen bietet. Im neugestalteten pompösen "Media Theatre" gegenüber, einem Vorführsaal mit breiten Ledersesseln und Dimensionen, die einer Hollywoodpremiere Ehre machen würden, durfte sein Bezwinger, der Italiener Matteo Berrettini, Hof halten.

Dem Sieger fällt im Tennis alles zu, sogar die weichere Sitzpolsterung: Es bleibt ein Zweikampf, der kein Erbarmen, kein Unentschieden kennt; und Zverev war der Erste, der diesem Umstand, so hart er ihn auch traf, Rechnung trug: "Es war ein sehr ordentliches Match von mir", sagte er. "Aber in den wenigen entscheidenden Punkten hat er einfach besser gespielt." Noch auf dem Platz beim Handschlag nach dem Matchball, der ihm erneut als Ass von Berrettini wie ein Katapultschlag an den Ohren vorbeizischte, hatte er dem Gegner gratuliert mit den Worten, dass er "das Turnier gewinnen kann, wenn er so weitermacht". Berrettini spielt in der nächsten Runde gegen den Weltranglistenersten Carlos Alcaraz; dieses Kräftemessen hat Zverev verpasst.

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Seine Ambitionen sind wieder einmal zurückgestutzt worden auf das begrenzte Maß des nur zweitbesten Interviewraums im All England Club. Noch vor einigen Jahre hatte er generell zu seiner Lebensplanung gesagt, dass regelmäßige Halbfinalteilnahmen auf Dauer kein Ziel für seinen Anspruch als Tennisprofi sein könnten. Nun hat es in Wimbledon wieder nur für die dritte Runde gereicht.

Diesmal musste sich Zverev nichts vorwerfen - der Italiener war einfach zu stark

Und so bleibt das seit 1877 ausgespielte Traditionsturnier für ihn der Grand-Slam-Wettbewerb mit der schlechtesten Bilanz. Nie bei seinen nunmehr sieben Versuchen hat sich Zverev, 26 Jahre alt, für das Viertelfinale des Rasenklassikers qualifizieren können - anders als etwa auf dem Hartplatz in New York, auf dem er 2020 das Finale bestritt. Auch in Australien und im Sand von Paris, wo er dreimal nacheinander zum Quartett der Besten zählte, bringt der Tennis-Olympiasieger seine Fähigkeiten regelmäßig mehr zur Geltung.

Andererseits konnte er sich wenig vorwerfen in dem Duell mit Berrettini: Er versuchte alles und musste sich dennoch der Übermacht des Römers in drei Sätzen, 3:6, 6:7 (4), 6:7 (5), beugen. Zverev spielte mutig, konzentriert und konstant: Die Quote seiner ersten Aufschläge lag fast durchgehend bei 81 Prozent, er wagte Netzangriffe, probierte es mit Serve-and-Volley, verteilte die Bälle präzise an den Linien. In seiner persönlichen Wimbledon-Bilanz ordnete er das Duell als "eines der besten Matches hier" ein. Aber Berrettini, ein phänomenaler Aufschläger, bot ihm wenige Angriffspunkte. "Wenn jemand beim Matchball mit 225 Stundenkilometer auf die Linie serviert, dann ist das einfach zu gut", sagte Zverev: "Was soll ich machen?"

Verlorene Liebesmüh: Alexander Zverev streckt sich erneut vergeblich. (Foto: Jürgen Hasenkopf/Imago)

In der Tat ist der 27 Jahre alte Römer ein exzellenter Grascourt-Spezialist, der sich 2021 sogar ins Finale von Wimbledon katapultierte, das er dann gegen den Dauersieger Novak Djokovic verlor. In diesem Jahr litt Berrettini lange an einer Bauchmuskelzerrung, hatte nur 17 Matches bestritten, "viel im Bett gelegen" und sich mit Selbstzweifeln gequält, wie er erzählt. In London trat er dennoch mit der Attitüde des verhinderten Rasen-Kronprinzen auf: Im Vorjahr hatte er zwei Titel in der Wimbledon-Vorbereitung gewonnen, ehe ihn damals pünktlich zum Turnierstart an der Church Road eine Corona-Infektion stoppte. Er glaubte an sein Können und "an die Energie, die ich hier spüre, wie nirgends sonst".

Zverev, in Wimbledon selten von Glückmomenten beseelt, war gewarnt. Zumal sie sich schon einige Tage zuvor zum Training verabredet hatten und Berrettinis Serve nachhaltig Eindruck hinterließ. Der römische Meister-Kanonier hat im Turnier, das Drittrundenduell gegen Zverev eingeschlossen, noch kein Aufschlagspiel verloren. Und er bot Zverev dazu in drei Stunden Spieldauer - eine Regenpause eingerechnet - auch nur eine Gelegenheit an: sofort im ersten Spiel, bei den ersten nervösen Ballwechseln der Partie. Bei 30:40 erspielte sich Zverev einen Breakball - Berrettini konterte mit einem Ass. Mehr Chancen gab es für den Olympiasieger aus Hamburg nicht mehr. Durchgang zwei und drei wurden im Tiebreak entschieden. "Das ist Rasentennis", sagte Zverev anschließend fast fatalistisch: "Wir spielen nicht auf Sand, wo man sich ins Match kämpfen kann." Auf der Grasnarbe von Wimbledon, so seine Rechnung, würden rund "achtzig Prozent der Punkte vom Aufschlag dominiert".

Erst vor einem halben Jahr ist Zverev von seiner schweren Knöchelverletzung genesen, und so hat er am Samstagabend Frieden mit dem Ausgang des Turniers gemacht. Selbstverständlich sei sein Ehrgeiz darauf ausgerichtet, jeden Schlagabtausch zu gewinnen, in den er sich begibt, sagte er: "Aber mich ärgern mehr die Matches, in denen ich das Gefühl habe, dass ich sie selber verliere." Gegen Berrettinis Ballkunst war sein bestes Tennis schlicht nicht gut genug.

Auf sie mit Gebrüll: Berrettini trifft am Montag auf die Nummer eins der Weltrangliste, Carlos Alcaraz. (Foto: Andrew Couldridge/Reuters)

Zumindest war er diesmal akkurat vorbereitet auf die Rasenschlacht mit dem alten Bekannten aus Rom. Denn den Gegner zuvor, den Japaner Yosuke Watanuki, den er in der zweiten Runde aus dem Weg räumte, hatte er noch unterschätzt. Watanuki, Nummer 121 der Welt, rangierte offenbar außerhalb der Tennissphäre, in der Zverev sich bewegt; dass er ihn "nicht so gut kannte", gab er zu. Aber angeblich machte sich keiner in Zverevs Trainer- und Betreuerteam rechtzeitig die Mühe, eine Wissenslücke zu füllen. Dass Watanuki, 1,80 Meter groß, über fast ähnliche Katapultschläge verfügte wie Berrettini, fiel ihm somit erst auf, als er auf dem Platz stand und ihm "vier Asse an der Nase vorbei" flogen mit 200 km/h.

Die Angelegenheit führte anscheinend zu leichten Verwerfungen im Familienzirkel; denn als Chef des Trainerteams firmiert Alexander Senior, Zverevs Vater. "Ich hatte ein bisschen einen Hals auf meine Box", erklärte der Sohn anschließend öffentlich.

Er ist selbstverständlich versiert genug, auch ihm unbekannte Tennis-Samurais zu schlagen. Aber die Rasen-Konkurrenz zu unterschätzen, erleichtert die Aufgabe im All England Club nicht. Jedenfalls nicht, wenn es das Ziel ist, nach einem Match nicht im Kämmerchen, sondern in Wimbledons weichgepolstertem Traumtheater zu sitzen.

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