Wimbledon:Liebesentzug macht Djokovic gefährlich

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Gebete doch noch erhört: Novak Djokovic bedankt sich nach seinem lange ersehnten Sieg gegen den Russen Karen Katschanow. (Foto: Andrew Boyers/Reuters)
  • Novak Djokovic hat zu seinem früheren Biss und Trotz zurückgefunden und ist damit nun in Wimbledon erfolgreich.
  • Dass Djokovic großer, aber nicht der gleiche Respekt in Wimbledon entgegengebracht wird, wie Federer und Nadal ihn erfahren, ist offensichtlich.
  • Das scheint Djokovic aber nur noch mehr herauszufordern. Vor allem hilft ihm aber auch die Rückkehr zu seinem alten Trainer.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Wandern war er nach den French Open, die für ihn mit einem frustrierenden Scheitern im Viertelfinale geendet hatten gegen den Außenseiter Marco Cecchinato aus Italien. Nur er und Gattin Jelena, erzählte Novak Djokovic vor drei Wochen beim Turnier in Queen's. Wie früher war es, als sie nicht zwei Kinder hatten, sie konnten durchschnaufen, und als Paar näher rücken. "Wir waren weit weg von jedem Tennisplatz", sprach Djokovic, "in der Natur, und es war der beste Weg, um klare Gedanken zu finden, und auch eine Möglichkeit, um runterzukommen. Wir leben in einer Welt, in der alles schnell abläuft."

Er weiß das aus eigener Erfahrung. Im Frühjahr 2016 war Djokovic der größte Tennisspieler der Gegenwart. Er war zeitgleich Halter der vier wichtigsten Trophäen, er hatte jahresübergreifend in Wimbledon, New York, Melbourne und Paris gewonnen. Ein Wimpernschlag später: Niederlagen, Trennungen von Trainern und Mitarbeitern, private Probleme, neue Trainer und Mitarbeiter, Geburt des zweiten Kindes, Trennungen. Drei Wimpernschläge später: zurück auf Null. Der wichtigste Mann nahm sich seiner ein zweites Mal an, der Slowake Marian Vajda, von Beginn an dabei gewesen, ein Freund und Mentor, ehe Djokovic einen anderen Weg versuchen wollte, als er sich ausgebrannt, leer fühlte, oben einsam an der Spitze mit seinen Pokalen und Millionen angelangt.

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Die Geschichte von Djokovic, 31, ist eine, die viele Wendungen genommen hat, nicht nur zur Überraschung der Öffentlichkeit, auch zur eigenen, wie er gestand. In manchen Aspekten indes bleibt der Serbe bis heute undurchschaubar. Djokovic, einer der biegsamsten, ausdauerndsten Profis, wurde dünner und dünner und ernährt sich längst so bewusst gesund, dass Beobachter - auch Ex-Spieler - mutmaßten, das könne nicht gesund sein. Ganz klar war auch nie, welche Rolle Pepe Imaz, ein als Guru bezeichneter Coach aus Spanien, in seinem Leben einnahm oder noch einnimmt, der auftauchte und von Liebe und Frieden predigte. Zwei wunderbare Botschaften, und doch: Mit Liebe und Frieden begann Djokovic' sportliche Misere.

Djokovic wehrt sich wieder

Stets war er ein guter Verlierer, fast ergeben manchmal. Ohne Biss und Trotz wirkte er eben auch. Der letzte Turniersieg ist zwölf Monate her, 2017 gewann er in Eastbourne, ehe er in Wimbledon gegen Tomas Berdych aufgab. Wie sich herausstellen sollte, hatte er solch gravierende Ellbogenprobleme, dass er doch operiert werden musste. Wie die Verletzung genau aussah? Auch dies ließ er offen. Bekannt machte er dafür, dass er Details am Schläger änderte, um den Ellbogen zu schonen. Sichtbar war ohnehin, dass er seine Aufschlagbewegung geändert hat. Ein ungewöhnlicher Vorgang für einen Profi seiner Liga.

Nicht mit Hass und Frust, aber mit dem früheren Biss und Trotz agiert er nun in Wimbledon. Djokovic wehrt sich wieder, und es ist nicht so, als gäbe es nicht genügend Widerstände zu überwinden. Im All England Club würden sie wohl Roger Federer und Rafael Nadal am liebsten gleich auf einer royalen Sänfte ins Finale tragen, damit die zwei Größten ihres Metiers ihr legendäres Endspiel von 2008, als der Spanier 9:7 im fünften Satz triumphiert hatte, wiederholen können. Dass Djokovic großer, aber nicht der gleiche Respekt in Wimbledon entgegengebracht wird, wie Federer und Nadal ihn erfahren, ist jedenfalls offensichtlich.

Das scheint den zwölfmaligen Grand-Slam-Sieger, der dreimal auf dem Centre Court an der Church Road gewann, nur noch mehr herauszufordern. Ein hochrangiger Protagonist im Tennisgeschäft und Djokovic-Kenner schilderte, dass den Serben beschäftigt habe, trotz Rekorden nie jene Anerkennung erhalten zu haben wie der Schweizer und der Mallorquiner. Vielleicht musste Djokovic tatsächlich lernen, sich mit der Rolle zu arrangieren, dass unter den Big Four, zu denen noch Andy Murray zählt, eben nicht alle gleich sind.

Djokovic jedoch könnte nun der Party-Crasher sein. Seine Form ist seit April unter Vajdas Führung stetig gestiegen, motiviert wirkt er wie lange nicht. "Die Dinge sehen für mich viel besser aus in den letzten eineinhalb Monaten", sagt er selbst.

In Wimbledon musste Djokovic, 21. im Ranking, in Runde zwei erstmals seit 2009 auf Court 2 spielen, einem kleinen Stadion. Es sei "interessant" gewesen, sagte er diplomatisch; er musste ja durch die Massen dorthin marschieren. Als er in der dritten Runde auf Kyle Edmund traf, wurde er gar ausgebuht, als er nach einer Verwarnung wegen Zeitverzögerns Küsschen ins Publikum warf. Danach sei er dann provoziert worden von Zuschauern, entgegnete er, manche hätten vor den Aufschlägen gehustet. Djokovic zahlte es mit martialischen Jubelgesten heim, das sind seine Antworten jetzt.

Gegen Nishikori darf er auf den größten Platz

Djokovic als Bad Boy, das war ja auch immer ein starker Djokovic. Edmund war nach gewonnenem ersten Satz jedenfalls chancenlos. Seinen Stempel weg hat Djokovic bei der englischen Presse trotzdem unweigerlich. Die Daily Mail schrieb Djokovic "vesuvisches Temperament" zu und meint das eher nicht als Kompliment. Dass Edmund sich nicht korrekt verhalten hatte, als er den Ball zweimal vor einem Schlag aufspringen ließ und das nicht zugab, wurde viel milder bewertet. So wird getrennt.

Auch im Achtelfinale spürte Djokovic keine Vorzugsbehandlung. Als sich aufgrund langer Matches sein Duell mit dem Russen Chatschanow verzögerte, wurde nicht seine Partie von Court 1 auf den Centre Court verlegt - sondern ein Mixed mit Murrays Bruder Jamie. Auch das schluckte der Serbe cool. Ob er erwarte, im Viertelfinale am Mittwoch gegen Kei Nishikori aus Japan im Hauptstadion zu spielen, sagte er: "Hoffentlich." Er möchte schon zurück, auf die Bühne. Djokovic ist bereit. Und gefährlich.

© SZ vom 11.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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