Wimbledon:Die Weltspitze quält sich

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Andy Murray rutscht während einer Trainingseinheit aus. (Foto: dpa)
  • Die Weltranglistenersten Angelique Kerber und Andy Murray hoffen auf die berühmte Atmosphäre von Wimbledon, um zu alter Stärke zu finden.
  • In den Tagen vor dem Turnierbeginn geben sie allerdings ein Bild des Jammers ab - ihre Spitzenpositionen wackeln bedenklich.

Von Barbara Klimke, London

Falls den Botanikern in Oxford und Cambridge eines Tages die Themen ausgehen sollten, könnte es sinnvoll sein, sich mit den Wunderkräften von Weidelgras zu beschäftigen. Diese Rasensorte, lolium perenne, wird auf den Tenniscourts von Wimbledon angepflanzt und zeichnet sich, wie der Obergärtner gern bestätigt, durch enorme Rutsch- und Trittfestigkeit aus. Gewissenhaft gemäht und gegossen, garantiert lolium perenne einen robusten Wuchs der Halme sowie eine verlässliche Absprunghöhe für Filzbälle aller Art.

Wissenschaftlich gänzlich unerforscht ist bis heute allerdings, was es mit der Heilwirkung dieses Weidelgrases auf sich hat. Möglicherweise sind es die Grashalme allein; möglicherweise ist es auch die Wechselwirkung, die sie mit Gummisohlen im Mikroklima des Center Courts eingehen: Jedenfalls glaubt Andy Murray, der Titelverteidiger der Championships und die aktuelle Nummer 1 der Weltrangliste, fest daran, dass sein Hüftleiden so gut wie kuriert ist, sobald er am Montag um 14 Uhr den heiligen Wimbledon-Rasen betritt.

Die Hüfte quält Murray schon länger

Ein Bild des Jammers hatte Murray, 30, in den vergangenen Tagen abgegeben, wann immer er sich auf den Trainingsplätzen neben der Anlage an der Church Road mit seinen Sparringspartnern maß. Er hielt sich zwischen den Ballwechseln die Hüfte, lehnte die Hand aufs Knie oder stützte sich schmerzgeplagt auf der Netzkante ab. Sogar ein Show-Match im nahegelegenen Hurlingham Club in Fulham, auf der anderen Seite der Themse, sagte er ab.

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"Ich war ein bisschen besorgt", erzählte der zweimalige Wimbledonsieger am Sonntag. Allzu oft sei es ihm noch nicht passiert, dass er derart gehandicapt in ein so wichtiges Grand-Slam-Turnier ging. Die Hüfte quält ihn schon seit einiger Zeit, er kennt die Beschwerden seit seinen Jugendtagen: "Es ist stressig, wenn man ein paar Tage nicht trainieren kann, wenn man sich so gut wie möglich vorbereiten will und das unmöglich ist", sagte er. Inzwischen wächst aber die Zuversicht, dass er die Erstrundenpartie gegen Alexander Bublik übersteht, einen 20 Jahre alten Qualifikanten aus Kasachstan, der 133 Plätze hinter ihm in der Rangliste notiert ist. Zwar ist Murray überzeugt, dass es bei Grand-Slam-Turnieren "niemals einfache Spiele gibt", schon gar nicht, wenn man als Branchenprimus die Erwartungen der gesamten britischen Tennisnation auf sich lasten spürt. Aber er hat beschlossen, dieses erste Match auf dem federnden Wimbledonrasen, den er wie seinen eigene Wohnzimmerteppich kennt, ausschließlich positiv zu sehen: "Das ist die Voraussetzung dafür, dass ich mich da am Montag wohlfühlen kann." Danach werde man weitersehen.

Murray ist nicht der Einzige, der in diesen Tagen auf die lindernde Wirkung der acht Millimeter kurz geschnittenen Grünflächen im Süden Londons vertraut. Auch seine Kollegin Angelique Kerber, die Nummer 1 im Frauen-Wettbewerb, spricht über Wimbledon so salbungsvoll wie englische Kurgäste über die Römischen Bäder von Bath - nur ohne das dortige, leicht modrig schmeckende Heilwasser zu erwähnen. "Ich habe hier immer gut gespielt. Ich liebe es, auf Gras anzutreten. Ich kenne mich hier gut aus, ich finde es schön, dass man in der Nähe der Anlage wohnen kann", schwärmt sie: "Ich fühle mich wohl hier."

Schon als Kerber, 29, am Freitag wieder durch das Tor des All England Lawn Tennis & Croquet Clubs schritt, fühlte sie sich von "wunderbaren Erinnerungen" an 2016 beseelt. Damals hatte sie erst im Finale in zwei Sätzen gegen Serena Williams verloren. Aber es war der Auftakt zu einem Sommer, der ihr nach dem Sieg bei den Australian Open in Melbourne auch den Triumph bei den US Open in New York bescherte.

Wie der Brite Andy Murray aber weiß die in Bremen geborene Angelique Kerber, dass ihre Position als Weltranglistenerste bedenklich wackelt. Murray hatte vor zwei Wochen ein Erstrundenmatch beim Turnier im Londoner Queen's Club verloren, was vermutlich der schmerzenden Hüfte geschuldet war. Ansonsten ist die erste Jahreshälfte für ihn mit einem Turniersieg in Dubai und einer Matchbilanz von 21:9 Siegen nicht blendend, aber solide verlaufen. Kerber dagegen blickt auf ein halbes Schreckensjahr zurück: In den sechs Monaten von Januar bis Juni ist sie zu 13 Turnieren rund um den Globus gereist - viermal war schon in der zweiten Runde für sie Schluss, nur einmal erreichte sie ein Finale (in Monterrey), das sie prompt verlor. Ihre Bilanz: 19 Siege, 13 Niederlagen. Den Tiefpunkt erreichte sie bei den French Open in Paris, wo sie sich als Nummer 1 bereits im ersten Spiel geschlagen geben musste.

Auf radikale Änderungen verzichtet

Aus diesen Niederlagen, so versicherte sie nun, habe sie ihre Schlüsse gezogen. Auf radikale Änderungen in ihrem Umfeld hat sie verzichtet, aber einige "Kleinigkeiten", wie sie sagte, justiert. Ins Detail wollte sie nicht gehen, verriet jedoch immerhin, dass sie ihren Trainingsrhythmus umgestellt hat. Sie steht nun nicht mehr zweimal, sondern nur einmal täglich auf dem Platz. Damit habe sie sich selbst mehr "Freiräume" verschafft. Dass sie jüngst in Eastbourne an der Südküste Englands zwei Turnier-Matches auf Rasen gewann, stimmt sie zuversichtlich für die erste Wimbledon-Partie, in der sie am Dienstag auf die Qualifikantin Irina Falconi (USA) trifft.

"Alles steht wieder auf Null", sagte Angelique Kerber, als sie am Wochenende im All England Club erstmals wieder das Gras unter ihren Füßen spürte. Es war ihr anzumerken, dass sie auf ein kleines Wunder hofft. Was immer es ist, das in dem Weidelgras, lolium perenne, steckt, es scheint eine besondere Wirkung auf Tennisprofis zu haben. Von einer Blitzheilung allerdings geht Angelique Kerber dann doch nicht aus. Sie hat sich für ihre Rückkehr zu alter Form bis zum Jahresende Zeit gegeben.

© SZ vom 03.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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