Werder Bremen:Ziele? Hauptsache keine Misserfolge

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Marvin Ducksch wird am Samstag nach seinem Tor von Leonardo Bittencourt geherzt. (Foto: Titgemeyer/Osnapix/Imago)

Die Bremer wollen in dieser Saison einfach nur überleben, aber das gelingt ihnen ziemlich gut. Beim 2:0 gegen Augsburg macht das Team große Fortschritte - getragen von gleich doppelter Häme.

Von Thomas Hürner, Bremen

Ein ungeschriebenes Gesetz im Fußball lautet, dass Häme erlaubt ist, wenn die passenden Gelegenheiten dafür nur so hereinrauschen. Zwar gelten die Zuschauer im Bremer Weserstadion nicht als überdurchschnittlich hämisch, aber die Ereignisse ließen sich halt nur schwer ignorieren: Zuerst schien auf der Anzeigetafel die Meldung auf, dass der Nordrivale Hamburger SV durch ein 1:2 gegen Paderborn weiter an seiner Dauermitgliedschaft in der zweiten Liga arbeitet - eine Aussicht, die eine Mischung aus Gelächter und Applaus im Publikum evozierte. Und dann war da ja noch der parallel in Frankfurt spielende FC Bayern, der einstige Lieblingsgegner des SV Werder. Jedes Münchner Gegentor wurde bejubelt, als hätten die eigenen Spieler es geschossen. Und weil das eine ganze Menge Gegentore waren, wurde auch eine ganze Menge gejubelt.

Die Bremer Fans sind leidgeprüft, deshalb wissen sie genau, wann man sich Häme leisten kann und wann besser nicht. Am Samstag, beim 2:0-Sieg gegen den FC Augsburg nach Treffern von Niklas Stark (39. Minute) und Marvin Ducksch (65), war die einhellige Meinung im Publikum: Ja, kann man sich leisten. Im Vergleich mit dem dahinsiechenden HSV steht es immerhin geradezu vorzüglich um den Klub vom Osterdeich - und die Bayern, nun, das sind halt die Bayern.

Die Bremer können und wollen sich nicht mehr mit "denen da oben" messen, heißt es gerne. Sie wollen ein Etappenziel nach dem anderen erreichen, dabei kleine Entwicklungsschritte vollziehen und als Erstligist die Saison beenden. Kritiker könnten sagen, dass die Bremer nichts Besonderes erreichen, sondern einfach nur Misserfolge verhindern wollen. Die Bremer selbst würden entgegnen, dass sie tun, was sie tun müssen.

Für jeden Punkt "an die absolute Grenze" gehen

In dieser fortgeschrittenen Saisonphase hat sich die Liga in eine Zweiklassengesellschaft aufgeteilt, es gibt ein klares Oben und Unten - und beim einst ruhmreichen SV Werder haben sie kein Problem damit, im hinteren Feld zu weilen, solange sie dort einen der mittleren Plätze einnehmen. Mit dem Tabellenrang 14 ist das aktuell gerade so der Fall, weshalb Verteidiger Stark von einem "extrem wichtigen" Sieg gegen Augsburg sprach. Der womöglich wichtigere Erfolg war für die Bremer aber ein anderer: Sie haben ihre Idee gegen ein Team durchgesetzt, das demselben Milieu angehört wie sie selbst. Der Bremer Trainer Ole Werner ist ein überzeugter Anhänger eines aktiven Spielansatzes, er macht aber auch kein Geheimnis daraus, dass sein Team für jeden Punktgewinn "an die absolute Grenze" gehen muss.

Am Samstag ist beides gelungen: Die Bremer waren kampfeslustig, ohne dabei ihr Vorhaben mit dem Ball zu vergessen; das hatten sie in dieser Saison zuvor nur selten geschafft. Und sie haben in Neu-Nationalstürmer Ducksch einen echten Unterschiedsspieler, dessen Knochen und Bänder besser unversehrt bleiben sollten, wenn die Bremer eine sorgenfreie Spielzeit zurücklegen wollen. Ducksch bereitete den Führungstreffer durch Stark per Eckball vor; den 2:0-Endstand stellte er mit einem wuchtigen Kopfball selbst her. "Er ist heute extrem vorangegangen", lobte Verteidiger Anthony Jung. "Auch wenn die Dinge mal nicht geklappt haben, hat er immer diese Positivität reingebracht." Weil Ducksch ein recht impulsiver Typ ist, fand diese Positivität zwar mit seiner Auswechslung in der Schlussphase ein jähes Ende. Nach einer kurzen, aber intensiven Unmutsbekundung war jedoch wieder alles gut - für ihn und für seinen Vorgesetzten Werner.

Die Bremer wollen variabler spielen - und mussten dafür den Torwart austauschen

Mit seiner norddeutsch-nüchternen Art kann der Coach selbst hitzigste Situationen herunterkühlen. Mitunter wurde Werner in dieser Saison aber auch schon vorgeworfen, etwas zu gemächlich an seiner Spielstrategie zu feilen. Bei den Bremern beruhten bislang weite Teile des Offensivkonzepts auf sogenannten "gegenläufigen Bewegungen", im alltäglichen Sprachgebrauch besser bekannt als "einer kurz, einer lang": Während ein Spieler dem Ball entgegenkommt, um diesen abzusichern, ist ein anderer schon in die Tiefe gestartet. Ohne den nach Dortmund abgewanderten Niclas Füllkrug fehlt aber der robuste Bällehalter im Zentrum. Und weil es im Bremer Kader überdies erschreckend an Geschwindigkeit mangelt, konnten die gegnerischen Verteidiger die Tiefenläufe zumeist problemlos abfangen.

Werner möchte das Offensivspiel nun etwas variabler gestalten, und dafür hat er eine harte Entscheidung treffen müssen: Anstelle des stets zuverlässigen Torwarts Jiri Pavlenka, der vor zweieinhalb Jahren mit den Bremern in die zweite Liga ging, wurde Michael Zetterer zur neuen Nummer eins befördert. Zetterer ist sicherer mit dem Ball am Fuß, diese Kompetenz soll helfen, die gegnerischen Linien effizienter zu durchbrechen. Abgesehen von zwei, drei Unsicherheiten scheint das bislang ganz ordentlich zu klappen. Aus Sicht von Ducksch sogar so gut, dass er nach dem Sieg gegen Augsburg sagte, er schaue "nach oben, nicht nach unten". Diese Perspektive dürfte er in Bremen zwar relativ exklusiv haben. Aber wenn sich am Osterdeich jemand einen Exklusivitätsanspruch leisten kann, dann er, der deutsche Nationalspieler.

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